Tauziehen der Kontinente – bis der Strick reißt
Die Entstehungsgeschichte der heutigen Kontinente begann vor Hunderten von Millionen Jahren, als der Urkontinent Pangaea auseinanderbrach. Aus seinen Hauptbruchstücken Gondwana und Laurasia entstanden die aktuellen Kontinente, die sich mit Geschwindigkeiten von 20 bis 80 Millimetern pro Jahr bewegen und die heutige Plattentektonik charakterisieren.
Das Auseinanderbrechen von Kontinenten ist immer noch nicht vollständig wissenschaftlich geklärt. Ein neues, im Wissenschaftsmagazin „Nature“ veröffentlichtes Forschungsergebnis zeigt nun, dass die Kontinente sich an den Bruchstellen zunächst langsam dehnen, sich dann aber bei Einsetzen des Zerreißens sehr schnell auseinander bewegen. Dabei kann die Geschwindigkeit bis zu 20-fach schneller sein als in der ersten, langsamen Dehnungsphase.
Wobei die Zeiten und Geschwindigkeiten geologisch zu verstehen sind: wir reden hier von Millionen von Jahren und von Zentimetern pro Jahr. So trennte sich Südamerika von Afrika über einen Zeitraum von rund 40 Millionen Jahren. Der Trennungsprozess, von den Geowissenschaftlern „Rifting“ genannt, begann dabei vor rund 150 Millionen Jahren, wobei die beiden tektonischen Plattenteile sich zunächst nur mit 5 bis 7 Millimetern pro Jahr auseinander bewegten.
Dadurch wurde die Erdkruste gedünnt und es kam zur Bildung eines Beckens. Noch bevor sich die beiden Kontinente trennten, nahm die Dehnungsgeschwindigkeit um das Sechsfache auf rund 40 Millimeter pro Jahr zu. Heute treiben Afrika und Südamerika jährlich mit etwa 35 Millimetern pro Jahr auseinander.
„Man muss sich das vorstellen wie einen Seilriss beim Tauziehen“, erklärt Sascha Brune vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ, der Hauptautor der Studie. „Das Seil beginnt erst sehr langsam und unmerklich zu reißen, aber der Riss der letzten Seilfasern geht dann sehr plötzlich.“
Zusammen mit Kollegen von der Universität Sydney hat der GFZ-Wissenschaftler völlig verschiedene Rift-Zonen untersucht und überall an diesen Kontinentbruchstellen festgestellt, dass der Trennungsprozess stets in diesem Zwei-Phasenmodell ablief: „Am dramatischsten war das bei der Trennung von Nordamerika und Afrika“, so Brune. „Vor 240 Millionen Jahren begann das Auseinanderdriften, zunächst ganz langsam mit nur einem Millimeter pro Jahr.“ Vor 200 Millionen Jahren dann beschleunigte sich dieser Prozess um das 20-fache.
Interessant ist, dass die Beschleunigung des Rifting typischerweise etwa zehn Millionen Jahre vor dem eigentlichen Zerreißen der Kontinente einsetzte, sei es bei der Trennung von Australien und Antarktika, Nordamerika und Grönland, Afrika und Südamerika, im Nordatlantik oder im Südchinesischen Meer.
Deswegen sind die neu entstandenen Kontinentränder entscheidend durch beide Geschwindigkeitsphasen geprägt: Zuerst entstanden bei langsamer Dehnung die Schelfregionen, die sich heute in Küstennähe unter dem Meeresspiegel befinden. Die weiter außen liegenden Teile des Kontinentrandes wurden anschließend mit großen Verwerfungen und stärkerem Vulkanismus bei schneller Riftgeschwindigkeit gebildet und finden sich im küstenferneren, tiefen Ozean.
Aus den Ergebnissen der Geoforscher ergeben sich Konsequenzen für die Theorie der Plattentektonik: die heutigen Bewegungen der tektonischen Platten werden dominiert durch das Abtauchen und die Kollision von Platten und durch die Strömungen des tiefen Erdmantels. Während des Auseinanderbrechens von Kontinenten jedoch kommt es zu Plattenbeschleunigungen, die durch die Schwächung des Kontinents selbst und nicht vorrangig durch Prozesse im tiefen Erdinnern gesteuert werden.
Sascha Brune, Simon E. Williams, Nathaniel P. Butterworth, and R. Dietmar Müller: “Abrupt plate accelerations shape rifted continental margins”, Nature AOP, 18.07.2016, DOI 10.1038/nature18319
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