Die Mesosphäre: Frühindikator für Klimaveränderungen und Labor physikalischer Grundlagenforschung
Etwa 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des internationalen Programms „NDMC – Network for the Detection of Mesospheric Change“ haben sich gestern in Grainau am Fuße der Zugspitze zusammengefunden, um sich drei Tage lang gegenseitig über den Stand ihrer Forschungen zur Mesosphäre zu informieren und um offene Fragen zu diskutieren.
Die Mesosphäre – der Höhenbereich von etwa 50 bis 100 Kilometern – ist eine Region, die für Messungen nicht einfach zugänglich ist. Mit Flugzeugen oder Ballonen etwa lassen sich diese Höhen nicht mehr erreichen. „So kommt es, dass dieses Stockwerk der Erdatmosphäre zu den am wenigsten erforschten Regionen unseres Planeten gehört – ganz ähnlich wie etwa die tiefsten Schichten unserer Ozeane“, erläutert Prof. Dr. Michael Bittner, Professor für Atmosphärenfernerkundung an der Universität Augsburg und Abteilungsleiter beim Earth Observation Center des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Bittner ist Organisator der Grainauer Tagung der Mesosphären-Forscherinnen und -Forscher aus aller Welt, die sich 2007 im NDMC zusammengeschlossen haben. Gegenwärtig sind an diesem Netzwerk rund 50 Forschungsgruppen aus 20 Nationen beteiligt. Sie alle verfügen über Messinstrumente, mit denen sie diesen fernen Höhenbereich beobachten können. Dazu gehören u. a. Spektrometer, Radiometer oder Laser, die über einen ausgedehnten Bereich des sichtbaren und infraroten elektromagnetischen Spektrums hinweg messen können. Die Signale können wie Fingerabdrücke gelesen werden und erlauben Rückschlüsse auf Temperatur, Wind und Spurenstoffe.
Frühindikator für Klimaveränderungen
Zentrale Fragestellungen der Mesosphärenforschung betreffen das Thema der Klimavariabilität: Anders als an der Erdoberfläche führt eine Erhöhung der Kohlenstoffdioxid-Konzentration in der Mesosphäre zu einer Abkühlung, wobei diese Abkühlung deutlich stärker ausfällt als die Erwärmung an der Oberfläche. „Dadurch“, so Bittner, „können wir die Temperaturentwicklung in der Mesosphäre gewissermaßen als Frühindikator für Klimaveränderungen nutzen. Trends können 'da oben' wegen der stärkeren Veränderungen schneller verlässlich erkannt werden, als es Messungen an der Erdoberfläche zulassen.“
Labor zur Untersuchung grundlagenphysikalischer Fragen
Weiterhin können in der Mesosphäre wegen ihrer vergleichsweise geringen Dichte – der Luftdruck beträgt in 100 Kilometern nur noch etwa ein Millionstel des Luftdrucks an der Erdoberfläche – viele grundlegenden physikalische Prozesse viel besser studiert werden als in den unteren Atmosphären-Etagen, z. B. atmosphärische Wellen:
Ganz ähnlich wie auf der Wasseroberfläche können sich Wellen auch in der Atmosphäre ausbilden. Diese werden etwa durch die Überströmung von Land-See-Übergängen, von Gebirgszügen oder von warmen Regionen erzeugt und wandern dann über weite Strecken durch die Atmosphäre. Sie transportieren dabei Energie und Impuls. Gewissermaßen als Kuriere verbinden sie verschiedene Atmosphärenbereiche miteinander. Dies ist ein Aspekt, der bei der Formulierung von computergestützten Klimamodellen unbedingt berücksichtigt werden muss, wenn man die Zielgenauigkeit von Prognosen verbessern will. Diese Wellen sind wegen der mit zunehmender Höhe abnehmenden Luftdichte in der Mesosphäre deutlich stärker ausgeprägt als in den tieferen Bereichen der Atmosphäre, sodass die Mesosphäre gewissermaßen als „Vergrösserungsglas“ bei der Beobachtung atmosphärischer Wellen dienen kann. „So können wir die Mesosphäre gewissermaßen als Labor zur Untersuchung grundlagenphysikalischer Fragen nutzen“, sagt Bittner.
Erkenntnisse aus dem Airglow
Bittners eigene Forschungen an der Universität Augsburg, am Earth Observation Center des DLR und auf der Umweltforschungsstation Schneefernerhaus (UfS) konzentrieren sich zum einen auf die sog. Mesopause, den Höhenbereich zwischen 80 und 100 Kilometern, in dem die Mesosphäre in den Weltraum übergeht. Verschiedene chemische und photochemische Reaktionen führen dort zu einer die Erde umspannenden leuchtenden Luftschicht, zum „Airglow“. Ursache für den Airglow sind Hydroxyl-Moleküle (OH), die die bei ihrer Bildung zugeführte Energie in Form von Licht im sichtbaren und infraroten Spektralbereich wieder abgeben.
Bittner: „Mit unserem bodengebundenen Infrarot-Spektrometer GRIPS können wir dieses Licht erfassen und auf die Temperatur in dieser großen Höhe schließen, um so Temperaturtrends möglichst früh erkennen und verfolgen zu können.“ In Kooperation mit dem DLR, Oberpfaffenhofen, werden diese Messungen routinemäßig von der Umweltforschungsstation Schneefernerhaus (UFS) auf der Zugspitze durchgeführt. Die vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz geförderte UFS liefert seit 15 Jahren Messdaten an Klimaforscher aus ganz Deutschland. Seit 2009 zählt auch die Universität Augsburg zu ihren Konsortialpartnern.
Reduktion von Tsunami-Fehlalarmen
Zwei weitere Forschungsaspekte werden von Bittner auf der Grundlage dieser Airglow-Daten verfolgt. Zum einen geht es dabei um die Reduktion von Fehlarmen bei Tsunamiereignissen. Gegenwärtig wird bei jedem stärkeren Seebeben Tsunamialarm ausgelöst. Häufig jedoch sind solche Beben nicht mit einer vertikalen Hebung des Seebodens verbunden, so dass keine Wassermassen vertikal angehoben werden und dementsprechend auch kein Tsunami entsteht. Bei einer vertikalen Hebung der Wasseroberfläche wird – analog einer Lautsprechermembran – Infraschall in die Atmosphäre eingekoppelt. Dieser läuft mit Schallgeschwindigkeit und erreicht nach etwa fünf Minuten 90 Kilometer Höhe. Der Schall ist eine Dichtwelle und hinterlässt eine Spur im Luftleuchten. GRIPS kann dieses Airglow-Flimmern erkennen. Wird also über dem Epizentrum eines Bebens nach etwa fünf Minuten kein Airglow-Flimmern beobachtet, so wurde kein Tsunami erzeugt und eine Warnung muss nicht herausgegeben werden.
Genauere Prognosen zum Verhalten starker Sturmsysteme
Zum anderen ermöglichen die Airglow-Daten auch eine Optimierung der Prognosegenauigkeit mit Blick auf die Lebensdauer, die Intensität und die Zugbahn von starken Sturmsystemen und insbesondere von sogenannte Vb-Wetterlagen, wie sie regelmäßig zu Starkniederschlägen und zu Hochwasser in Süddeutschland führen. Ähnlich wie der Rotor eines Hubschraubers erzeugt ein starker Zyklon Wellen in der Atmosphäre. Hier handelt es sich insbesondere um Infraschallwellen, um tieftonigen, also nicht hörbaren Schall, sowie um vertikal schwingende Luftpakete, sogenannte Schwerewellen. Je stärker diese Wellen angeregt sind, desto stärker muss der zugrunde liegende Zyklon sein. „Wir arbeiten an Verfahren, die es auf der Grundlage unserer GRIPS-Technologie möglich machen, diese Wellen über einem Zyklon von Satelliten aus kontinuierlich zu erfassen, um daraus auf den Zustand des Zyklons schließen und die Informationen unmittelbar in ein Prognosemodell einfließen lassen zu können.“
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Michael Bittner
Telefon: +49(0)8153-28-1379
michael.bittner@dlr.de
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