Die Geburtsstunde des Antarktischen Eisschilds

Gerenderte Grafik des MARUM-MeBo70, wie es auf dem Meeresboden des Amundsenmeeres landet.
(c) Martin Künsting / MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen

Ein einzigartiger Bohrkern, verknüpft mit aufwendiger Modellierung, zeigt erstmals, wann und wo sich der heutige Eisschild der Antarktis gebildet hat – mit überraschenden Erkenntnissen.

Lange schien es stabil gegenüber dem Klimawandel zu sein, doch in den letzten Jahren hat auch hier die globale Erwärmung ihre Spuren hinterlassen: Das „ewige“ Eis in der Antarktis schmilzt stärker als bisher angenommen. Dabei scheint der Eisschild im Westen schneller zu verschwinden als im Osten. Das könnte seinen Ursprung in seiner Entstehung haben. Sedimentproben aus Bohrkernen verknüpft mit Modellierungsarbeiten zeigen, dass die Vereisung der Antarktis vor etwa 34 Millionen Jahren begann – jedoch nicht wie bisher angenommen vom Zentrum aus, sondern vielmehr vom östlichen Rand her. Erst etwa 7 Millionen Jahre später konnte sich Eis auch im Westen bilden. Die Ergebnisse zeigen, wie extrem unterschiedlich Ost- und Westantarktis auf äußere Einflüsse reagieren, wie die Forschenden in der renommierten Fachzeitschrift Science beschreiben.

Vor etwa 34 Millionen Jahren erlebte unser Planet eine der grundlegendsten Klimaveränderung, die das globale Klima bis heute beeinflusst: der Übergang von einem Treibhaus mit keinen oder nur ganz wenigen Eisflächen hin zu einem Eishaus mit dauerhaft vergletscherten Gebieten. In dieser Zeit baute sich der antarktische Eisschild auf. Wie, wann und vor allem von wo aus, war bisher noch nicht genau bekannt. Es fehlten zuverlässige Daten und Proben vor Ort, besonders aus der Westantarktis, welche die Veränderungen der Vergangenheit dokumentieren. Diese Wissenslücke konnten nun Forschende des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen des British Antarctic Survey, der Universität Heidelberg, der britischen Northumbria University, des MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen und weiteren Partnern der Universitäten Aachen, Leipzig, Hamburg, Bremen und Kiel, der University of Hobart (Australien), dem Imperial College London (UK), der University of Leicester (UK), der Université de Fribourg (Schweiz), der Universidad de Granada (Spanien), der Texas A&M University (USA), Senckenberg am Meer und der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover schließen.

Anhand eines Bohrkerns, den die Forschenden mit dem Bremer Meeresboden-Bohrgerät MARUM-MeBo70 vor den westantarktischen Pine Island und Thwaites Gletschern gezogen haben, konnten sie erstmals in die Geburtsstunde des Eisschildes blicken: Überraschenderweise lassen sich dort während der antarktischen Erstvereisung vor etwa 34 Millionen Jahren keine Anzeichen für eine Präsenz von Eis finden. „Somit muss eine großräumige, dauerhafte Erstvergletscherung irgendwo in der Ostantarktis begonnen haben“, sagt Dr. Johann Klages, Geologe am AWI, der das Forschungsteam leitete. Denn: Die Westantarktis blieb während dieses ersten glazialen Maximums eisfrei. Zu dieser Zeit war sie weiterhin zu großen Teilen von dichten Laubwäldern bedeckt und das kühl-gemäßigte Klima verhinderte, dass sich hier Eis bilden konnte.

Ost- und Westantarktis reagieren grundlegend anders auf äußere Bedingungen

Um genauer zu verstehen, wo sich das erste dauerhafte Eis der Antarktis bildete, haben Computersimulationen am AWI die nun neu vorliegenden aber auch bereits vorhandene Daten zu Luft- und Wassertemperaturen und dem Vorkommen von Eis verknüpft. „Die Simulation hat die Ergebnisse des besonderen Kerns der Geologen gestützt“, sagt Prof. Dr. Gerrit Lohmann, Paläoklimamodellierer am AWI. „Das krempelt unser Wissen um die antarktische Erstvereisung komplett um.“ Demnach herrschten nur in der Küstenregion des Nördlichen Viktorialandes in der Ostantarktis die klimatischen Grundvoraussetzungen, um dauerhaftes Eis zu bilden. Hier sind feuchte Luftmassen auf ein sich intensiv hebendes Transantarktisches Gebirge gestoßen – ideale Bedingungen für dauerhaften Schnee und in der Folge für die Bildung von Eiskappen. Von dort aus hat sich der Eisschild zügig ins ostantarktische Hinterland ausgebreitet. Bis er die Westantarktis erreichte, dauerte es jedoch noch: „Erst sieben Millionen Jahre später herrschten hier Bedingungen, unter denen sich ein Eisschild bilden konnte“, erklärt Hanna Knahl, Paläoklimamodelliererin am AWI. „Unsere Ergebnisse machen deutlich, wie kalt es erst werden musste, um den Eisvorstoß in die Westantarktis zu bringen, die bereits in vielen Teilen unterhalb des Meeresspiegels lag.“ Was die Untersuchungen auch eindrucksvoll zeigen ist, wie unterschiedlich die beiden Teile des antarktischen Eisschildes auf äußere Einflüsse und grundlegende klimatische Veränderungen reagieren. „Eine leichte Erwärmung reicht schon aus, um das Eis der Westantarktis wieder zum Schmelzen zu bringen – und genau da befinden wir uns gerade“ ergänzt Johann Klages.

Die Erkenntnisse des internationalen Forschungsteams sind immens wichtig, um den extremen Klimaübergang vom Treibhausklima der Vergangenheit in unser heutiges Eishausklima zu verstehen. So können Klimamodelle nun sehr viel genauer greifen, welche Auswirkungen permanent vergletscherte Bereiche auf die globale Klimadynamik, also die Wechselwirkungen zwischen Eis, Ozean und Atmosphäre haben. Das ist von entscheidender Bedeutung, wie Johann Klages sagt: „Vor allem vor dem Hintergrund, dass uns in naher Zukunft wieder eine solch fundamentale Klimaänderung bevorstehen könnte.“

Mit neuer Technik zu einzigartigen Erkenntnissen

Diese Wissenslücke konnten die Forschenden mit Hilfe eines einzigartigen Bohrkerns schließen, den sie auf der Expedition PS104 mit dem Forschungseisbrecher Polarstern im Jahr 2017 in der Westantarktis gezogen haben. Hierfür kam das am MARUM in Bremen entwickelte Bohrgerät MARUM-MeBo70 zum ersten Mal in der Antarktis zum Einsatz. Der Meeresboden vor den westantarktischen Pine Island und Thwaites Gletschern ist so verdichtet, dass es bisher nicht möglich war, mit konventionellen Methoden der Kernnahme tiefe Sedimente zu erreichen. Das MARUM-MeBo70 hat einen rotierenden Bohrkopf, der es möglich machte, etwa 10 Meter in den Meeresboden zu bohren und Proben zu entnehmen.

Finanziert wurde das Forschungsprojekt, insbesondere aber die Polarstern-Expedition PS104, durch Gelder des AWI, des MARUM, des British Antarctic Survey und des britischen International Ocean Discovery Program (UK-IODP).

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Johann Philipp Klages
Tel.: +49 (0)471 4831 1216
Johann.Klages@awi.de

Originalpublikation:

J. P. Klages, C.-D. Hillenbrand, S. M. Bohaty, U. Salzmann, T. Bickert, G. Lohmann, H. S. Knahl, P. Gierz, L. Niu, J. Titschack, G. Kuhn, T. Frederichs, J. Müller, T. Bauersachs, R. D. Larter, K. Hochmuth, W. Ehrmann, G. Nehrke, F. J. Rodríguez-Tovar, G. Schmiedl, S. Spezzaferri, A. Läufer, F. Lisker, T. van de Flierdt, A. Eisenhauer, G. Uenzelmann-Neben, O. Esper, J. A. Smith, H. Pälike, C. Spiegel, R. Dziadek, T. A. Ronge, T. Freudenthal, and K. Gohl. Ice sheet-free West Antarctica during peak early Oligocene glaciation. (2024). DOI: 10.1126/science.adj3931. Die Fachzeitschrift Science veröffentlicht das Paper online am Donnerstag, dem 04. Juli 2024.

Weitere Informationen:

http://www.eurekalert.org/press/scipak/
http://www.awi.de/ueber-uns/service/presse.html

Media Contact

Roland Koch Kommunikation und Medien
Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Geowissenschaften

Die Geowissenschaften befassen sich grundlegend mit der Erde und spielen eine tragende Rolle für die Energieversorgung wie die allg. Rohstoffversorgung.

Zu den Geowissenschaften gesellen sich Fächer wie Geologie, Geographie, Geoinformatik, Paläontologie, Mineralogie, Petrographie, Kristallographie, Geophysik, Geodäsie, Glaziologie, Kartographie, Photogrammetrie, Meteorologie und Seismologie, Frühwarnsysteme, Erdbebenforschung und Polarforschung.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Sensoren für „Ladezustand“ biologischer Zellen

Ein Team um den Pflanzenbiotechnologen Prof. Dr. Markus Schwarzländer von der Universität Münster und den Biochemiker Prof. Dr. Bruce Morgan von der Universität des Saarlandes hat Biosensoren entwickelt, mit denen…

3D-Tumormodelle für Bauchspeicheldrüsenkrebsforschung an der Universität Halle

Organoide, Innovation und Hoffnung

Transformation der Therapie von Bauchspeicheldrüsenkrebs. Bauchspeicheldrüsenkrebs (Pankreaskarzinom) bleibt eine der schwierigsten Krebsarten, die es zu behandeln gilt, was weltweite Bemühungen zur Erforschung neuer therapeutischer Ansätze anspornt. Eine solche bahnbrechende Initiative…

Leuchtende Zellkerne geben Schlüsselgene preis

Bonner Forscher zeigen, wie Gene, die für Krankheiten relevant sind, leichter identifiziert werden können. Die Identifizierung von Genen, die an der Entstehung von Krankheiten beteiligt sind, ist eine der großen…