Rasanter Meeresspiegelanstieg verzögerte Übergang zum Ackerbau in Südosteuropa

Anhand der Kalkalge Emiliana huxleyi konnte der Salzgehalt der nördlichen Ägais von vor 11.000 bis vor 5.000 Jahren bestimmt werden. Copyright: Jörg Bollmann

Ausgehend vom Vorderen Orient vollzog sich in der Jungsteinzeit einer der bedeutendsten zivilisatorischen Umbrüche der Menschheitsgeschichte: der Übergang von einer Kultur der Jäger und Sammler hin zum Ackerbau und sesshafter Lebensweise.

Im Zuge dieser Neolithischen Revolution begann sich die bäuerliche Lebensweise auch nach Südosteuropa auszubreiten. Wie Ausgrabungen zeigen, entstanden jedoch vor 7.600 Jahren plötzlich deutlich weniger Siedlungen. Frankfurter Forscher haben jetzt eine der mutmaßlichen Ursachen gefunden.

Prof. Dr. Jens Herrle, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und Goethe-Universität: „Der Meeresspiegel muss in den an Südosteuropa angrenzenden Gebieten vor circa 7.600 Jahren sprunghaft angestiegen sein. In der nördlichen Ägais, dem Marmara-Meer und dem Schwarzen Meer stieg er um mehr als einen Meter. Ufergebiete und etwaige Siedlungsräume wurden damit überschwemmt.“

Die in der Studie dokumentierte große Überflutung an den Randgebieten des nordöstlichen Mittelmeeres vor 7.600 Jahren ist bereits der zweite Einbruch in der Neolithischen Revolution. Schon achthundert Jahre zuvor, vor circa 8.400 Jahren, war sie durch einen Meeresspiegelanstieg und die darauffolgenden klimatischen Umbrüche gedrosselt worden. Durch den erneuten Anstieg wurde der Übergang zum Ackerbau wahrscheinlich noch weiter verzögert.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein schwankender Meeresspiegel bereits in der Vergangenheit einen sehr starken Einfluss auf die Menschheitsgeschichte hatte“, sagt Herrle. „Aufgrund der globalen Klimaerwärmung wird damit gerechnet, dass der Meeresspiegel innerhalb der nächsten 100 Jahre um bis zu einen Meter ansteigt. Millionen von Menschen könnten damit aus küstennahen Regionen vertrieben werden, mit all den damit verbundenen sozialen und ökonomischen Konsequenzen.“

Grundlage der Studie ist ein Bohrkern aus dem Meeresboden der Nordägäis, anhand dessen ein Team um Herrle den Salzgehalt in diesem Teil des Mittelmeeres im Zeitraum vor 11.000 bis vor 5.000 Jahren rekonstruierte. Im Meeresboden konserviert sind die Kalkalgen Emiliania huxleyi. Die Betrachtung dieser winzigen Kalkalgen unter dem Rasterelektronenmikroskop erlaubt Rückschlüsse darauf, wie salzig das Oberflächenwasser der Ägäis zu ihrer Lebenszeit war.

„Ein schnelles Absinken des Salzgehalts, wie ihn die Kalkalgen vor 8.400 Jahren und erneut vor 7.600 Jahren belegen, kann nur dadurch erklärt werden, dass mehr salzarmes Oberflächenwasser als zuvor aus dem Schwarzen Meer in die nördliche Ägäis geflossen ist. Voraussetzung dafür wäre ein rapider globaler Meeresspiegelanstieg, der einen Anstieg des Oberflächenwasserabflusses in diese Richtung zur Folge gehabt hätte. Grund dafür könnte der Agassizsee in Nordamerika sein. Dieser prähistorische Schmelzwassersee war durch Eis eingeschlossen, bis ein Dammbruch gewaltige Wassermengen ins Meer abfließen und den Meeresspiegel weltweit steigen ließ“, erklärt Herrle abschließend.

Kontakt

Prof. Dr. Jens O. Herrle
Goethe-Universität & Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum
Tel. +49 (0)69 798 40180
jens.herrle@em.uni-frankfurt.de

Sabine Wendler
Pressestelle
Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum
Tel. +49 (0)69- 7542 1818
pressestelle@senckenberg.de

Publikation

Herrle, J.O. et al (2018): Black Sea outflow reponse to Holocene meltwater events. Scientific Reports, doi: 10.1038/s41598-018-22453-z

Die Pressebilder können kostenfrei für redaktionelle Berichterstattung zu dieser Pressemeldung verwendet werden unter der Voraussetzung, dass der genannte Urheber genannt wird. Eine Weitergabe an Dritte ist nur im Rahmen der aktuellen Berichterstattung zulässig.

Die Pressemitteilung und Bildmaterial finden Sie auch unter http://www.senckenberg.de/presse

Die Natur mit ihrer unendlichen Vielfalt an Lebensformen zu erforschen und zu verstehen, um sie als Lebensgrundlage für zukünftige Generationen erhalten und nachhaltig nutzen zu können – dafür arbeitet die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung seit nunmehr 200 Jahren. Diese integrative „Geobiodiversitätsforschung“ sowie die Vermittlung von Forschung und Wissenschaft sind die Aufgaben Senckenbergs. Drei Naturmuseen in Frankfurt, Görlitz und Dresden zeigen die Vielfalt des Lebens und die Entwicklung der Erde über Jahrmillionen. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist ein Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Das Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt am Main wird von der Stadt Frankfurt am Main sowie vielen weiteren Partnern gefördert. Mehr Informationen unter http://www.senckenberg.de.

Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt. 1914 mit privaten Mitteln überwiegend jüdischer Stifter gegründet, hat sie seitdem Pionierleistungen erbracht auf den Feldern der Sozial-, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften, Medizin, Quantenphysik, Hirnforschung und Arbeitsrecht. Am 1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als Stiftungsuniversität ein hohes Maß an Selbstverantwortung. Heute ist sie eine der zehn drittmittelstärksten und drei größten Universitäten Deutschlands mit drei Exzellenzclustern in Medizin, Lebenswissenschaften sowie Geistes- und Sozialwissenschaften. Zusammen mit der Technischen Universität Darmstadt und der Universität Mainz ist sie Partner der länderübergreifenden strategischen Universitätsallianz Rhein-Main. Internet: http://www.uni-frankfurt.de

Media Contact

Sabine Wendler Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen

Weitere Informationen:

https://idw-online.de/de/news691196

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Geowissenschaften

Die Geowissenschaften befassen sich grundlegend mit der Erde und spielen eine tragende Rolle für die Energieversorgung wie die allg. Rohstoffversorgung.

Zu den Geowissenschaften gesellen sich Fächer wie Geologie, Geographie, Geoinformatik, Paläontologie, Mineralogie, Petrographie, Kristallographie, Geophysik, Geodäsie, Glaziologie, Kartographie, Photogrammetrie, Meteorologie und Seismologie, Frühwarnsysteme, Erdbebenforschung und Polarforschung.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Lichtmikroskopie: Computermodell ermöglicht bessere Bilder

Neue Deep-Learning-Architektur sorgt für höhere Effizienz. Die Lichtmikroskopie ist ein unverzichtbares Werkzeug zur Untersuchung unterschiedlichster Proben. Details werden dabei erst mit Hilfe der computergestützten Bildverarbeitung sichtbar. Obwohl bereits enorme Fortschritte…

Neue Maßstäbe in der Filtertechnik

Aerosolabscheider „MiniMax“ überzeugt mit herausragender Leistung und Effizienz. Angesichts wachsender gesetzlicher und industrieller Anforderungen ist die Entwicklung effizienter Abgasreinigungstechnologien sehr wichtig. Besonders in technischen Prozessen steigt der Bedarf an innovativen…

SpecPlate: Besserer Standard für die Laboranalytik

Mehr Effizienz, Tempo und Präzision bei Laboranalysen sowie ein drastisch reduzierter Materialverbrauch: Mit der SpecPlate ersetzt das Spin-off PHABIOC aus dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) durch innovatives Design gleich…