Corona-Pandemie hat Himalaya-Gletscher weniger schmelzen lassen
Eine Verringerung der Luftverschmutzung auf ein Maß wie zu Zeiten der Corona-Pandemie könnte die Gletscher im Himalaya schützen und vor dem Verschwinden bis Ende des Jahrhunderts bewahren. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Forschungsteam durch eine Analyse der Situation während des COVID-19-Lockdown 2020. Die sauberere Luft habe dafür gesorgt, dass sich weniger Ruß auf den Gletschern abgelagert hat und so pro Tag 0,5 bis 1,5 mm weniger Schnee geschmolzen ist.
Der rasche Rückzug der Gletscher und der Verlust der Schneedecke stellen bereits jetzt eine Bedrohung für die nachhaltige Wasserversorgung von Milliarden von Menschen in Asien dar, die im Einzugsgebiet von Flüssen wie Indus, Ganges oder Jangtsekiang leben. Wenn es gelingen würde, die Emissionen von Luftschadstoffen wie Ruß zumindest auf das Niveau der Lockdowns zu reduzieren, könnte die Schneeschmelze um bis zur Hälfte verringert werden. Ein Umstieg auf saubere Energieversorgung und emissionsärmere Verkehrsmittel würde daher erhebliche Vorteile für eine nachhaltige Wasserversorgung, die Landwirtschaft und die Ökosysteme in weiten Teilen Asiens mit sich bringen, schreiben die Forschenden im Fachjournal Atmospheric Chemistry and Physics (ACP).
Die Auswirkungen der verringerten Verschmutzung auf die Schneeerwärmung im Himalaya und die Verringerung des Oberflächenwasserabflusses, wie sie während der COVID-19-Sperrzeit 2020 beobachtet wurden. 10.5194/acp-23-10439-2023
Die Gebirge des Hindukusch-Himalaya (HKH) und das Hochland von Tibet in Zentralasien bilden die größte schneebedeckte Region außerhalb der Pole. Das Schmelzwasser dieser Gletscher speist Flüsse in Indien und China, die die Landwirtschaft, die Wasserkrafterzeugung und die Wirtschaft dieser Länder antreiben. Die Himalaya-Schneeschmelze im Frühjahr liefert rund die Hälfte des jährlichen Süßwassers für rund 4 Milliarden Menschen in Südasien und Ostasien. Doch die Ressourcen schwinden: Die globale Erwärmung hat bereits zu einem Verlust von etwa 40 Prozent der Gletscherfläche des Himalayas im Vergleich zur Kleinen Eiszeit im Mittelalter geführt. Auch die Schneemasse hat dort in den letzten 30 Jahren – mit Ausnahme einiger Karakorum-Gletscher – stark abgenommen. Modellsimulationen für extreme Szenarien zeigen, dass die Schneeschmelze im Himalaya die Gletscher dort bis zum Ende des 21. Jahrhunderts verschwinden lassen könnte. Das sind beunruhigende Nachrichten für die Wasserversorgung von mehreren Milliarden Menschen.
Dass die Gletscher immer dünner werden, liegt zum einen am Klimawandel mit höheren Lufttemperaturen und veränderten Niederschlägen – also an langfristigen Ursachen, deren Bekämpfung noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird. Zur Gletscherschmelze tragen aber auch kurzfristige Faktoren stark bei wie die Verteilung und Ablagerung von lichtabsorbierenden Partikeln wie Staub und Ruß (schwarzer Kohlenstoff (BC)). Frühere Studien konnten bereits zeigen, dass Ruß den Schnee auf den Gletschern stärker schmelzen lässt als die Treibhausgase in der Atmosphäre. Der steigende Energiebedarf des dicht besiedelten Südasiens hat die Emissionen von Treibhausgasen und Rußpartikeln in den letzten Jahrzehnten stark erhöht, was zu einer verstärkten Verdunkelung und Schneeschmelze führt.
Die Konjunkturabschwächung durch die Lockdown-Maßnahmen während der Corona-Pandemie sorgte 2020 in dieser Region für einem drastischen Rückgang beim Personen- und Gütertransport, den Industrieemissionen und dem Energieverbrauch. In der Folge ging auch die Luftverschmutzung mit Treibhausgasen und vor allem mit Ruß deutlich zurück: Satellitenbeobachtungen zeigten einen saubereren Schnee mit fast einem Drittel weniger lichtabsorbierenden Verunreinigungen während des Lockdowns in Asien zwischen März und Mai 2020. Das führte 2020 zu einem Rückgang der Schneeschmelze um 25 bis 70 mm – verglichen mit dem 20-jährigen Mittel für die Monate März bis Mai im westlichen Himalaya. Die Veränderungen der Schneeabsorption und der Oberflächenalbedo sorgten so dafür, dass etwa 7 Kubikkilometer Schmelzwasser im Indus-Einzugsgebiet verblieben.
Für eine detaillierte Analyse der Auswirkungen einer geringeren Luftverschmutzung über Hochgebirgen Zentralasiens während der COVID-19-Lockdowns zwischen März und Mai 2020 verwendete das internationale Team von Forschenden aus Indien, Deutschland und Großbritannien globale Simulationen: Dazu nutzen sie das Chemie-Klima-Modell ECHAM6-HAMMOZ, das mit einer verbesserten Ruß-Schnee-Parametrisierung aktualisiert wurde, um die Corona-Zeit mit den typischen Luftverschmutzungsbedingungen zu vergleichen. Die Corona-Simulationen wurden mit einem COVID-19-Emissionsinventar durchgeführt, bei dem die Emissionen auf der Grundlage von Google- und Apple-Mobilitätsdaten berechnet wurden. Außerdem gingen verschiedene Beobachtungsdaten in die neue Studie ein: Die Schneebedeckung und die Trübung der Atmosphäre wurde mit MODIS-Spektraldaten der NASA bestimmt. Ergänzt wurden diese Daten durch Sonnenphotometer-Messungen von zwei Stationen des Aerosol Robotic Network (AERONET) in Lahore (Pakistan) und Duschanbe (Tajikistan). Die AERONET-Messungen in Duschanbe waren 2014 bis 2016 Teil des deutsch-tadschikischen Gemeinschaftsprojekts CADEX, bei dem die Akademie der Wissenschaften von Tadschikistan und TROPOS gemeinsam Mineralstaub über Zentralasien untersucht haben.
Die ECHAM6-HAMMOZ-Modellsimulationen zeigen, dass der COVID-Lockdown im Frühjahr 2020 zu einer saubereren Atmosphäre über den Gebirgen des Hindukusch-Himalaya und dem Hochland von Tibet geführt haben. „Die optische Aerosoldicke (AOD), also die Trübung der Atmosphäre, über dieser Region ist im April 2020 im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie um rund 10 Prozent gesunken. Dies wird durch die Messungen des Moderate Resolution Imaging Spectroradiometer (MODIS) der NASA gestützt, die ebenfalls eine Verringerung der AOD im Vergleich zum Mittelwert der letzten 20 Jahre zeigen“, berichtet Dr. Suvarna Fadnavis vom Indian Institute of Tropical Meteorology (IITM). Der Rückgang an Ruß wurde auch bei den bodengestützten Messungen des Aerosol Radiative Forcing Over India Network (ARFINET) beobachtet: über der indischen Ganges-Ebene (>50 %), Nordost-Indien (>30 %), den Himalaya-Regionen (16 %-60 %) und Tibet (70 %).
Die Verringerung der anthropogenen Luftverschmutzung führte in weiten Teilen der Hochgebirge Zentralasiens dazu, dass sich auch weniger Ruß auf dem Schnee ablagerte. Laut dieser Studie waren es im Frühjahr 2020 etwa 25 bis 350 Mikrogramm Ruß pro Kilogramm Schnee weniger, was bis zu einem Drittel der Ruß-Konzentration im Schnee dort entspricht. Sporadisch sind die Ruß-Konzentrationen im Schnee laut Modell jedoch auch in einigen Gebieten am Hindukusch, im östlichen Himalaya und im Kunlun-Gebirge gestiegen. Die scheinbar paradoxen Unterschiede sind darauf zurückzuführen, dass der Ruß nicht nur an der Oberfläche, sondern vor allem in der Atmosphäre mit der Sonnenstrahlung wechselwirkt. Dadurch kommt es zu komplexen Anpassungen der atmosphärischen Zirkulation und somit zu Änderungen des Transports und Ablagerung der Luftschadstoffe.
„Unsere Simulationen zeigen, dass der Rückgang der Ruß-Konzentration im Schnee und die allgemeine Verringerung der Luftverschmutzung sowie die damit verbundenen Strahlungseffekte den kurzwelligen Strahlungsantrieb an der Oberfläche im März bis Mai 2020 um bis zu 2 Watt pro Quadratmeter verringerten, was zu einer geringeren atmosphärischen Erwärmung führte. Diese geringere Erwärmung der Schneedecke und der troposphärischen Säule ist der kombinierte Effekt von weniger Ruß im Schnee und der Veränderungen der atmosphärischen Konzentrationen von Sulfat und Ruß“, erklärt Dr. Bernd Heinold vom TROPOS.
„Im Modell konnten wir zeigen, dass der Rückgang der Luftverschmutzung die Schneeschmelze im Frühjahr 2020 um 0.5 bis 1.5 Millimeter pro Tag reduziert und sich damit das abfließende Schmelzwasser im Jahr um bis zur Hälfte verringert hat.“ Die Verringerung der vom Menschen verursachten Verschmutzung während des COVID-19-Lockdowns kam den Hochgebirgen Zentralasiens also in vielerlei Hinsicht zugute: erhöhte Reflektivität der Schneeoberfläche, verringerte Schneeschmelze beziehungsweise erhöhte Schneebedeckung sowie ein Zuwachs an gespeichertem Wasser durch verminderten Oberflächenwasserabfluss.
„Unsere Ergebnisse machen deutlich, dass von den beiden Prozessen, die den Rückgang der Himalaya-Gletscher verursachen – der globalen Klimawandel und die lokale Luftverschmutzung – vor allem eine Reduktion der Luftverschmutzung eine kurzfristige Hilfe sein könnte“, betont Prof. Ina Tegen vom TROPOS. „Selbst wenn wir die CO2-Emissionen sofort stoppen würden, würden die Temperaturen zunächst nicht sinken. Unsere Ergebnisse bestätigen aber die Bedeutung der Reduzierung kurzlebiger Klimatreiber wie Ruß und ihre ergänzende Rolle bei der CO2-Minderung. Eine Verringerung der Luftverschmutzung auf ein ähnliches Niveau wie während der COVID-19-Lockdowns im Jahr 2020 könnte die Himalaya-Gletscher schützen, die ansonsten bis zum Ende des 21. Jahrhunderts zu verschwinden drohen.“ Seit 2000 haben die Gletscher im Himalaya fast einen halben Meter Eis pro Jahr verloren. Wenn es gelänge, die Luftverschmutzung auf ein Niveau zu senken, wie sie z.B. während der Corona-Pandemie war, dann könnte die Schneeschmelze um bis zur Hälfte reduziert werden. Luftreinhaltemaßnahmen würden also nicht nur der Gesundheit von Milliarden Menschen in Asien nutzen, sondern auch der Wasserversorgung, der Landwirtschaft und den Ökosystemen in großen Teilen Asiens. Tilo Arnhold
Publikation:
Fadnavis, S., Heinold, B., Sabin, T. P., Kubin, A., Huang, K., Rap, A., and Müller, R.: Air pollution reductions caused by the COVID-19 lockdown open up a way to preserve the Himalayan glaciers, Atmos. Chem. Phys., 23, 10439–10449, https://doi.org/10.5194/acp-23-10439-2023, 2023. (Published: 21 Sep 2023)
Die Arbeit in diesem Papier wurde von keiner Förderorganisation unterstützt.
Kontakte für die Medien:
Dr. Bernd Heinold
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Abteilung Modellierung Atmosphärischer Prozesse, Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS)
Tel. +49 341 2717-7052
https://www.tropos.de/institut/ueber-uns/mitarbeitende/bernd-heinold
und
Prof. Dr. Ina Tegen
Leiterin der Abteilung Modellierung atmosphärischer Prozesse, Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS)
Tel. +49 341 2717-7042
https://www.tropos.de/institut/ueber-uns/mitarbeitende/ina-tegen
sowie
Dr. Suvarna Fadnavis
Indian Institute of Tropical Meteorology (IITM)
Tel. +91-(0)20-25904542
https://www.tropmet.res.in/62-S.%20%20Fadnavis-scientist_detail
oder
Tilo Arnhold, TROPOS-Öffentlichkeitsarbeit
Tel. +49 341 2717-7189
http://www.tropos.de/aktuelles/pressemitteilungen/
Weitere Informationen und Links:
Numerische Modellierung am TROPOS: HAMMOZ
https://www.tropos.de/forschung/grossprojekte-infrastruktur-technologie/technolo…
Chemie-Transport Model COSMO-MUSCAT:
https://www.tropos.de/forschung/grossprojekte-infrastruktur-technologie/technolo…
TROPOS-Forschung für saubere Luft:
https://www.tropos.de/entdecken/forschung-fuer-saubere-luft
CADEX (Central Asian Dust EXperiment): https://www.tropos.de/forschung/grossprojekte-infrastruktur-technologie/verbundp…
Rauch der Black-Summer-Waldbrände in Australien beeinflusste über eineinhalb Jahre Klima und Höhenwinde der Südhalbkugel (TROPOS-Pressemitteilung, 06.09.2022):
https://www.tropos.de/aktuelles/pressemitteilungen/details/rauch-der-black-summe…
Wirkung des Lockdowns auf Luftqualität an den Straßen und damit im Alltag zu spüren (TROPOS-Pressemitteilung, 25.03.2021):
https://www.tropos.de/aktuelles/pressemitteilungen/details/wirkung-des-lockdowns…
Das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, die 97 selbständige Forschungseinrichtungen verbindet. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen.
Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit.
Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen – u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.500 Personen, darunter 11.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Der Gesamtetat der Institute liegt bei 2 Milliarden Euro. Finanziert werden sie von Bund und Ländern gemeinsam. Die Grundfinanzierung des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (TROPOS) wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst (SMWK) getragen. Das Institut wird mitfinanziert aus Steuermitteln auf Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.
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