Vorhersagbare Monsterwellen

Was haben „Monsterwellen“, epileptische Anfälle und umknickende Hochspannungsmasten gemeinsam?
Neu erschienenes Buch nimmt Extremereignisse unter die Lupe

Erstens: Alle drei Ereignisse treten plötzlich und scheinbar zufällig auf, kündigen sich jedoch meist durch bestimmte Vorzeichen an. Und zweitens: Sie sind Thema des Buchs „Extreme Events in Nature and Society“, das gerade im Springer-Verlag erschienen ist. Darin gehen internationale Experten der Frage nach, wie man Extremereignisse vorhersagen und – wenn möglich – vermeiden kann. Herausgeber sind Physiker und Mathematiker: Professor Dr. Holger Kantz vom Dresdner Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme sowie von der Universität Bonn Dr. Volker Jentsch und Professor Dr. Sergio Albeverio.

Alle paar Wochen verschwindet ein großes Schiff spurlos von der Meeresoberfläche und wird nie wieder gefunden. Viele von ihnen fielen wahrscheinlich einer Monsterwelle („freak wave“) zum Opfer. Diese entstehen völlig unerwartet und können sich zu mehr als 20 Metern auftürmen. Oft zerbricht das Schiff unter dem Aufprall der Wassermassen in zwei Teile. Wenn die Welle die Bordelektronik zerstört, hat die Crew nicht einmal mehr Gelegenheit, einen Notruf abzusetzen.

Wie diese Riesenwellen entstehen, versteht man heute erst zum Teil. Wahrscheinlich müssen Wetter und Meeresströmungen zusammen spielen, damit sich plötzlich eine derartige Wasserwand in Höhe eines siebenstöckigen Hauses auftürmt. Vielleicht werden die Meteorologen dennoch schon in ein paar Jahren warnen können: „Meiden Sie heute die Gegend südwestlich der Kanaren; dort drohen vereinzelt Wellen von mehr als 25 Metern Höhe.“ Diese Einschätzung vertritt zumindest Eric J. Heller in seinem Beitrag über „Freak Ocean Waves“ im Buch „Extreme Events in Nature and Society“. Er hat zusammen mit Kollegen bereits einen Parameter identifiziert, der die Wahrscheinlichkeit von Monsterwellen beeinflusst.

Der Band behandelt ein halbes Dutzend völlig unterschiedlicher Szenarien, die alle als Extremereignisse aufgefasst werden können. Darunter ist beispielsweise auch die Epilepsie, eine Hirnerkrankung, bei der die Betroffenen aus heiterem Himmel das Bewusstsein verlieren und in Krämpfe verfallen. Zumindest bei manchen Patienten kündigt sich ein nahender Anfall aber augenscheinlich schon Minuten bis Stunden vorher an, wie sich an Aufzeichnungen der Hirnströme nachvollziehen lässt. Auch die Ermüdung von Stahl bis zum Bruch oder die Vorhersage von Vulkanausbrüchen und Erdbeben werden von den Autoren behandelt.

Dass so unterschiedliche Disziplinen zu einem einzigen Buch beisteuern, ist ungewöhnlich, hat aber seinen Grund: „Egal, ob man epileptische Anfälle, Tornados oder Monsterwellen vorhersagen möchte: Letztlich vermuten wir, dass den unterschiedlichen Klassen von extremen Ereignissen ähnliche Mechanismen zugrunde liegen, und versuchen diese These auch zu belegen“, erklärt Dr. Volker Jentsch vom Interdisziplinären Zentrum für komplexe Systeme (IZKS) der Universität Bonn. „Für die Vorhersage von Extremereignissen wird es nötig sein, aus der Fülle von Beobachtungsdaten die Parameter herauszufiltern, auf die es ankommt. Wir wollen herausfinden, mit welchen mathematischen Methoden und Modellen das möglich ist.“

Bei der Suche nach einer Antwort könnten die verschiedenen Disziplinen voneinander profitieren, sind die Herausgeber überzeugt. „Wir können zwar heute noch nicht sagen, ob sich Methoden aus der Finanzmathematik beispielsweise auch auf Krankheiten wie die Epilepsie anwenden lassen“, sagt Jentsch. „Ohne Zweifel ist jedoch ein methodischer Austausch für die Erforschung von Extremereignissen von höchster Bedeutung.“

Media Contact

Frank Luerweg idw

Weitere Informationen:

http://www.izks.uni-bonn.de

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