Küstenerosion in der Arktis verstärkt die globale Erwärmung
Der Verlust arktischer Permafrostböden durch die Erosion der Küste könnte künftig zu einer Verstärkung des Treibhauseffekts führen. Das zeigen Untersuchungen von Sedimentproben aus dem ochotskischen Meer an der Ostküste Russlands, die AWI-Wissenschaftler analysiert haben.
Ein Verlust von Permafrostböden in dieser Region führte zum Ende der letzten Eiszeit gleich mehrfach zu einer plötzlichen Zunahme der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre.
Heute weiß niemand genau, wie stark die Treibhausgaskonzentrationen in Zukunft noch steigen werden. Das liegt auch daran, dass Kohlendioxid nicht allein vom Menschen durch die Verbrennung von Gas, Kohle und Öl freigesetzt wird, sondern dass Treibhausgase auch durch andere Umweltprozesse in die Atmosphäre gelangen könnten.
Gefürchtet wird besonders die sich selbst verstärkende Wechselwirkung von Erwärmung und Freisetzung immer weiterer Mengen an Kohlendioxid aus natürlichen Quellen. Um besser abschätzen zu können, ob und wie solche Entwicklungen tatsächlich möglich sind, schauen Klimawissenschaftler in die Vergangenheit, um Spuren solcher Ereignisse zu finden.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) ist es jetzt gelungen gemeinsam mit Kollegen aus Kopenhagen und Zürich ein solches Phänomen für die arktischen Permafrostböden nachzuweisen.
Wie die Autoren im Journal Nature Communications schreiben, konnten sie durch Untersuchungen vor der Küste des Ochotskischen Meeres im Osten Russlands nachweisen, dass vor mehreren Tausend Jahren aus Permafrostböden in der Küstenregion große Mengen an Kohlendioxid freigesetzt wurden – und dass die Ursache dafür der Meeresspiegelanstieg gewesen ist.
Beim Permafrost handelt es sich um Böden, die ganzjährig bis zu mehrere Hundert Meter tief gefroren sind, einige davon seit der letzten Eiszeit vor rund 20.000 Jahren oder sogar noch länger. Diese Böden konservieren wie eine Kühltruhe riesige Mengen abgestorbener Biomasse, vor allem aus Pflanzen. Taut der Permafrost auf, werden Bakterien aktiv, die die uralte Biomasse abbauen und durch ihren Stoffwechsel die Treibhausgase Kohlendioxid und Methan freisetzen.
Bekannt ist heute, dass es vor rund 11.500, 14.600 und 16.500 Jahren jeweils zu einem deutlichen und raschen Anstieg der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre kam. Die Ursachen für die drei schnellen Schwankungen sind bisher kaum verstanden. Um nach diesen Ursachen zu fahnden, machten sich die Wissenschaftler um die AWI-Geologinnen Dr. Maria Winterfeld und Prof. Dr. Gesine Mollenhauer auf ins Ochotskische Meer.
„Ursprünglich hatten wir angenommen, dass damals der riesige Fluss Amur sehr große Mengen pflanzlichen Materials aus dem Hinterland ins Meer getragen hat, das im Wasser von Mikroorganismen zu Kohlendioxid abgebaut worden ist. Wir haben daher Sedimentproben am Grunde des Ochotskischen Meeres genommen und diese untersucht.“
Die Ergebnisse waren überraschend. Tatsächlich konnten die Forscher tief in den Sedimenten Nachweise auf pflanzliche Überreste finden, die sich am Grunde des Meeres abgelagert haben. Diese waren viele Tausend Jahre älter als die Ablagerungen in der Umgebung. „Damit war klar, dass sie aus sehr altem Permafrostboden stammen mussten, der aus irgendeinem Grund plötzlich aufgetaut war. Besonders viele dieser alten Pflanzenreste wurden vor 11.500, 14.600 und 16.500 Jahren ins Meer gespült. Der Amur jedoch zeigte zu diesen Zeiten keine deutlich erhöhten Abflussraten.“
Gesine Mollenhauer und ihr Team fanden die Lösung beim Blick auf die Veränderung des Meeresspiegels seit der letzten Eiszeit. Insbesondere vor rund 11.500 und 14.600 Jahren kam es durch größeres Abschmelzen der großen Eisschilde an Land zu sogenannten Schmelzwasserpulsen. Zu dieser Zeit stieg der Meeresspiegel innerhalb weniger Jahrhunderte um je bis zu 20 Meter an. „Wir gehen davon aus, dass dadurch die Permafrostküsten am Ochotskischen Meer und rund um den Nordpazifik sehr stark abgetragen wurden. Ein Phänomen, das wir auch heute in der Arktis beobachten.“ Damit gelangten große Mengen Jahrtausende alter Pflanzenreste ins Meer, die teilweise von Bakterien zu Kohlendioxid abgebaut wurden oder sich am Boden des Meeres ablagerten.
Um herauszufinden, ob ein solcher Abtrag von Permafrost tatsächlich wesentlich zu einem Anstieg der globalen Kohlendioxidkonzentration beigetragen haben könnte, simulierte ihr AWI-Kollege Dr. Peter Köhler mithilfe eines Computermodells des globalen Kohlenstoffkreislaufes die Situation.
Er schätzte die wahrscheinliche Größe der Permafrostfläche ab, die damals ans Meer verloren ging, und erhielt so Zahlen über die Menge an Kohlendioxid, die seinerzeit mutmaßlich freigesetzt wurde. Die Ergebnisse lassen aufhorchen. Vor 11.500 und vor 14.600 Jahren dürfte der Abtrag an arktischem Permafrost rund 50 Prozent zur Kohlendioxidzunahme beigetragen haben, vor 16.500 Jahren immerhin zu einem Viertel.
Damit hat das AWI-Team einen Prozess aufgedeckt, der künftig tatsächlich Realität werden könnte. Schon heute bricht die Permafrostküste in der Arktis immer stärker ab, weil es dort immer wärmer wird – an manchen Stellen zieht sich die Küste 20 Meter pro Jahr ins Inland zurück. Gesine Mollenhauer: „Diese Küstenerosion ist nach dem, was wir jetzt herausgefunden haben, eine nennenswerte Größe, die in Klimamodellen bislang aber nicht ausreichend berücksichtigt ist. Solche Effekte sollten künftig unbedingt in die Modelle einfließen.“
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Das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der gemäßigten sowie hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der 18 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.
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