Neues Sensornetzwerk registriert ungewöhnliches Schwarmbeben im Vogtland
Das soeben fertig installierte Überwachungsnetz aus seismischen Sensoren in Bohrlöchern zeichnete Tausende Erdbebensignale auf – ein einzigartiger Datensatz zur Erforschung der Ursache von Schwarmbeben.
Seit dem 20. März registriert ein neu fertiggestelltes, einmaliges Netzwerk aus besonders empfindlichen Bohrloch-Seismometern erstmals seit 1962 im Vogtland bei Klingenthal, im Grenzgebiet zwischen Tschechien und Deutschland, einen ungewöhnlichen Erdbebenschwarm. Bereits in den ersten 14 Tagen haben die neuen Messstationen Tausende von Erdbeben mit Magnituden zwischen 0 und 2.6 in einer Tiefe von acht bis zehn Kilometern registriert. Damit liefern sie einzigartige Daten zur Untersuchung der Ursachen von Erdbebenschwärmen im Vogtland. Das neuartige Schwarmbeben-Überwachungsnetz besteht aus fünf bis zu 400 Meter tiefen Bohrungen, die mit besonders empfindlichen Seismometern ausgestattet wurden. Es wurde im Rahmen eines Projektes des Internationalen Kontinentalen Bohrprogramms (ICDP) durch ein internationales wissenschaftliches Konsortium unter Leitung des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ aufgebaut.
Schwarmbeben im Vogtland
„Der aktuelle Erdbebenschwarm ist in mehrerlei Hinsicht ungewöhnlich, nicht nur wegen der bereits erreichten Dauer von mehr als 14 Tagen, sondern auch weil es der erste Schwarm der aktivsten Region um Novy Kostel ist, der so weit nördlich auftritt und teilweise deutsches Gebiet betrifft“, sagt Torsten Dahm, Leiter der GFZ-Sektion „Erdbeben- und Vulkanphysik“ und Professor für Geophysik an der Universität Potsdam, der das Projekt von Seiten des GFZ leitet. „Ungewöhnlich ist auch die Form des Erdbebenschwarms in etwa 10 Kilometer Tiefe, da die Beben erstmalig eine horizontale, kreisförmige Struktur aktivieren. Wir haben so ein Muster bisher noch nicht im Vogtland gesehen“, so Dahm, der nun gemeinsam mit Kolleg:innen auch mit der weiteren Analyse dieser Beben befasst ist.
Schwarmbeben sind eine Abfolge einer Vielzahl von Erdbeben ähnlicher Magnitude, die in bestimmten Regionen über Zeiträume von mehreren Tagen, Wochen oder Monaten auftreten. Sie kommen weltweit vor allem in vulkanisch aktiven Regionen vor. Daher wird vermutet, dass sie von Fluidbewegungen im Untergrund ausgelöst werden.
Die sächsische Region zwischen Bad Brambach, Plauen und Oelsnitz ist regelmäßig von Erdbebenschwärmen betroffen, welche in Zusammenhang mit magmatischen Prozessen im Erdmantel und der Erdkruste stehen. Der jetzige Schwarm bei Klingenthal liegt nördlich der aktivsten Schwarmbebenzone der Region bei Novy Kostel in Tschechien, die sich in den letzten Jahren sowohl nach Süden wie nach Norden ausgeweitet hatte. Die Ausdehnung dieser Zone beträgt damit bereits mehr als 15 Kilometer Länge.
„Die Phänomene in dieser Region sind weltweit gesehen von wissenschaftlichem Interesse, da das Vogtland ein seltenes Beispiel dafür ist, die Entstehung von magmatisch-vulkanischen Prozessen und von Erdbebenschwärmen in der Erdkruste fern von tektonischen Plattengrenzen zu studieren“, erläutert Dahm. Die Phänomene und Prozesse erzeugen allerdings nur schwache Signale und sind schwer zu messen, weshalb an ein Überwachungsnetz besondere Anforderungen bestehen.
Neue Infrastruktur „ICDP-Eger“ zum dauerhaften Monitoring im Vogtland und in Böhmen
Aus diesem Grund wurde seit 2015 unter Federführung des GFZ ein internationales Wissenschaftskonsortium gegründet, um die Empfindlichkeit der seismischen Überwachungsnetze zu verbessern und ein dauerhaftes Monitoringprogramm für die Region aufzubauen. Neben weiteren Institutionen aus Deutschland wie den Universitäten Potsdam und Leipzig, sind aus Tschechien die Universität Prag und die Akademie der Wissenschaften vertreten, aber auch Partner aus der Universität Aarhus (Dänemark) und des US-Geologial Survey (USA). 2016 wurde das ICDP-Projekt „Drilling the Eger Rift: Magmatic fluids driving the earthquake swarms and the deep biosphere“ bewilligt.
Die Planung, Genehmigung und Durchführung nahm einige Jahre in Anspruch, wobei 25 Prozent der operativen Kosten durch das ICDP, dessen Koordinierung durch ein Team von GFZ-Wissenschaftler:innen, Techniker:innen und Ingenieur:innen erfolgt, bereitgestellt wurden. Die übrigen 75 Prozent wurden von anderen Geldgebern (u.a. über das ICDP-Schwerpunktprogramm der DFG) kofinanziert.
Die Installation des Überwachungsnetzes: Bohrungen und Ausstattung mit Messgeräten und speziellen Seismometern
In dem Projekt-Antrag waren verschiedene Bohrungen vorgesehen, sowohl für Fluidanalysen als auch zur seismischen Überwachung.
Die sogenannte Mofettenbohrung (F3) begann im August 2019 und erreichte eine Tiefe von 239 Metern. Sie befindet sich in der Nord Hartoušov CO2-Mofette im Egerbecken in Tschechien etwa 10 Kilometer östlich von Bad Brambach. Bei Mofetten handelt es sich um natürliche Austrittskanäle für CO2 aus dem Erdinneren. „Die Bohrung war schwierig, weil es das erste Mal war, dass ein so tiefes Loch in eine aktive CO2-Mofette unter Überdruck gebohrt wurde“, erläutert Heiko Woith, Wissenschaftler in der GFZ-Sektion „Erdbeben- und Vulkanphysik“, der die Fluidbohrungen koordinierte. Die Bohrung und die Verrohrung wurden im September 2019 erfolgreich abgeschlossen.
Die Bohrung bildet zusammen mit zwei früheren Messstellen ein einzigartiges Fluid-Observatorium aus drei benachbarten Flachbohrungen innerhalb einer aktiven CO2-Mofette, um kontinuierlich die Fluidzusammensetzung, die Isotopensignatur (δ13CCO2, δ18OCO2) und die Fluidflüsse in einer Tiefe von 30 bis 229 Metern aufzuzeichnen. Nach COVID-bedingten Verzögerungen sind die meisten der erforderlichen Sensor-/Erfassungssysteme nun installiert und die kontinuierliche Überwachung läuft. Die Datenströme stehen dem Konsortium seit Herbst 2020 zur Verfügung. Darüber hinaus wurden Bohrkerne über die gesamte Bohrtiefe gesammelt, die derzeit von den Mikrobiologie-Teams des GFZ analysiert werden.
Weltweit einmalige seismologische Antenne
Die Bohrungen S1 bis S4 beherbergen die seismologische Instrumentierung in einer Tiefe von bis zu 400 Metern. Die Instrumentierung umfasst 8 bzw. 10-Element-Hochfrequenz-Geophonketten und Breitbandsensoren am Fußende der Bohrlöcher.
Die Bohrung bei Landwüst (S1) wurde zudem durch ein Netz aus 15 hochempfindlichen Oberflächenstation mit einem Durchmesser von etwa 400 Metern ergänzt. „Das ist weltweit eine einmalige Konfiguration einer dreidimensionalen, seismologischen Antenne mitten in einem Schwarmbebengebiet“, sagt Matthias Ohrnberger, Wissenschaftler an der Universität Potsdam, der die Geometrie des 3D Arrays entworfen hatte. „Mit dieser Konfiguration können wir jetzt neuartige Methoden zur Untersuchung von Kleinstbeben ausprobieren.“
Die Bohrungen bei Studenec (S3), Tisova/Klingenthal (S2) und Liba (S4) konnten im Herbst 2023 und April 2024 mit den seismischen Sensoren bestückt werden.
Die Daten stehen der wissenschaftlichen Gemeinschaft u.a. via GEOFON-Datenportal zur Verfügung
Die kontinuierlichen, hochfrequenten Daten (400 bzw. 1000 Hertz Samplingrate) der vier seismologischen Bohrungen werden alle in dem GEOFON Datenportal am GFZ zusammengeführt und fließen auch an die am Forschungsprojekt beteiligte Universität Potsdam und die seismologischen Dienste in Sachsen. Sie stehen der Wissenschaft zusammen mit den Daten der umliegenden seismischen Netze frei zur Verfügung (virtuelles EGER Netz, doi:10.14470/SN852091). „Damit werden die Daten des ICDP-Bohrlochnetzes Eger erstmalig vollständig verfügbar gemacht“, sagt Torsten Dahm.
Neue wissenschaftliche Möglichkeiten durch das ICDP-Eger Bohrlochnetz
2024 starteten bereits zwei durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG geförderte Drittmittelprojekte am GFZ und der Universität Potsdam zur verbesserten Auswertung der Erdbebenaktivität in der gesamten Region, wobei auch frühere Messdaten einfließen werden. „Wir wenden auf den neuen digitalen Daten einen eigens entwickelten Detektionsalgorithmus an, der mit Konzepten des Maschinenlernens und der künstlichen Intelligenz arbeitet“, sagt die Nachwuchswissenschaftlerin Pinar Büyükakpinar aus der GFZ-Sektion „Erdbeben- und Vulkanphysik“, die eines der Projekte selbst eingeworben hat. „Damit identifizieren wir mehr Erdbeben als mit den bisherigen Verfahren, und wir sehen vor allem auch kleine Schwarmbeben an Orten, an denen vorher nur wenige Erdbeben gemessen wurden“.
Mit dem Projekt verbundene wissenschaftliche Veröffentlichungen:
Dahm, T., Hrubcová, P., Fischer, T., Horálek, J., Korn, M., Buske, S., Wagner, D. (2013): Eger Rift ICDP: an observatory for study of non-volcanic, mid-crustal earthquake swarms and accompanying phenomena. – Scientific drilling: reports on deep earth sampling and monitoring, 16, 93-99
https://doi.org/10.5194/sd-16-93-2013
Fischer, T., Hrubcová, P., Dahm, T., Woith, H., Vylita, T., Ohrnberger, M., Vlček, J., Horálek, J., Dědeček, P., Zimmer, M., Lipus, M.P., Pierdominici, S., Kallmeyer, J., Krüger, F., Hannemann, K., Korn, M., Kämpf, H., Reinsch, T., Klicpera, J., Vollmer, D. & Daskalopoulou, K., 2022. ICDP drilling of the Eger Rift observatory: magmatic fluids driving the earthquake swarms and deep biosphere, Sci. Dril., 31, 31-49, doi: 10.5194/sd-31-31-2022
https://doi.org/10.5194/sd-31-31-2022
Woith, H., Daskalopoulou, K., Zimmer, M., Fischer, T., Vlček, J., Trubač, J., Rosberg, J.-E., Vylita, T. & Dahm, T., 2020. Multi-Level Gas Monitoring: A New Approach in Earthquake Research, Frontiers in Earth Science, 8, 585733, doi: 10.3389/feart.2020.585733
https://doi.org/10.3389/feart.2020.585733
Woith, H., Vlček, J., Vylita, T., Dahm, T., Fischer, T., Daskalopoulou, K., Zimmer, M., Niedermann, S., Stammeier, J.A., Turjaková, V. & Lanzendörfer, M., 2022. Effect of Pressure Perturbations on CO2 Degassing in a Mofette System: The Case of Hartoušov, Czech Republic, Geosciences, 13, doi: 10.3390/geosciences13010002
https://doi.org/10.3390/geosciences13010002
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Torsten Dahm
Leitung Sektion 2.1 Erdbeben- und Vulkanphysik
Helmholtz-Zentrum Potsdam
Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ
Telegrafenberg
14473 Potsdam
Tel.: +49 331 6264-1200
E-Mail: torsten.dahm@gfz-potsdam.de
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