Nachhaltiges Lithium für viele Jahrzehnte

Ausbreitung des Lithium-abgereicherten Thermalwassers um die Injektionsbohrung entlang der Störungszone nach 30 Jahren
Grafik: Valentin Goldberg und Fabian Nitschke

Mit bestehenden Geothermiebohrungen im Oberrheingraben könnte über mehrere Jahrzehnte zuverlässig Lithium gefördert werden, ohne dass diese Rohstoffquelle versiegt. Das zeigen aktuelle Datenanalysen von Forschenden des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Ihre Ergebnisse haben sie in der Fachzeitschrift Energies veröffentlicht (DOI: 10.3390/en16165899).

Auf dem Weg zur Klimaneutralität braucht Europa viel Lithium für Batteriespeicher – es produziert bislang aber nur ein Prozent der weltweiten Fördermenge. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des KIT untersuchen deshalb Möglichkeiten, Lithium aus geothermischen Quellen zu gewinnen. „Theoretisch könnten bestehende Geothermiekraftwerke im Oberrheingraben und im Norddeutschen Becken zwischen zwei und zwölf Prozent des jährlichen Lithiumbedarfs in Deutschland decken“, sagt Valentin Goldberg vom Institut für Angewandte Geowissenschaften (AGW) des KIT, der dieses Potenzial gemeinsam mit einem Team auf Basis einer umfangreichen Datenanalyse berechnet hat. Unklar war bislang allerdings, wie lange eine Förderung möglich ist.

Mit einer weiteren Studie geben die Forschenden nun einen optimistischen Ausblick: „Nach unseren Erkenntnissen ist ein Abbau mit geringen Umweltkosten über viele Jahre möglich“, so Goldberg. „Das für die Studie entwickelte Modell beschreibt eine mögliche Lithiumförderung im Oberrheingraben, die Parameter sind aber so gewählt, dass sie sich auch auf andere Kluftsysteme übertragen lassen.“

Modellierung geothermaler Lithiumproduktion

Die Förderung von Lithium aus Thermalwässern ist keine herkömmliche Form des Bergbaus, weshalb bei der Analyse auch nicht auf die dabei üblichen Methoden zurückgegriffen werden konnte. „Das im Wasser gelöste Lithium kommt in einem weitverzweigten Netzwerk aus Klüften und Hohlräumen im Gestein vor. Es ist aber nur punktuell über einzelne Bohrungen zugänglich“, erklärt Dr. Fabian Nitschke vom AGW, der ebenfalls an der Forschung beteiligt war. „Die Größe des Reservoirs hängt daher von der Wassermenge ab, die über die Bohrungen hydraulisch erschlossen werden kann.“ Um das Potenzial der Lithiumproduktion zu berechnen, mussten die Forschenden berücksichtigen, wie viel Wasser gefördert werden kann, welche Menge an Lithium dieses Wasser enthält und wie viel davon pro Zeiteinheit extrahiert werden kann. „Wir nutzen dafür eine dynamische Transportmodellierung, angelehnt an die Untergrundverhältnisse des Oberrheingrabens, bei der wir thermische, hydraulische und chemische Prozesse gekoppelt betrachten. Ähnliche Modelle sind bereits aus der Öl- und Gasindustrie bekannt, wurden aber bisher noch nicht auf Lithium angewendet“, so Nitschke.

Da bei der Geothermie das geförderte Wasser nach der Nutzung über eine zweite Bohrung wieder in den Untergrund zurückgeführt wird, stellte sich den Forschenden die Frage, ob der Lithiumgehalt des Tiefenwassers mit der Zeit abnimmt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Lithiumkonzentration in der Förderbohrung im ersten Drittel des Betrachtungszeitraums von 30 Jahren durch Verdünnung mit dem zurückgeführten Wasser zwischen 30 und 50 Prozent abnimmt. Danach nähert sie sich aber einem konstanten Wert an. „Das ist auf das offene Kluftsystem zurückzuführen, das kontinuierlich frisches Tiefenwasser aus anderen Richtungen nachliefert“, sagt Nitschke. Basierend auf den Modellannahmen scheint eine kontinuierliche Lithiumförderung über Jahrzehnte möglich: „Im Grunde zeigt der Abbau dieser unkonventionellen Ressource einen klassischen Lagerstättenzyklus. Auch bei der Kohlenwasserstoffförderung oder im Erzbergbau ist die Ausbeute am Anfang am höchsten und nimmt dann allmählich ab.“

Beschreibung: Ausbreitung des Lithium-abgereicherten Thermalwassers um die Injektionsbohrung entlang der Störungszone über einen Zeitraum von 30 Jahren (Animation: Valentin Goldberg und Fabian Nitschke)

Sinnvolle Investition in eine nachhaltige Zukunft

Für Thomas Kohl vom AGW, der die Forschung als Professor für Geothermie und Reservoir-Technologie am KIT leitet, sind die Forschungsergebnisse ein weiteres Argument für einen breiten Ausbau der Geothermie: „Wir wussten bereits, dass die Geothermie uns über Jahrzehnte grundlastfähige, erneuerbare Energie liefern kann. Unsere Studie zeigt nun, dass ein einziges Kraftwerk im Oberrheingraben zusätzlich bis zu drei Prozent des jährlichen deutschen Lithiumbedarfs decken könnte.“

Auch an Lösungen zur praktischen Umsetzung arbeitet seine Forschungsgruppe. So stellte sie jüngst eine Studie in der Fachzeitschrift Desalination vor, in der sie eine unter realen Bedingungen getestete Thermalwasservorbehandlung für die Rohstoffextraktion demonstrierte. „Im nächsten Schritt muss nun die Skalierung der Technologie auf einen industriellen Maßstab erfolgen“, so Kohl.

Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 9 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 22 300 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Martin Heidelberger
Pressereferent
Tel.: +49 721 608-41169
http://martin.heidelbergerqkit.edu

Originalpublikation:

Goldberg, V.; Dashti, A.; Egert, R.; Benny, B.; Kohl, T.; Nitschke, F.: Challenges and Opportunities for Lithium Extraction from Geothermal Systems in Germany – Part 3: The Return of the Extraction Brine. Energies, 2023. DOI: 10.3390/en16165899

https://doi.org/10.3390/en16165899

Goldberg, V.; Winter, D.; Nitschke, F.; Held, S.; Groß, F.; Pfeiffle, D.; Uhde, J.; Morata, D.; Koschikowski, J.; Kohl, T.: Development of a continuous silica treatment strategy for metal extraction processes in operating geothermal plants. Desalination, 2023. DOI: 10.1016/j.desal.2023.116775

https://doi.org/10.1016/j.desal.2023.116775

Weitere Informationen:

https://media.bibliothek.kit.edu/world/2023/DIVA-2023-168_mp3.mp3
https://www.kit.edu/kit/pi_2022_092_grenzen-der-lithiumgewinnung-aus-geothermie….
https://www.energie.kit.edu/

https://www.kit.edu/kit/pi_2023_066_nachhaltiges-lithium-fuer-viele-jahrzehnte.php

Media Contact

Monika Landgraf Stab und Strategie - Gesamtkommunikation
Karlsruher Institut für Technologie

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Geowissenschaften

Die Geowissenschaften befassen sich grundlegend mit der Erde und spielen eine tragende Rolle für die Energieversorgung wie die allg. Rohstoffversorgung.

Zu den Geowissenschaften gesellen sich Fächer wie Geologie, Geographie, Geoinformatik, Paläontologie, Mineralogie, Petrographie, Kristallographie, Geophysik, Geodäsie, Glaziologie, Kartographie, Photogrammetrie, Meteorologie und Seismologie, Frühwarnsysteme, Erdbebenforschung und Polarforschung.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Spitzenforschung in der Bioprozesstechnik

Das IMC Krems University of Applied Sciences (IMC Krems) hat sich im Bereich Bioprocess Engineering (Bioprozess- oder Prozesstechnik) als Institution mit herausragender Expertise im Bereich Fermentationstechnologie etabliert. Unter der Leitung…

Datensammler am Meeresgrund

Neuer Messknoten vor Boknis Eck wurde heute installiert. In der Eckernförder Bucht, knapp zwei Kilometer vor der Küste, befindet sich eine der ältesten marinen Zeitserienstationen weltweit: Boknis Eck. Seit 1957…

Rotorblätter für Mega-Windkraftanlagen optimiert

Ein internationales Forschungsteam an der Fachhochschule (FH) Kiel hat die aerodynamischen Profile von Rotorblättern von Mega-Windkraftanlagen optimiert. Hierfür analysierte das Team den Übergangsbereich von Rotorblättern direkt an der Rotornabe, der…