Dynamische Steinfelder mit großer Artenvielfalt
Studie der Uni Kiel liefert neue Erkenntnisse zu Dynamik von küstennahen Steinfeldern in der Ostsee.
Viele küstennahe Flachwasserbereiche in der Ostsee sind geprägt von Steinfeldern – Gebiete, die neben Sand vor allem aus größeren Steinen und Blöcken aufgebaut sind. Hier siedelt eine Vielzahl an Organismen. Fische finden wichtige Laich- und Schutzgebiete, Seevögel und andere Meeresbewohner wertvolle Nahrung. Diese marinen Lebensräume sind hoch dynamisch und verändern sich stetig.
So haben etwa der Meeresspiegelanstieg, Sturmfluten, Baumaßnahmen oder auch der Eintrag von Nährstoffen maßgeblichen Einfluss auf das Ökosystem. Bisher gibt es allerdings nur wenige detaillierte und flächenhafte Informationen über die sedimentologische Ausbildung des Meeresbodens in den Flachwasserzonen bis in die Uferbereiche entlang der Ostseeküste. Diese Lücke schließt nun eine neue Studie, die unter Federführung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) kürzlich in der Fachzeitschrift Geosciences erschienen ist.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Geowissenschaften der Uni Kiel haben daher gemeinsam mit ihren Partnern von der Benthosökologie des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel und dem Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR) in mehrjähriger Forschung die Dynamik von Steinvorkommen in der südwestlichen Ostsee am Beispiel von Testfeldern detailliert untersucht und ihre Funktion für die dort siedelnden Lebensgemeinschaften analysiert.
Dabei ist es ihnen gelungen, mit einem transdisziplinären Ansatz eine Forschungsmethode zu entwickeln, mit der ein kohärentes Bild der Steinfelder aufgezeigt werden kann, das die Perspektiven der Geologie, Biologie und Ökologie vereint.
„Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Steinfelder in der Ostsee sich nicht nur in ihrer physikalischen Struktur unterscheiden, sondern auch hoch dynamisch sind,“ sagt Gitta Ann von Rönn, Erstautorin der Studie und Doktorandin in der Arbeitsgruppe Küstengeologie und Sedimentologie am Institut für Geowissenschaften an der Uni Kiel.
„Die großen Steine sind weitaus weniger stabil als bisher angenommen. Mit unserer Methodik konnten wir erstmals mehrere, teilweise gleichzeitig ablaufende Prozesse identifizieren, die zu erheblichen Veränderungen der Struktur von Steinfeldern führen und damit auch die Besiedlung dieser Lebensräume entscheidend verändern können,“ so von Rönn weiter.
Für ihre Untersuchungen verwendeten die Forschenden hydroakustische Daten, Laboranalysen von Sedimentzusammensetzungen und Analysen von benthischen Lebensgemeinschaften, In-situ-Vermessungen durch Taucher, sowie Daten des lokalen Wind- und Wellenklimas. Durch die Kombination der unterschiedlichen Methoden entstand ein umfassendes Bild zur Variabilität und Dynamik dieser Lebensräume in der südwestlichen Ostsee. Dazu gehört die Freilegung von Steinen und Blöcken aus dem Geschiebemergel durch Erosion.
Dieser Prozess führt dazu, dass die Anzahl der Steine und Blöcke in den Untersuchungsgebieten zunimmt und über Zeiträume von mehreren Jahrzehnten eine größere Besiedlungsfläche für Organismen entsteht. Ein zweiter Prozess läuft in deutlichen kürzeren Zeitskalen bei erhöhter Wellenaktivität ab. Die Steine werden dabei gedreht, und das je nach Größe der Steine mehrfach pro Jahr. Auch hier kommt es zu einer Neubesiedelung der bisherigen Unterseite der Steine. Besonders bemerkenswert ist allerdings ein weiterer Prozess, der Transport von Steinen in entferntere Küstenbereiche.
„Bisher sind wir davon ausgegangen, dass Steinfelder nur innerhalb von Restsedimenten vorkommen, also Ablagerungen, die aus der letzten Eiszeit stammen. Durch die detaillierte Analyse des Untergrundes konnten wir aber nun feststellen, dass dynamische Prozesse wie Wellen oder Strömungen auch zu einer Umverteilung von größeren Steinen in solche Bereiche führen, die von weicheren, feinkörnigeren Sedimenten aufgebaut sind. Das sind vor allem Ablagerungen von ehemaligen Lagunen und Süßwasserseen, die bisher nie mit dem Vorkommen von Steinfeldern in Verbindung gebracht wurden,“ erklärt Co-Autor Dr. Klaus Schwarzer vom Institut für Geowissenschaften. Durch die Umverteilung können neue Lebensräume entstehen und bestehende sich weiter ausbreiten.
Die Erfassung, Untersuchung und Überwachung mariner Ökosysteme und Lebensräume in den Flachwasserbereichen der schleswig-holsteinischen Ostseeküste sind wichtige Bestandteile zur Umsetzung nationaler und europäischer Gesetze und Richtlinien im Bereich des Meeresschutzes. Sie bieten für Ministerien und Behörden eine wichtige Grundlage für Maßnahmen zum Erhalt der Artenvielfalt in der Ostsee. Noch bis in die 1970er Jahre wurden größere Steine und Blöcke gezielt für Maßnahmen des Küstenschutzes oder für den Bau von Steinmolen an Hafenanlagen aus dem Flachwasser der Ostsee entnommen. Erst später setzte sich die Erkenntnis durch, dass Steine nicht nur den Meeresboden vor der Erosion schützen, sondern vor allem ein wichtiger Lebensraum für viele, überwiegend sessile Organismen sind. Großalgen und vor allem Miesmuscheln siedeln vorwiegend auf den größeren Steinen oder Blöcken.
Im Rahmen des Forschungsprojektes GeoHab-BALDESH, einer Kooperation zwischen dem Institut für Geowissenschaften (IfG) an der Universität Kiel und dem LLUR konnten erstmals Flachwasserbereiche zwischen der Flensburger Förde und der Mecklenburger Bucht entlang der schleswig-holsteinischen Ostseeküste flächendeckend kartiert und die Funktion der Steinfelder, die sich von der Uferzone bis in rund 20 Meter Wassertiefe erstrecken, umfassend analysiert werden. Das Projekt wurde vom LLUR gefördert.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Gitta Ann von Rönn
Institut für Geowissenschaften, Universität Kiel
Telefon: 0431/880-7257
E-Mail: Gitta.vonroenn@ifg.uni-kiel.de
Originalpublikation:
von Rönn, G.A.; Krämer, K.; Franz, M.; Schwarzer, K.; Reimers, H.-C.; Winter, C. Dynamics of Stone Habitats in Coastal Waters of the Southwestern Baltic Sea (Hohwacht Bay). Geosciences 2021, 11, 171. https://doi.org/10.3390/geosciences11040171
Weitere Informationen:
https://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/106-steinfelder-ostsee
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