Der Antarktis-Faktor: Modellvergleich offenbart zukünftiges Meeresspiegelrisiko
„Der 'Antarktis-Faktor' erweist sich als die größte Unbekannte, aber dadurch auch als das größte Risiko für den Meeresspiegel weltweit“, sagt Leitautor Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und dem Lamont-Doherty Erdobservatorium der Columbia University in New York.
„Während wir in den vergangenen 100 Jahren einen Anstieg des Meeresspiegels um etwa 19 Zentimeter erlebt haben, könnte der Anstieg durch den Eisverlust allein der Antarktis innerhalb dieses Jahrhunderts bis zu 58 Zentimeter betragen. Mit dieser Risikoabschätzung liefert die Studie wichtige Informationen für den Küstenschutz: Der Beitrag der Antarktis zum Meeresspiegel wird mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr als 58 Zentimeter betragen.“
Bislang sind die thermische Ausdehnung des sich erwärmenden Meerwassers und die schmelzenden Gebirgsgletscher die wichtigsten Faktoren für den Anstieg des Meeresspiegels.
Der jetzt in der Zeitschrift Earth System Dynamics der Europäischen Geowissenschaftlichen Union (EGU) veröffentlichten Studie zufolge wird der Anteil der Antarktis jedoch wohl absehbar zum wichtigsten Faktor werden. Alle Faktoren zusammen ergeben dann das Gesamtrisiko des Meeresspiegelanstiegs.
Durch die große Ergebnisspanne ist die Schätzung sehr robust
Die Bandbreite der Schätzungen zum zu erwartenden Meeresspiegelanstieg durch den Faktor Antarktis ist recht groß. Geht man davon aus, dass der Ausstoß von Treibhausgasen sich wie bislang fortsetzt, liegt die von den Wissenschaftlern als „sehr wahrscheinlich“ bezeichnete Spanne für dieses Jahrhundert zwischen 6 und 58 Zentimetern Meeresspiegelanstieg.
Geht man dagegen von einer schnellen Emissionsreduktion aus, liegt sie zwischen 4 und 37 Zentimetern. Wichtig ist, dass der Unterschied zwischen einem Szenario mit unverändertem Treibhausgasausstoß und einem Szenario mit Emissionsreduktionen auf längeren Zeitskalen, also weiter in der Zukunft, wesentlich größer wird.
Die Forscher berücksichtigten in ihren Berechnungen eine ganze Reihe physikalischer Einflussfaktoren, von der Klimasensitivität auf die Treibhausgasemissionen über den Wärmetransport im südlichen Ozean bis hin zur Meeresströmung unter den Antarktischen Eisschelfen.
Insgesamt waren 16 Eisschildmodellierungsgruppen mit 36 Forschenden aus 27 Instituten an dieser vom PIK koordinierten Studie beteiligt. Eine ähnliche Studie sechs Jahre zuvor musste sich noch auf die Ergebnisse von nur fünf Eisschildmodellen stützen. Diese Entwicklung spiegelt den Fortschritt und die zunehmende Bedeutung der Forschung zum antarktischen Eisschild wider.
„Risiken für Küstenmetropolen von New York bis Mumbai, von Hamburg bis Shanghai“
„Je mehr Computersimulationsmodelle wir verwenden, die alle leicht unterschiedliche dynamische Repräsentationen des antarktischen Eisschildes sind, desto größer ist die Bandbreite der Ergebnisse, die wir bekommen – aber desto robuster sind auch die Schätzungen, die wir der Gesellschaft liefern können“, sagt Sophie Nowicki, Ko-Autorin der Studie vom NASA Goddard Space Flight Center und eine Leitautorin des kommenden Berichts des Weltklimarats IPCC, die das übergreifende Eisschildmodell-Vergleichsprojekt ISMIP6 leitete.
„Es gibt immer noch große Unsicherheiten, aber wir können unser Verständnis des größten Eisschildes der Erde beständig verbessern. Der Vergleich von Modellergebnisse ist ein wirkungsvolles Instrument, um der Gesellschaft die notwendigen Informationen für rationale Entscheidungen zu liefern.“
Auf langen Zeitskalen – also in Jahrhunderten bis Jahrtausenden – hat der antarktische Eisschild das Potenzial, den Meeresspiegel um mehrere zehn Meter anzuheben. „Was wir mit Sicherheit wissen ist, dass das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas die Risiken für die Küstenmetropolen von New York bis nach Mumbai, Hamburg oder Shanghai weiter in die Höhe treibt“, erklärt Levermann.
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