Gletscherschwund in den europäischen Alpen

Oberer Grindelwald Gletscher und Schreckhorn (h.r.) in den Berner Alpen. FAU/Christian Sommer

Wer ältere Bilder der Alpen mit heutigen vergleicht weiß: Die Auswirkungen des Klimawandels sind auch in den Alpen greifbar. Das zeigen kontinuierliche Messungen an sogenannten Referenzgletschern. Da deren Auswahl sich zum Großteil auf die hohen Zentralalpen beschränkt, ist diese aber nicht zwangsläufig repräsentativ für den gesamten Alpenraum.

Um ein vollständiges Bild des Gletscherschwundes in den Alpen zu zeichnen, hat ein Forschungsteam vom Institut für Geographie der FAU erstmals Flächen- und Höhenänderungen aller alpinen Gletscher in Frankreich, der Schweiz, Österreich und Italien zwischen 2000 und 2014 gemessen.

Verlust von 17 Prozent des gesamten Eisvolumens

Das Ergebnis: Im Zeitraum von 2000 bis 2014 verloren alle Gletscher der Alpen ein Eisvolumen von über 22 Kubikkilometer – das entspricht ungefähr 17 Prozent des gesamten Eisvolumens alpiner Gletscher zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Mit Ausnahme der höchsten Erhebungen der Zentralalpen erstreckt sich die Eisschmelze inzwischen bis in die höchstgelegenen Gletscherbereiche.

Die stärksten Verluste traten in den weit vergletscherten Gebirgsmassiven der Schweizer Alpen auf. Die großen Talgletscher der Berner Alpen (Jungfrau-Aletsch Region) verloren alleine 4,8 Gigatonnen im untersuchten Zeitraum bei einer mittleren Eisdickenabnahme von 0,72 Meter pro Jahr. Das entspricht einem Eisvolumen von annähernd fünf Kubikkilometern.

Lokale Schmelzraten der unteren Gletscherbereiche waren um ein Vielfaches höher. Am Terminus des Grossen Aletschgletschers, dem größten Gletscher der Alpen, wurde ein Abschmelzen der Gletscheroberfläche um mehr als 5 Meter pro Jahr gemessen.

Auf regionaler Ebene ermöglichen die Satellitenmessungen erstmals den direkten Vergleich einzelner Länder und Gebirgszüge im Alpenraum. So zeigte sich, dass besonders die tief hinabreichenden Gletscherzungen der großen Talgletscher der Zentralalpen massiv abschmelzen, während in den niedrigeren Randgebirgen relative Eismassenverluste geringer ausfallen aufgrund der generell geringeren Vergletscherung in tieferen Tallagen.

Blick aus dem All

Für ihre Studie verglichen die Forscherinnen und Forscher dreidimensionale Geländemodelle aus Daten des deutschen Radarsatelliten TanDEM-X und der deutsch-amerikanischen Shuttle Radar Topograhpy-Satellitenmissionen und kombinierten sie mit Änderungen der Gletscherausdehnungen aus optischen Aufnahmen der Landsat-Satelliten der NASA. Entscheidender Vorteil dieses Verfahrens: die Kombination von annähernd gleichzeitigen Flächen- und Höhenmessungen.

Ähnliche Studien aus anderen Gebirgsregionen der Erde gehen in der Regel von einer konstanten vergletscherten Fläche während des gesamten Beobachtungszeitraums aus. Besonders in stark dynamischen Gletscherregionen mit hohen Rückzugsraten wie den europäischen Alpen kann dies zu einer beträchtlichen Unterschätzung der tatsächlichen Massenbilanz führen.

Vorhersage des Schmelzwasserabflusses

Die Ergebnisse der Studie liefern auch wichtige Erkenntnisse für Wirtschaft, Gesellschaft und Forschung. So sind die Gletscher der Alpen eine unmittelbare Komponente der Wasserversorgung und Energiegewinnung vieler Länder: Studien zeigen, dass aus hydrologischer Sicht Schmelzwässer alpiner Gletscher während der Sommermonate einen nicht unerheblichen Anteil des Wasserabflusses großer europäischer Flusssysteme stellen.

So ergaben beispielsweise frühere Abschätzungen des Wasserabflusses einen Anteil von bis zu 20 Prozent aus Gletscherschmelzwasser für Rhone und Po während der Sommermonate. Christian Sommer vom Institut für Geographie der FAU erklärt: „Die gewonnenen Daten bilden daher die Grundlage für akkuratere Modellierungen in Hinblick auf den zukünftigen Rückzug alpiner Gletscher und können damit auch genutzt werden, um Veränderungen des Schmelzwasserabflusses und der Hydrologie des alpinen Raumes und darüber hinaus vorherzusagen.“

Weitere Informationen:
Christian Sommer
Institut für Geographie der FAU
chris.sommer@fau.de

DOI: 10.1038/s41467-020-16818-0

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Dr. Susanne Langer idw - Informationsdienst Wissenschaft

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http://www.fau.de/

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