Neues Sedimentarchiv für die historische Klimaforschung
TU Graz-Forschende entdecken neues Sedimentarchiv für die historische Klimaforschung.
Geologische Untersuchungen von niedrigtemperierten jungen Ablagerungen am Steirischen Erzberg liefern der Paläoklimatologie neue Daten zur Erdgeschichte und deren Entwicklung.
Wie hat sich das Klima im Laufe der Erdgeschichte verändert? Welche klimatischen Prozesse haben die Erde und ihre Atmosphäre beeinflusst? Die Paläoklimatologie sucht Antworten auf solche Fragen, um Klimaveränderungen besser zu verstehen und Prognosen für zukünftige Klimaszenarien ableiten zu können.
Als Grundlage dienen dabei sogenannte sedimentäre Archive: Gesteinsablagerungen, deren Bestandteile und Beschaffenheit Auskunft darüber geben, welche Temperaturen und Klimabedingungen zum Zeitpunkt ihrer Bildung herrschten. Über die Klimaentwicklung in der jungen Erdgeschichte ab der letzten Eiszeit vor 20.000 Jahren geben entsprechend junge geologische Ablagerungen Aufschluss. Im Vergleich zu weit verbreiteten Meerwasserablagerungen sind sedimentäre Archive auf dem Festland – wie zum Beispiel im Alpenraum – jedoch sehr selten.
Neue Daten für die Paläoklimaforschung
Einem internationalen Konsortium unter Leitung des Instituts für Angewandte Geowissenschaften (IAG) der TU Graz ist hier nun eine sensationelle Entdeckung geglückt. In einer Publikation für Communications Earth and Environment präsentiert die Gruppe neu entdeckte, geologisch sehr junge Ablagerungen am Steirischen Erzberg, deren Bedeutung als sedimentäres Archiv für die Paläoklimaforschung erstmals untersucht wurde.
„Dass wir nun in einem kontinentalen Sedimentarchiv derart junge geologische Ablagerungen gefunden haben, wie sie sonst nur in marinen Sedimentarchiven zu finden sind, ist sensationell und eine Datenfundgrube für die Klimaforschung“, erklärt der Erstautor der Studie Andre Baldermann vom IAG.
Niedrige Bildungstemperatur und junges Ablagerungsalter
Konkret handelt es sich um sedimentäre Verfüllungen von Störungen und Klüften, die aus den karbonatischen Mineralien Dolomit, Aragonit und Kalzit bestehen. Es ist bekannt, dass sich das Karbonat-Mineral Dolomit beim Verdunsten von Meerwasser auskristallisiert, was wiederum hohe Temperaturen voraussetzt. Baldermann und sein Team konnten nun erstmals zeigen, dass das Mineral sich aber auch schon bei Temperaturen zwischen null und zwanzig Grad bilden kann – dazu gab es bislang keine Absolutdaten.
Darüber hinaus stellten die Forschenden fest, dass es sich um vergleichsweise geologisch junge Mineralien handelt, die kurz nach der letzten Eiszeit vor ca. 20.000 Jahren in einem nicht-marinen (kontinentalen) Ablagerungsraum entstanden sind. Baldermann: „Dies stellt eine Neuheit dar, da junge Bildungen des Minerals bis dato fast ausschließlich an Meerwasserablagerungen gebunden waren.“
Materialanalyse durch Multimethodenansatz
Bei den Analysen kam die gesamte Klaviatur der geologischen Untersuchungsmethoden zum Einsatz. Die Gesteinsproben wurden mikroskopisch beschrieben und systematisch klassifiziert. Die Bestimmung der mineralogischen Zusammensetzung erfolgte mittels Röntgendiffraktometrie und die chemischen Eigenschaften wurden mithilfe hochauflösender Elektronenmikroskopie definiert. Für die Altersdatierungen und Temperaturrekonstruktionen wurden die Proben durch hochmoderne Massenspektrometrie elementar und isotopisch analysiert.
„Die Vielzahl an Ergebnissen erlaubte es uns, Rückschlüsse über die Wasserführung, die Wasserzusammensetzung, das Mineralwachstum und die Bildungstemperaturen zu ziehen“, so Baldermann.
Nutzen für die Klimaforschung
„Die Klimaforschung funktioniert größtenteils über die Analyse von Meeresablagerungen, weil wir hier sehr viele Sedimente (marine Sedimente, Anm.) über den gesamten Verlauf der Erdgeschichte archiviert haben. Kontinentale Sedimentarchive sind rar und werden auch nur sehr selten berücksichtigt. Ihre Ablagerungen liefern zumeist nur wenige Informationen über die alten Umweltbedingungen“, so Baldermann. Er ist davon überzeugt, dass die neuen publizierten Daten über die Ablagerungen am Erzberg hier Abhilfe schaffen und neue Perspektiven zur Klimaentwicklung der jüngeren Vergangenheit geben.
Diese Forschung ist im Field of Expertise „Advanced Materials Science“ verankert, einem von fünf strategischen Schwerpunktfeldern der TU Graz.
Die Arbeiten wurden unterstützt durch das NAWI Graz Central Lab Water, Minerals and Rocks, durch das Bergbauunternehmen VA Erzberg sowie durch Forschende der Universitäten Wien und Graz. Finanzielle Mittel wurden aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) zur Verfügung gestellt.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Andre BALDERMANN
Dr.rer.nat. M.Sc.
TU Graz | Institut für Angewandte Geowissenschaften
Telefon: +43 316 873 6850
E-Mail: baldermann@tugraz.at
Originalpublikation:
Fracture dolomite as an archive of continental palaeo-environmental conditions
Andre Baldermann, Florian Mittermayr, Stefano M. Bernasconi, Martin Dietzel, Cyrill Grengg, Dorothee Hippler, Tobias Kluge, Albrecht Leis, Ke Lin, Xianfeng Wang, Andrea Zünterl, Ronny Boch
Nature Communications Earth and Environment
Doi: 10.1038/s43247-020-00040-3
Weitere Informationen:
https://www.tugraz.at/forschung/fields-of-expertise/advanced-materials-science/u… (Field of Expertise „Advanced Materials Science“)
https://www.nawigraz.at/de/research/infrastruktur/central-labscore-facilities/ (NAWI Graz)
http://www.vaerzberg.at/ (VA Erzberg)
https://www.tugraz.at/institute/iag/home/ (Institut für Angewandte Geowissenschaften)
Media Contact
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Geowissenschaften
Die Geowissenschaften befassen sich grundlegend mit der Erde und spielen eine tragende Rolle für die Energieversorgung wie die allg. Rohstoffversorgung.
Zu den Geowissenschaften gesellen sich Fächer wie Geologie, Geographie, Geoinformatik, Paläontologie, Mineralogie, Petrographie, Kristallographie, Geophysik, Geodäsie, Glaziologie, Kartographie, Photogrammetrie, Meteorologie und Seismologie, Frühwarnsysteme, Erdbebenforschung und Polarforschung.
Neueste Beiträge
Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen
An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…
Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean
20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….
Resistente Bakterien in der Ostsee
Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…