Ein zugefrorener See auf dem Mars
Auf dem Mars existiert ein zugefrorenes Gewässer von der Größe der Nordsee, auf dessen Oberfläche riesige Schollen von Packeis zu sehen sind. Die Tiefe des Sees wird auf 45 Meter geschätzt. Das Gebiet mit einer Ausdehnung von etwa 800 x 900 Kilometern befindet sich bei fünf Grad nördlicher Breite und 150 Grad östlicher Länge in der Elysium-Ebene. Der See wurde in hochauflösenden Bildern der Stereokamera HRSC (High Resolution Stereo Camera) auf der europäischen Raumsonde Mars Express entdeckt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Gruppe von Wissenschaftlern, angeführt von dem britischen Geologen John Murray von der Open University in London. An den geologischen Untersuchungen sind Prof. Gerhard Neukum als Principal Investigator (PI) des HRSC Kameraexperiments sowie seine beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter Stephanie Werner und Stephan van Gasselt vom Institut für Geologische Wissenschaften der Freien Universität Berlin beteiligt.
Schon vor dem Mars Express wurde vermutet, dass sich in geologisch jüngerer Vergangenheit – vor zwei bis zehn Millionen Jahren – Lavaströme und Wasserfluten in dieser Gegend südlich der etwa 17 Kilometer hohen Elysium-Vulkanregion über die Oberfläche ergossen haben. Zwar konnten schon auf Fotos früherer Marsmissionen einige Lavaströme identifiziert werden, von den Wassermassen fehlte bisher jedoch jegliche Spur: Man nahm an, dass das Wasser relativ rasch verdunstet und aus der dünnen Marsatmosphäre ins Weltall entwichen sei. Wie die HRSC-Bilder nun zeigen, scheint das Wasser jedoch noch heute in einem bis zum Grund gefrorenen See vorhanden zu sein.
Die HRSC-Bilder zeigen Strukturen, die an Packeis erinnern: Flache Eisschollen scheinen sich über einem strukturlosen Material zu erheben und gleichsam in ihm zu „schwimmen“. Die Situation ist morphologisch identisch mit Eisbergen, die auf dem Meer schwimmen. Auch die Dimensionen der Schollen sind exakt die gleichen wie die irdischer Eisschollen im Packeis. Die Forscher nehmen an, dass sich im untersuchten Gebiet noch heute große Mengen des Eises im Untergrund befinden. Dafür spricht die intakt erscheinende Oberfläche, die extrem flach ist. Wäre das Eis bereits verschwunden, müsste die Oberfläche weit stärker durch Erosion verändert worden sein. Möglicherweise wurde das Packeis durch einen schützenden Belag vor dem Verdunsten geschützt. Ein wesentlicher Bestandteil einer solchen Schutzschicht könnte vulkanische Asche sein, die sich auf der gefrierenden Oberfläche abgesetzt hatte.
Der See in seiner heutigen Form dürfte sich vor etwa fünf Millionen Jahren gebildet haben, in geologischen Maßstäben ist dies ein extrem junges Alter. Ernst Hauber, Geologe am DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof, schätzt die spektakulären Messungen so ein: „Bestätigen sich die Ergebnisse, ist der Mars ein nach unseren Maßstäben noch heute geologisch aktiver Planet“.
Anhand der Anzahl und der unterschiedlichen Größen von Kratern, die von Meteoriteneinschlägen herrühren, kann das Alter von festen Planetenoberflächen relativ genau ermittelt werden. So weist eine frische Oberfläche auf einem Planeten – beispielsweise ein erkalteter Lavastrom – zunächst keine Einschlagskrater auf, mit der Zeit entstehen jedoch immer mehr Krater durch Einschläge. Die Verteilung von Kratern unterschiedlicher Häufigkeit und Größe lässt sich eichen und so ein zuverlässiges Oberflächenalter ermitteln. Nach dieser Methode wurden sowohl das Alter der „Packeis-Schollen“ auf fünf Millionen Jahre, als auch der Flächen dazwischen bestimmt – letztere scheinen nochmals jünger zu sein.
Als Alternative zu der Interpretation, dass die kantigen Flöße gewissermaßen „fossile Eisberge“ in einem vollständig vereisten See sind, kommen nur zerbrochene Schollen erkalteter Lavaströme in Frage. Die Autoren des Nature-Artikels (Erscheinungstermin: 17. März) widerlegen jedoch einen vulkanischen Ursprung: Die einzelnen Platten auf dem Mars sind etwa hundertmal größer als Lavaschollen auf der Erde. Dann scheint sich die Matrix, in der die Schollen treiben, um einen erheblichen Betrag „gesetzt“ zu haben – bei Wasser könnte das fehlende Volumen leicht durch Verdunstung erklärt werden, bei fließender Lava jedoch nicht, denn beim Erkalten verringert sich das Volumen des Lavastromes maximal um etwa ein Prozent. Auffallend ist außerdem, dass das Packeis über mehr als 60 Kilometer hinweg so gut wie kein Gefälle aufweist, was bei einem Lavastrom ungewöhnlich wäre.
Das Kameraexperiment HRSC auf der Mission Mars Express der Europäischen Weltraumorganisation ESA wird vom Principal Investigator Prof. Dr. Gerhard Neukum/FU Berlin, der auch die technische Konzeption der hochauflösenden Stereokamera entworfen hat, geleitet. Das Wissenschaftsteam besteht aus 45 Co-Investigatoren aus 32 Instituten und zehn Nationen. Die Kamera wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) unter der Leitung des Principal Investigators (PI) Gerhard Neukum entwickelt und in Kooperation mit industriellen Partnern gebaut (EADS Astrium, Lewicki Microelectronic GmbH und Jena-Optronik GmbH). Die Kamera wird vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof betrieben. Hier erfolgt auch die systematische Datenprozessierung. Die hier gezeigten Darstellungen wurden vom Institut für Geologische Wissenschaften der FU Berlin in Zusammenarbeit mit dem DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin erstellt.
Bild 1 zeigt große, plattige Strukturen in der Elysium-Ebene auf dem Mars, die als Packeis-Schollen interpretiert werden. Die hochauflösende Stereokamera HRSC an Bord von Mars Express fotografierte das Gebiet am 19. Januar 2004 während Orbit 32 aus einer Höhe von etwa 270 Kilometern. Die einzelnen Bruchstücke sind zwischen 30 Meter und bis über 30 Kilometer groß (der gezeigte Bildausschnitt ist etwa 40 Kilometer breit; der Blick geht von Norden nach Süden). Anhand der Umrisse ist gut zu erkennen, dass die einzelnen Bruchstücke einst größere Schollen bildeten, die nach ihrem Auseinanderbrechen in einem fließfähigen Medium voneinander wegdrifteten und in ihre heutige Position rotierten.
Bild: © ESA/DLR/FU Berlin (G. Neukum)
Bild 2 zeigt die Elysium-Ebene. Das Gebiet, in dem der zugefrorene See mit den Packeisschollen auf dem HRSC-Bildstreifen aus Orbit 32 gefunden wurde, befindet sich unterhalb der Bildmitte auf dieser topographischen Karte, die mit Laser-Höhenmessungen erstellt wurde (grün: tief gelegene Gebiete, zunehmende Höhe ist in den Farbtönen gelb über orange und rot bis zum 17 Kilometer hohen Gipfel des Vulkans Elysium dargestellt).
Bild: © NASA/JPL/USGS
Die Ergebnisse werden am 17. März 2005 in der angesehenen Fachzeitschrift Nature erscheinen.
Ansprechpartner: Prof. Dr. Gerhard Neukum, Institut für Geologische Wissenschaften, Freie Universität Berlin, E-Mail: gneukum@zedat.fu-berlin.de, Tel.: 030/838-70570, Mob.: 0171/764 7177
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