Spuren alter Erdbeben ausgraben

Die Jenaer Geologen Prof. Dr. Kamil Ustaszewski (l.) und Dr. Christoph Grützner studieren Kartenmaterial mit einem Teil der Alpen auf dem Gebiet Sloweniens und Nordost-Italiens. Foto: Jan-Peter Kasper/FSU

Bebt heute in irgendeiner Region auf der Welt die Erde, dann zeichnen technische Hilfsmittel jede kleinste Schwingung auf. Verursacht ein Beben zudem schwere Zerstörungen, sorgt die Nachrichtenlage dafür, dass wir es so schnell nicht vergessen. Doch auch Katastrophen dieser Art, von denen uns keine Aufzeichnungen vorliegen, haben sich in die Geschichte eingegraben. Geowissenschaftler der Friedrich-Schiller-Universität Jena legen ihre Spuren nun wieder frei.

In dieser Region könnten geologische Zeitbomben ticken

In den kommenden drei Jahren beschäftigen sie sich dabei mit einer eher unbekannten Erdbebenzone in Europa: Slowenien und Ostitalien. „Uns sind zwar heute vor allem die schweren Katastrophen der vergangenen Monate im Zentrum der Apenninhalbinsel präsent, doch auch in der Nachbarschaft dieser Region kann es zu ähnlichen Ereignissen kommen“, erklärt Dr. Christoph Grützner, der Leiter des Projektes.

„Hier bewegt sich die Adriatische Platte stetig nach Norden auf die Eurasische Kontinentalplatte zu, ungefähr zwei Millimeter im Jahr.“ Zwar sei das im Vergleich zu anderen Erdbebenzonen sehr langsam, doch seismische Aktivitäten blieben deshalb nicht aus. Beben im Mai und September 1976 forderten etwa tausend Menschenleben und richteten erhebliche Zerstörungen in mehreren Städten an. Eine ähnliche Katastrophe ereignete sich 1511, wie historische Dokumente bezeugen.

Durch die große Zeitspanne zwischen den einzelnen Vorkommnissen lassen sich allerdings nur schwer durchschnittliche Wiederholraten an einzelnen Bruchzonen abschätzen, die möglicherweise wichtige Informationen über die seismischen Aktivitäten in dieser Gegend beinhalten.

„Maximal die Römer, unter deren Herrschaft die Region etwa vor 2.000 Jahren stand, könnten uns noch mit Informationen versorgen. Über alle anderen Erdbeben davor liegen uns keine schriftlichen Zeugnisse vor“, erklärt der Jenaer Geophysiker. „In dieser Region könnten also geologische Zeitbomben ticken, was aber niemand weiß, weil sie nur alle paar tausend Jahre explodieren.“

Genaue Blicke auf und unter die Erde werfen

Doch ein genauer Blick auf und unter die Erde kann dabei helfen, Spuren vergangener Erdbeben zu finden. „Zunächst werte ich am Computer hochauflösende Geländemodelle aus und suche nach bestimmten landschaftlichen Strukturen, die auf tektonische Nahtzonen hinweisen – beispielsweise charakteristisch aussehende Flusstäler“, erklärt Grützner seine Arbeit.

„Und schließlich schaue ich mir die Gegend persönlich an.“ Vor Ort gräbt der Jenaer Experte in die Tiefe und legt so Sedimentschichten frei, um auffällige Deformationsstrukturen zu finden. Normalerweise horizontal angeordnete Schichten können durch ein Erdbeben etwa vertikal verformt sein. „So identifiziere ich Störungsstellen, von denen Beben ausgegangen sind und auch in Zukunft ausgehen können, und kann zusätzlich durch die Datierung der Sedimentschichten auch eine mögliche zeitliche Einordnung der seismischen Aktivitäten herausstellen“, fasst Grützner zusammen und erklärt damit gleichzeitig die noch junge wissenschaftliche Disziplin der Paläoseismologie, die sich der Erforschung früherer Erdbeben widmet.

Entstehung der Alpen erforschen

Doch die Region an der Adria ist nicht nur aufgrund vergangener und zukünftiger Erdbeben interessant. Die tektonischen Bewegungen der beiden Platten sind auch verantwortlich für die Entstehung der Alpen. Ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziertes Schwerpunktprogramm (SPP 2017), in dem mehrere deutsche Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten, beschäftigt sich mit der Gebirgsbildung in vier Dimensionen. Maßgeblich involviert am SPP 2017 ist Prof. Dr. Kamil Ustaszewski, der die beteiligte Arbeitsgruppe an der Universität Jena leitet.

„Wir wollen mehr darüber wissen, wie sich das höchste Gebirge Europas gebildet hat und wie die tiefen Strukturen unter den Alpen beschaffen sind“, erklärt er das Forschungsvorhaben, in das auch Grützners Arbeit integriert ist. Zudem sei das SPP 2017 eingebettet in ein einzigartiges multinationales Forschungskonsortium – die AlpArray-Initiative – mit Partnern aus insgesamt 18 europäischen Staaten.

Kontakt:
Dr. Christoph Grützner
Institut für Geowissenschaften der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Burgweg 11, 07749 Jena
Tel.: 03641 / 948609
E-Mail: christoph.gruetzner[at]uni-jena.de
Blog: http://paleoseismicity.org/

http://www.uni-jena.de

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Sebastian Hollstein idw - Informationsdienst Wissenschaft

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