Folgen des Gletscherschwunds
Heidelberger Wissenschaftler untersuchen Gletschersee-Ausbruch im Himalaya-Gebirge.
Die Ursachen eines Gletschersee-Ausbruchs in der indischen Ladakh-Region mit Überschwemmungen als Folge haben Wissenschaftler des Südasien-Instituts und des Heidelberg Center for the Environment der Ruperto Carola untersucht. Um die Fallstudie in einen größeren Zusammenhang zu stellen, erarbeiteten die Forscher unter der Leitung des Geographen Prof. Dr. Marcus Nüsser mithilfe von Satellitenaufnahmen ein umfassendes Inventar von Gletscherseen der gesamten Trans-Himalaya-Region von Ladakh. Dabei konnten sie für einen Zeitraum von fünfzig Jahren Veränderungen in der Ausdehnung und Anzahl sowie bislang nicht dokumentierte Gletschersee-Ausbrüche identifizieren. Die Risikobewertung für solche Ereignisse – Glacial Lake Outburst Flood (GLOF) genannt – soll auf diese Weise deutlich verbessert werden.
„Im Zuge des weltweiten Gletscherschwunds, verursacht durch den Klimawandel, wird die Gefahr von Gletschersee-Ausbrüchen zunehmend als drängendes Problem wahrgenommen“, betont Prof. Nüsser vom Südasien-Institut. Bei einem solchen Ereignis werden unkontrolliert große Mengen an Wasser freigesetzt. Zum Beispiel in Form von Sturzfluten können sie Schäden in Siedlungen, landwirtschaftlich genutzten Bereichen und Infrastruktur hervorrufen. Um mehr über einen solchen Ausbruch herauszufinden, haben die Heidelberger Wissenschaftler einen Gletschersee-Ausbruch in Ladakh untersucht, dessen Flutwelle im August 2014 Häuser, Felder und Brücken des Dorfes Gya zerstörte. Die Untersuchungen des auf einer Höhe von über 5.300 Metern gelegenen Gletschersees zeigen, dass der Seespiegel vor dem GLOF-Ereignis kurzfristig stark angestiegen war.
Wie die Forscher herausgefunden haben, war dafür ein „bislang kaum bekannter Mechanismus“ verantwortlich: „Eine verstärkte Gletscherschmelze sorgte für einen extrem raschen Anstieg des Wasserspiegels. Der Entwässerungsvorgang erfolgte dann jedoch nicht als Überlauf, sondern es kam aufgrund des Auftauens von Eiskernen in der Moräne, also in den Schuttablagerungen des Gletschers, zu einem unterirdischen, tunnelartigen Austritt des Wassers, ohne die Moräne oberflächlich zu zerstören“, erläutert Marcus Nüsser.
Neben den Untersuchungen des Geländes befragten die Wissenschaftler auch die Bevölkerung zu ihren Beobachtungen in Zusammenhang mit diesem GLOF-Ereignis. Auf Basis von Satellitenaufnahmen untersuchten sie außerdem die Entwicklung des Gletschersees seit den 1960er-Jahren, um somit mögliche GLOF-Ereignisse zu rekonstruieren.
„Die zeitlich und räumlich hoch aufgelöste Fernerkundung mit Satellitenaufnahmen in Kombination mit Methoden der Feldforschung vor Ort sollen dazu beitragen, das mögliche Risiko künftiger Ausbrüche in dieser Region besser abzuschätzen“, betont der Heidelberger Geograph. Angesichts der immer wiederkehrenden GLOF-Ereignisse können die Gefahren mithilfe des neuen Inventars „neu bewertet, verwundbare Stellen identifiziert und mögliche Anpassungsmaßnahmen entwickelt werden“, so Marcus Nüsser. In dem betroffenen Dorf Gya zum Beispiel wurden nach der Überschwemmung als Hochwasserschutzmaßnahme Betonmauern entlang des unterspülten Flussufers errichtet, um so die Bevölkerung und Felder vor zukünftigen Fluten zu schützen.
Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Natural Hazards“ veröffentlicht.
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Originalpublikation:
S. Schmidt, M. Nüsser, R. Baghel u. J. Dame: Cryosphere hazards in Ladakh: the 2014 Gya glacial lake outburst flood and its implications for risk assessment. Natural Hazards (2020); https://doi.org/10.1007/s11069-020-04262-8
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