Große Mengen an Schmelzwasser auf ostantarktischem Eisschelf

Quelle: AWI

Die ostantarktischen Eisschelfe könnten anfälliger für Klimaveränderungen sein als bislang angenommen. Ein Forscherteam unter Beteiligung des Alfred-Wegener-Instituts hat große Mengen an Schmelzwasser im Roi Baudouin-Schelfeis nachgewiesen. Verantwortlich dafür sind starke Winde, die warme Luft transportieren und den Schnee wegwehen. Das ist das Ergebnis einer Studie, die jetzt in der Online-Ausgabe des Fachmagazins Nature Climate Change veröffentlicht worden ist.

Vor zwei Jahren entdeckten internationale Wissenschaftler durch Zufall eine ungewöhnliche, ringförmige Bruchstelle im Roi Baudouin-Schelfeis in der Ost-Antarktis. Schnell verbreitete sich die Frage, ob es sich hierbei um einen Einschlagskrater eines hunderte Tonnen schweren Meteoriten handeln könnte. Die Vermutung erwies sich jetzt nach näheren Untersuchungen durch Eis-Experten als falsch.

Im Januar 2016 hat der belgische Wissenschaftler und Erstautor der Studie Jan Lenaerts von der Universität Utrecht mit einem Team den Krater vor Ort genauer erforscht. In Kombination mit Klimamodellen und Satellitenaufnahmen haben sie herausgefunden, was zu dieser Ringstruktur geführt hat. Ihre Ergebnisse veröffentlichen sie jetzt in der Online-Ausgabe des Fachmagazins Nature Climate Change.

Tatsächlich handelte es sich nicht um einen Meteoriten-Einschlag. Der Verdacht hat allerdings zu überraschenden Erkenntnissen geführt. Die Wissenschaftler konnten mit Beteiligung der AWI-Glaziologen Prof. Dr. Olaf Eisen und Dr. Veit Helm nachweisen, dass es in der Ost-Antarktis deutlich größere Mengen an Schmelzwasser gibt als bislang angenommen. Sie entdeckten zahlreiche glaziale Seen auf und im Eis. Auch bei der vor zwei Jahren gefundenen Bruchstelle handelt es sich um einen früher mit Wasser gefüllten glazialen See. Im Schelfeis befinden sich zudem viele bisher nicht bekannte Schmelzwasser-Flüsse.

Schelfeis ist der auf der Meeresoberfläche schwimmende Teil eines Gletschers. Es ist für die Stabilität des Eisschildes von Bedeutung, weil es die Fließgeschwindigkeit des nachrückenden Eises aus dem Landesinneren bremst. „Das ganze System ist allerdings an einer Grenzschwelle“, sagt Olaf Eisen. „Wenn es verstärkt zu wärmeren Sommern kommt, weitet sich die Schmelzfläche aus. Dadurch könnte das Schelfeis instabiler werden und schließlich auseinanderbrechen. Dies ist noch kein Horrorszenario, aber eine ernst zu nehmende Beobachtung.“

Als Ursache haben die Wissenschaftler starke Winde ausgemacht, sogenannte katabatische Winde. Diese wehen vom Hochplateau des antarktischen Inlandeises hinunter Richtung Küste. Dort gibt es quasi einen Knick an dem Übergang zwischen dem Abhang des Festland-Eises und dem horizontal auf dem Wasser liegenden Schelfeis. Die Winde tragen permanent Luft in diese Region, wie beim Föhn in den Alpen, der am Knick stärker verwirbelt. An dieser Stelle sorgen die Winde dafür, dass der Schnee an der Oberfläche kontinuierlich weggeweht wird.

„Das dadurch teilweise offen liegende feste Eis ist dunkler als der weiße Schnee und absorbiert folglich mehr Sonnenenergie – die Oberfläche wird stärker erwärmt“, sagt Olaf Eisen. „Normalerweise reichen die kalten Jahresmitteltemperaturen aus, damit das Wasser schnell wieder friert. Wenn es allerdings zu warm wird, bildet sich so viel Schmelzwasser, dass es sich durch das Schelf seinen Weg ins Meer sucht. Das kann auf Dauer das Schelfeis schwächen und instabiler machen.“

Bei der Ringstruktur selbst handelt es sich um eine sogenannte Eisdoline. „Sie entsteht, wenn sich Schmelzwasser im Inneren oder nahe der Oberfläche eines Gletschers ansammelt, an seiner Oberseite wieder friert, das Wasser darunter aber nach unten abfließt. Dann entsteht im Gletscher ein Hohlraum, dessen Decke irgendwann einstürzt. In Grönland und auf Schelfeisen an der Antarktischen Halbinsel werden solche Trichterbildungen bereits seit den 1930er Jahren beobachtet“, sagt Olaf Eisen. Für die Ost-Antarktis sind die Kenntnisse allerdings neu – wobei der Krater selbst keineswegs neu war: Ausgewertete Satellitenbilder zeigen, dass die Ringstruktur bereits im Jahr 1989 existierte. Olaf Eisen: „Das Schmelzwasser gibt es dort also schon länger und insgesamt scheint das System über die vergangenen Jahrzehnte auch stabil gewesen zu sein. Aber es ist eben deutlich empfindlicher als bisher bekannt. Das heißt, eine kleine Störung des Systems könnte bereits große Auswirkungen haben.“

Originalpublikation:

J. T. M. Lenaerts, S. Lhermitte, R. Drews, S. R. M. Ligtenberg, S. Berger, V. Helm, C. J. P. P. Smeets, M. R. van den Broeke, W. J. van de Berg, E. Van Meijgaard, M. Eijkelboom, O. Eisen, F. Pattyn: Meltwater produced by wind-albedo interaction stored in an East Antarctic ice shelf, Nature Climate Change, DOI: 10.1038/nclimate3180

Hinweise für Redaktionen:

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Das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der gemäßigten sowie hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der 18 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.

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