Berner Studie rehabilitiert Klimamodelle

Entnahme eines Sedimentkerns von einer Bohrplattform aus. © Oliver Heiri, Universität Bern.

Rekonstruktionen des Klimas sind nötig, da verlässliche Messdaten erst seit rund 150 Jahren existieren. Deshalb behilft sich die Wissenschaft mit sogenannten Proxies. Das sind Indikatoren, mit deren Hilfe sich vergangene Temperaturen auf indirekte Weise nachvollziehen lassen.

Eine weit verbreitete Methode nutzt dazu Pollen, die in Seesedimenten eingelagert worden sind. Aus der Zusammensetzung dieses Blütenstaubs lässt sich ableiten, welche Pflanzenarten an einem bestimmten Standort stark verbreitet waren – und weil bekannt ist, bei welchen Temperaturen welche Arten gedeihen, kann man so auf vergangene Temperaturen schliessen.

Auf die Analyse von Pollen – unter anderem von Weisstannen in Italien – stützten sich auch die einzigen bisher verfügbaren quantitativen Sommertemperatur-Rekonstruktionen für das nördliche Mittelmeergebiet. Sie zeigten im mittleren Holozän (vor 9'000 bis 5'000 Jahren) eine überdurchschnittlich kalte Phase. In die Vergangenheit des Klimas lässt sich aber auch mit Modellen blicken. Im Gegensatz zu den Pollenanalysen zeichnen die Modellsimulationen wärmere Sommertemperaturen für diese Zeitperiode nach.

Damit stand die Klimaforschung vor einem Rätsel: Warum stehen die Rekonstruktionen der Sommertemperaturen für den nördlichen Mittelmeerraum im mittleren Holozän in eklatantem Widerspruch zu den Aussagen von Klimamodellen?

«Die Diskrepanz zwischen den beiden Ergebnissen war derart gross», erklärt Oliver Heiri, Paläoökologe und einer der Autoren der Berner Studie, «dass einige Kollegen deswegen gar die Aussagekraft von Klimamodellen zu Regionen wie dem Mittelmeerraum angezweifelt haben.» Nun haben verschiedene Forschungsgruppen des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung der Universität Bern gemeinsam das Rätsel lösen können. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift «Nature Geosciences» publiziert.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit führte zur Lösung

Die Berner Forschenden zeigen auf, dass die Resultate anderer Rekonstruktions-Methoden sehr gut mit den Klimamodellen übereinstimmen. Für die vergangene Verbreitung wichtiger pollenproduzierenden Pflanzen-Arten waren nämlich nicht nur die Temperaturverhältnisse ausschlaggebend, sondern auch Faktoren wie Feuchtigkeit, frühe Landwirtschaft und Feuer.

Kommt in den Sedimentschichten zum Beispiel Pollen von Weisstannen vor, muss das nicht heissen, dass es kalt war. Diese Erkenntnis ist einer alternativen Rekonstruktionsmethode zu verdanken, die Oliver Heiri zusammen mit anderen Forschern erstmals für diesen Zeitraum im Mittelmeerraum einsetzte. Untersucht wurde die Verbreitung von Zuckmücken (Chironomiden). Dazu analysierten die Forschenden Sedimentkerne aus zwei Seen im Apennin.

Andere Berner Forschende konnten anschliessend nachweisen, dass die klimatischen Verhältnisse im Apennin repräsentativ sind für einen grossen Teil des nördlichen Mittelmeerraumes. Und sie zeigten, dass die neue Temperaturrekonstruktion mit Blick auf Modellergebnisse plausibel ist. «Erst der Austausch zwischen Forschern verschiedener Disziplinen ermöglicht es, ganz neue Hypothesen aufzustellen und diese dann auch zu überprüfen», sagt Oliver Heiri. «Das Oeschger-Zentrum ist für diese Art von Zusammenarbeit prädestiniert.»

Die neuen Erkenntnisse zum vergangenen Mittelmeerklima bedeuten nun aber nicht, dass der Wert von Pollenrekonstruktionen generell in Frage gestellt werden muss. In anderen geographischen Gebieten und vor allem für andere Zeiträume, so betont Oliver Heiri, sei die Methode durchaus aussagekräftig. «Unsere Arbeit zeigt aber klar, wie wichtig für die Klimaforschung die Entwicklung neuer Methoden ist.» Dadurch, so der Paläoökologe, liessen sich bestehendes Wissen überprüfen und neue Fragestellungen formulieren.

Angaben zur Publikation:

Stéphanie Samartin, Oliver Heiri, Fortunat Joos, Hans Renssen, Jörg Franke, Stefan Brönnimann and Willy Tinner: Warm Mediterranean mid-Holocene summers inferred from fossil midge assemblages, Nature Geoscience, 06.02.2017, doi: 10.1038/NGEO2891

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Nathalie Matter Universität Bern

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