Den Magmaquellen auf der Spur
von Gerhard Wörner
Unter den zahlreichen geologischen Phänomenen hat es der Vulkanismus den Menschen besonderes angetan. Es gibt auf der Welt etwa 1.300 bekannte Vulkane, die seit der letzten Eiszeit aktiv gewesen sind, davon allerdings nur 21 in Europa. Die mit Abstand größte Zahl an Vulkanen findet sich im pazifischen „Ring des Feuers“ (Abb. 1) entlang der Nahtstellen der pazifischen Ozeanplatten.
Die Erforschung der Vulkane teilt sich im wesentlichen in zwei Arbeitsgebiete: während die einen das Verhalten der Vulkane studieren, ihre Entwicklung in der geologischen Vergangenheit rekonstruieren und unter Umständen Rückschlüsse auf zukünftige Aktivitäten ziehen können, widmet sich eine andere Wissenschaftlergruppe – darunter auch wir hier in Göttingen – der Frage nach den grundsätzlichen Ursachen des Vulkanismus im tiefen Erdmantel. Sie untersuchen den globalen Stofftransport, der mit der Bildung neuer Ozeanplatten und deren Absinken (Subduktion) an den Plattengrenzen zusammenhängt. Die spezielle Form des Vulkanismus an Subduktionszonen, die zu den genannten bogenartigen Inselketten führt, heißt dementsprechend „Inselbogenvulkanismus“. Dessen Ursachen sind – in groben Zügen –: die ozeanische Platte sinkt schräg in den Erdmantel zurück und trägt wasserhaltige Mineralen nach unten, die mit zunehmender Temperatur instabil werden. Durch das abgegebene Wasser sinkt der Schmelzpunkt des überliegenden Erdmantels, der dadurch teilweise aufschmilzt. Das Wasser trägt mobile Elemente aus der Ozeanplatte mit und verursacht letztlich die besondere Spurenelementzusammensetzung dieser Magmen.
In der Arbeitsgruppe „Geochemie“ am Geowissenschaftlichen Zentrum der Universität Göttingen erforscht eine kleine Gruppe von Wissenschaftler unter Leitung von Prof. Dr. Gerhard Wörner mit geo- und isotopen-chemischen Methoden die Ursachen des Vulkanismus im Erdinneren des pazifischen Raumes. Hierbei werden moderne analytische Großgeräte eingesetzt. In Zusammenarbeit mit der Isotopengeologie werden die Proben mit modernsten Lasergeräten analysiert.
Die durchdachte Formulierung von Forschungsfragen, verbunden mit der für Deutschland hervorragenden technischen Ausstattung und dem hohen logistischen Aufwand, der bei der Geländearbeit in den entlegensten Gebieten der Erde notwendig ist, garantieren die inzwischen internationale Reputation der Göttinger Arbeitsgruppe innerhalb der Geochemie. Die Göttinger Vulkan-Forschung an der Abteilung Geochemie ist Grundlagenforschung. Unsere Forschungen dienen vor allem dem Verständnis der Ursachen und Auslösern des Vulkanismus’, weniger dessen direkten Folgen.
Die Arbeitsgruppe „Geochemie“ hat sich bei ihrer Grundlagenforschung im pazifischen Raum auf drei, in ihrer Verschiedenartigkeit besonders aussagekräftige Gebiete konzentriert (s. Abb. 1); sie stellen ›Endglieder‹ einer Reihe von unterschiedlichen Randbedingungen dar:
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In den Anden ist die Kontinentalkruste dicker als irgendwo sonst an einer Subduktionszone,
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in Costa Rica hat sich ein mächtiger, vom Galapagos-Archipel kommender ozeanischer Rücken in der Subduktionszone verkeilt und den Vulkanismus (fast) zum Erliegen gebracht,
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und in Kamchatka beobachten wir die höchste Vulkanaktivität weltweit an einer Subduktionszone.
In den zentralen Anden von Peru und Nordchile muss sich das Magma, aus dem Erdmantel und Tiefen von ca.120km kommend, seinen Weg durch die bis zu 70km dicke kontinentale Kruste bahnen. Auf diesem Weg werden die Magmen durch Aufschmelzung der umgebenden Kruste chemisch und isotopisch verändert. Die Verhältnisse der radiogenen Isotope Strontium und Neodymium und der verschiedenen Isotope des Bleis sind in Mantel und Kruste sehr unterschiedlich. Mit der Analyse dieser Isotopenverhältnisse und bestimmter Spurenelemente in den Vulkaniten lassen sich die jeweiligen Anteile von ursprünglichem Magma aus dem Erdmantel und der Beimengung an Krustenmaterial quantitativ bestimmen. Dies ist wichtig, wenn man verstehen und bilanzieren will, wie viel Material in der Erdgeschichte an Plattengrenzen wie der heutigen in den Anden vom Erdmantel der kontinentalen Kruste zugefügt wird. Es geht also um die Frage des Wachstums kontinentaler Kruste in der Erdgeschichte. Das Beispiel der Anden zeigt, dass im Durchschnitt 20 % des eruptierten Magmas gar keinen Nettozuwachs, sondern vielmehr „krustales Recycling“ von sehr alten Gesteinen (bis 2 Milliarden Jahren) darstellt. Die majestätischen Vulkane der Anden (Abb. 2) bestehen also zu einem wesentlichen Anteil aus ›Altmaterial‹.
Wie aber waren die Bedingungen in der geologischen Vergangenheit? Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass die zentralen Anden im Grenzbereich zwischen Peru und Chile sich erst seit ungefähr 25 Millionen Jahren anheben. Die Ursache für die Hebung der Anden und Verdickung der Kruste liegt in einer grundlegenden Änderung der Plattenbewegungen im Pazifik, wobei die pazifische Platte in mehrere kleine Ozeanplatten zerlegt wurde. Gleichzeitig hat die Konvergenz zwischen den Platten zugenommen. Mit zunehmender Höhe der Anden entstand eine Gebirgsbarriere und gleichzeitig verstärkte sich der kalte Humboldtstrom. Der Vergleich der Zusammensetzungen älterer mit zunehmend jüngeren Vulkanen zeigt, dass mit zunehmender Krustendicke der Anteil an recyceltem Altmaterial systematisch zunimmt.
Die mittelamerikanische Landbrücke von Costa Rica und Panama ist dagegen viel jünger als die Anden und gänzlich vulkanischen Ursprungs, doch existiert die vollständige Landverbindung erst seit ca. drei bis vier Millionen Jahren. Ursache hierfür ist die Kollision des Cocosrückens mit dem Archipel von vulkanischen Inseln (Abb. 3). Als Folge dieser Kollision erlosch der Vulkanismus (fast), es bildete sich eine Lücke in der Vulkankette und die Cordillera de Talamanca hob sich bis auf über 3000 m. Der Vulkanismus und die Zusammensetzung der eruptierten Magmen spiegeln die komplizierten Prozesse dieser Kollision wider. Die „normale“, für Subduktionszonen typische, Magmenbildung wird abgelöst von nur sehr kleinen Volumen basaltischer Magmen hinter der alten Vulkankette. Altersdatierungen zeigen, dass dieser Wechsel ebenfalls vor 5 Millionen Jahren stattfand. Diese Basalte zeigen keinen chemischen Einfluss der Subduktionszone mehr, obwohl sie räumlich und zeitlich in enger Verbindung mit der Subduktionszone stehen. Die Blei-Isotopensignatur identifiziert zudem relativ eindeutig eine neue Mantelquelle, die dem Galapagos-Archipel im pazifischen Raum zugeordnet werden kann. Die Quelle des Vulkanismus verändert sich also schlagartig mit der Kollision des Cocosrückens mit der Subduktionszone.
Abb.3: Karte der mittelamerikanischen Landbrücke, Cocos- |
Abb. 4: Modell der aufreißenden ozeanischen Platte und Plattenfenster |
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Weitere Datierungen und Analysen ergaben, dass diese neue „pazifische“ Magmenquelle unter Costa Rica zunehmend nach Norden, Richtung Nicaragua wandert. Gleichzeitig wurden kleine Vulkane aktiv, deren Zusammensetzung nur durch direkte Aufschmelzung des steckengebliebenen Cocosrückens zu erklären sind. Auch hier basiert die Interpretation auf der Beobachtung bestimmter geochemischer und isotopischer Fingerabdrücke. Doch gibt es ein Problem: Normalerweise würden die Temperaturen für diese Aufschmelzung gar nicht ausreichen. Diese verschiedenen Beobachtungen lassen sich nur durch die Öffnung eines Risses in der abtauchenden Platte erklären (Abb. 4), wobei der pazifische „Galapagos-Mantel“ durch das sich öffnende Fenster nach Norden in den Mantelkeil vordringt und bei der Druckentlastung geringfügig aufschmilzt. Am Rand des aufreißenden Fensters strömt heißer Mantel am „Fensterrand“ vorbei, so dass nun auch der Cocosrücken anschmelzen kann. Die Ursache für das Aufreißen des Fensters könnte in dem puzzleartigen Plattenmosaik der Cocosplatte liegen und dem hemmenden Effekt der Kollision des Cocosrückens, wobei die tieferen Anteile schneller in den Mantel einsinken (Abb. 3 und 4).
Die Subduktionszone in Kamchatka ist wieder ganz anders konstruiert (Abb. 5): sie ist durch besonders hohe Magmenproduktion und durch eine sehr breite aktive Vulkanzone gekennzeichnet. Wir haben mit einigem logistischen Aufwand viele Vulkane entlang einer Ost-West-Traverse quer zur Subduktionszone beprobt und analysiert. Es konnte besonders für den Kluchevskoy Vulkan eine ungewöhnliche Mantelquelle nachgewiesen werden, die durch einen besonders hohen Flüssigkeits-Eintrag gekennzeichnet ist. Dieser Befund basiert auf den Anteilen an Sauerstoff, Strontium und Blei–Isotopen sowie Spurenelementgehalten der Laven. Besonders mobile Elemente nehmen bei zunehmendem Abstand von der Vulkanfront ab. Der erste Befund erklärt sich durch die Subduktion der mächtigen Emperor-Inselkette, die im „Hotspot“ von Hawaii seinen Ursprung nimmt (Abb. 1 u. 5), durch die ungewöhnlich großen Mengen von wasserhaltigem Material in die Subduktionszone einspeist wird. Der hohe Fluid-Eintrag bedingt die hohe Magmenproduktion. Mit zunehmender Tiefe wird jedoch die subduzierte Platte immer „trockener“ und in der Folge werden die fluidmobilen Elemente zunehmend ausgetrieben und in die Mantelquelle immer weniger eingetragen.
Als Ergebnis der drei Fallbeispiele kann festgehalten werden, dass Vulkane und die Bildung von Magma an konvergierenden Plattenrändern offensichtlich sehr unterschiedliche Bildungsbedingungen haben. Und das, obwohl das Grundmuster des Vulkanismus, nämlich der Eintrag von wasserhaltigen Mineralen aus dem Ozeanboden in den Erdmantel, immer ähnlich ist. Die Eruptionsformen jedoch, die Art, Größe und Häufigkeit der Vulkane sowie die in geologischer Zeit gebildeten und schließlich geförderten Magmenvolumen sind immer das Ergebnis des Wechselspiels sehr vieler variabler Parameter im geologischen Umfeld, die es weiter zu studieren gilt. Ein neues Projekt, das zurzeit in Kooperation mit Kollegen aus England als Europäisches Verbundprojekt entwickelt wird und WissenschaftlerInnen aus Italien und Spanien einschließt, wird sich nun Fragen nach den Bedingungen im Magma unter dem Vulkan vor der Eruption widmen. Die zu untersuchenden Vulkane sind jedoch viel näher als der entfernte Pazifik: der Vesuv in Italien und der Pico de Teide auf Teneriffa.
Zur Person: Prof. Dr. Gerhard Wörner studierte Mineralogie an der Universität Bochum. Bei einem Studienaufenthalt in den USA erlebte er die Eruption des Mt. St. Helens aus nächster Nähe. Er habilitierte sich 1988 in Bochum und lehrte anschließend in Mainz. 1993 wurde er an die Universität Göttingen berufen. Zurzeit ist er Dekan der geowissenschaftlichen Fakultät. Für seine Arbeiten zur Untersuchung vulkanischer Gesteine der zentralen Anden, Costa Ricas, der Antarktis und Kamchatkas erhielt er 1988 den Goldschmidtpreis der Deutschen Mineralogischen Gesellschaft, 1989 den Maucher-Preis und 1997 den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
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