Weiterentwicklung von Modellen, die Vorhersagen von Starkregen verbessern
Janek Zimmer, Doktorand am Institut für Meteorologie der Universität Leipzig, hat einen der aussichtsreichsten Arbeitsplätze der ganzen Uni: Er sitzt ganz oben im „Turmhaus“ an der Leipziger Stephanstraße. Aber eigentlich braucht er ihn gar nicht, den Blick auf das aktuelle Wetter. Zimmer kämpft sich schon seit seiner Diplomarbeit durch die Niederschlagsmessungen vergangener Jahrzehnte. Ziel ist es, die Starkregen-Vorhersagen für das Erzgebirge zu verbessern. Die Studien laufen im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft und werden begleitet von der Sächsischen Talsperrenverwaltung.
Warum wurde gerade das Erzgebirge zum Untersuchungsgebiet? „Weil dort die für Sachsen wichtigsten Talsperren einschließlich ihrer Regenwasser-Einzugsgebiete liegen“, so Prof. Dr. Gerd Tetzlaff, Leiter der Arbeitsgruppe am Instituts für Meteorologie der Fakultät für Physik und Geowissenschaften der Universität Leipzig. „Wenn die plötzlich über ihr Fassungsvermögen hinaus mit unerwartet starken Niederschlägen belastet werden, ist keine Zeit mehr, sie durch Ablassen aufnahmebereit zu machen. Andererseits darf man sie auch nicht vorsorglich leeren, denn wenn der Regen dann ausbleibt, können sie ihre Funktion als Wasserspeicher oder für die Freizeitnutzung nicht mehr erfüllen. Man ist also auf sehr präzise Vorhersagen angewiesen. Deshalb untersuchen wir an unserem Institut schon seit einigen Jahren, welche Wetterlage sich an den Hängen des Erzgebirges zu welchen Niederschlägen entwickelt. Das ist eine Planungsgrundlage für die Talsperrenverwaltung, die entscheidet, wie die Bauwerke dimensioniert werden sollten und unter welchen aktuellen Umständen welche Füllmengen geboten sind.“
Ein besonderes Problem ist die Regenverstärkung durch Hebung der Luft am Erzgebirge. Um deren Systematik zu ergründen, gilt es zu differenzieren, inwieweit gewöhnlicher Regen auch im Gebirge fällt und wieweit feuchte Luft beim Aufgleiten über den Gebirgskamm zu zusätzlichem Regen führt. Dabei ist es wichtig, zu unterscheiden in welchem Maße der Regen auf die Einzugsgebiete der Talsperren durch Gewitter-Anteile verstärkt oder abgeschwächt wird.
„Gelegentliche Aussagen zu Regenfällen liegen mir schon aus dem 19. Jahrhundert vor, systematische Messungen lassen sich heutzutage aber erst etwa ab 1949 zusammenstellen. Ab 1970 etwa werden die außerdem durch Radar-Bilder ergänzt“, erläutert Zimmer die Datenlage, auf deren Basis er Gesetzmäßigkeiten zu ergründen und als mathematische Modelle darzustellen sucht. Derzeit wird für jede der 21 in die Forschung einbezogenen Talsperren eine gesonderte Analyse durchgeführt. Auf Zimmers Bildschirm ist deren Regenwasser-Einzugsgebiet auf einer topografischen Karte eingezeichnet. Parallele Linien aus der Hauptwindrichtung – das ist meist der Nordwesten – geben den Anreise-Weg der Luftmassen an. In der nächsten Darstellung ist auf einem Diagramm jede dieser Linien eingetragen und dazu die errechneten Niederschlagsmengen für bestimmte Stellen über dem Oberflächenprofil.
Mit Hilfe der Ergebnisse der aktuellen Starkregen-Studie sollen die Modelle, die anhand solcher Daten wie Windgeschwindigkeit, Boden und Lufttemperaturen Aussagen zu bevorstehenden Regenfällen errechnen, perfektioniert werden. Derzeit können differenzierte Aussagen über Segmente von etwa 50 Quadratkilometern getroffen werden; das Ziel ist, die Genauigkeit zu erhöhen, und Vorhersagen für rund zehn Quadratkilometer zu berechnen. Der Prognosezeitraum beginnt bei fünf Tagen vor dem zu erwartenden Starkregen und konkretisiert sich mit dem Näherkommen des zu erwartenden Niederschlags.
Wenn das mathematische Modell ausgereift ist, kann es – nach Eingabe solcher Parameter wie Geländeneigung, Windgeschwindigkeit und Lage zum Meer – auch für andere Gebirge angewandt werden. Seine Verlässlichkeit muss es bereits bei Berechnungen am Beispiel der östlich von Madagaskar liegenden Ile de la Réunion beweisen, der mit 2.000 Millimetern pro Tag regenstärksten Region der Erde.
Ein derzeit vorliegendes Ergebnis sind Aussagen zur theoretisch maximal möglichen Regenmenge. „Bei 100 Millimetern Regen pro Tag tauchen normalerweise noch keine Probleme auf“, so Zimmer. „Im August 2002, vor der Flut an Mulde und Elbe, fielen in Zinnwald 312 Millimeter an einem Tag. Aber als physikalisch möglich haben wir mehr als das Doppelte errechnet, also rund 700 Millimeter pro Tag. Für ein paar Sekunden im Kern eines Gewitters hat das jeder schon einmal erlebt, aber niemals einen Tag lang. Das Wissen um diesen Extremwert ist notwendig, um die unter ihm liegenden Daten einordnen zu können. Inwieweit sich die Talsperrenverwaltung für diesen Super-Gau geringer Wahrscheinlichkeit rüsten kann, wird nach sorgfältiger Abwägung entschieden werden – sicherlich unter Beachtung der möglichen Aufwendungen.“
Was aber ist schiefgelaufen, damals im August 2002? Gab es da keine Vorhersagen? „Doch die gab es“, erläutert Tetzlaff. „Aber die Prognosen waren zeitlich schwankend, so dass die Praktiker sich mit Maßnahmen schwer tun mussten. Die Ansprüche an die Genauigkeit von Vorhersagen müssen aber auch an den Fähigkeiten gemessen werden. Alle Prognosen – das ist bei sintflutartigen Regenfällen ebenso wie bei Wirbelstürmen – werden ungenauer, je extremere Witterungserscheinungen sich ankündigen. Gerade für solche Fälle Verbesserungen zu erreichen, ist das Ziel der aktuellen Forschungsarbeiten. Dann wird es vielleicht einmal so etwas wie das geheimnisvolle Zauberfernglas geben, auch wenn der Zukunftsblick nur aus Messergebnissen und Computermodellen besteht. Aber die kann man wenigstens Schritt für Schritt verbessern.“ Marlis Heinz
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