Geheimnisse entlockt: „Tiefe Biosphäre“ geprägt durch gelöstes organisches Material von der Erdoberfläche
In der Zeitschrift Nature Communications berichtet ein Forschungsteam mit Leitautorin Helena Osterholz vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung über Wege, auf denen sich mikrobielle Gemeinschaften in der nährstoffarmen „tiefen Biosphäre“ ein Überleben sichern können. In unterschiedlichen tiefen Grundwässern wurden dazu gelöste organische Verbindungen (dissolved organic matter: DOM) untersucht. Ergebnis: Der größte Teil gut verwertbarer, labiler Materie wird bereits in den obersten Bodenschichten umgesetzt. Darunter dominieren nur noch Mischungsprozesse. Das verbleibende DOM führt zur Selektion einer stabilen Mikrobengemeinschaft, die sich von dieser schwer verdaulichen Kost ernähren kann.
Tief unter der uns umgebenden oberflächlichen Biosphäre, in dem der Kreislauf des Lebens hauptsächlich durch Photosynthese angetrieben wird, existiert eine mehrere Kilometer weit in die Lithosphäre hineinreichende „tiefe Biosphäre“. Sie enthält rund ein Viertel der gesamten globalen mikrobiellen Biomasse und ist somit ein wichtiger Anteil des Kohlenstoff-Haushaltes der Erde. Über tiefreichende Grundwässer kommt diese Lebenswelt mit einem breiten Spektrum gelöster organischer Materie (DOM) in Kontakt. Dieses DOM stellt theoretisch eine Hauptnahrungsquelle für Mikroorganismen dar. Über die Rolle, welche die Zusammensetzung und die damit verbundene Bioverfügbarkeit dieser Stoffe bei der Ernährung in der tiefen kontinentalen Biosphäre spielen, die sich generell durch Nährstoff- und Energiearmut – also eher lebensfeindliche Bedingungen auszeichnet, ist bisher noch wenig bekannt.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Zugang zu dieser Welt äußerst schwierig ist. Exzellente Forschungsbedingungen bietet dagegen das Äspö Hard Rock Laboratory an der schwedischen Ostseeküste. Ein 3,6 km langes Tunnelsystem, das sich teilweise bis unter die Ostsee erstreckt, ermöglicht den Zugang zu Grundwasser im tiefen Untergrund des Skandinavischen Schildes. Aus unterschiedlichen Tiefen dieses Tunnels hat ein deutsch-schwedisches Team mit Forschenden der Linnaeus University, Kalmar, der Swedish University of Agricultural Sciences, Uppsala, dem Äspö Hard Rock Laboratory, Oskarshamn, des Unternehmens Terralogica AB, der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, und dem Leibniz Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) Wasserproben entnommen. Dabei erfassten sie je nach Position innerhalb des Tunnelsystems Grundwässer, die entweder durch Niederschläge und Brackwasser der heutigen Ostsee beeinflusst waren, oder solche, die mit salzhaltigem Wasser eines Vorgängermeeres in Kontakt waren. Ihre Hypothese: Die mikrobiellen Gemeinschaften in den tiefen Klüften des Kontinentes werden von der Erdoberfläche aus ernährt – durch das DOM. Um das zu überprüfen, hat das Team die Konzentration und die molekulare Zusammensetzung des DOM zusammen mit den stabilen und radiogenen Kohlenstoff- und Wasserisotopenwerten, der Wasserchemie und der Struktur der mikrobiellen Gemeinschaften in Kluftwasser-Proben unterschiedlicher Tiefe, unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft verglichen.
„Wir konnten anhand unserer vielseitigen Untersuchungsmethoden zeigen, dass das DOM in allen Proben – von den rezenten durch die Ostsee beeinflussten bis hin zu alten salzhaltigen Kluftwässern des Fennoskandischen Schildes, die schon seit über 100,000 Jahren im Untergrund gespeichert sind – eine starke terrigene Signatur enthält“, erläutert die Warnemünder Meereschemikerin Helena Osterholz die Ergebnisse. „Es fällt aber auch auf, dass sich immer ein Kernmikrobiom finden lässt, und das, obwohl die Chemie der Grundwässer völlig unterschiedlich war.“
Die Autorinnen und Autoren führen den Befund darauf zurück, dass auf dem Weg vom Oberflächen- zum Grundwasser die leicht zersetzbaren Kohlenstoffverbindungen im DOM abgebaut werden, sodass die refraktäre organische Substanz übrig bleibt. Dieses dominante Angebot relativ schwer nutzbarer organischer Substanz löste wiederum die selektive Ausbildung einer stabilen Gemeinschaft von Mikroorganismen aus.
Helena Osterholz ist sich sicher: „Hinsichtlich der Bedeutung des DOM in der Nährstoffversorgung aquatischer Systeme kratzen wir erst an der Oberfläche. Wir konnten am Beispiel der tiefen Biosphäre zeigen, dass ein Multimethoden-Ansatz neue Erkenntnisse bringt. Das geht am besten in spannenden Kooperationen wie dieser, in der jeder seine eigene Expertise aus der Mikrobiologie, Geologie, und Chemie einbringt.“
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Originalpublikation:
Osterholz, H., Turner, S., Alakangas, L. J., Tullborg, E.-L., Dittmar, T., Kalinowski, B. E. & Dopson, M.: Terrigenous dissolved organic matter persists in the energy-limited deep groundwaters of the Fennoscandian Shield. Nat. Commun. 13, 4837 (2022). https://doi.org/10.1038/s41467-022-32457-z
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