Von fossilen Parasiten, Aliens und Röntgenstrahlen

Die versteinerten Fliegenpuppen sind rund 30 Millionen Jahre alt und wurden bereits im 19. Jahrhundert in Frankreich entdeckt. G. Oleschinski (Steinmann-Institut, Universität Bonn)

Ein internationales Forscherteam aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, in dem der Insektenforscher und Wespenspezialist Dr. Lars Krogmann vom Naturkundemuseum Stuttgart führend mitwirkte, hat in rund 30 Millionen Jahre alten versteinerten Fliegenpuppen parasitisch lebende Wespen entdeckt. Insgesamt konnten vier neue Wespenarten benannt und wissenschaftlich beschrieben werden. Die bahnbrechenden Ergebnisse dieser Untersuchung sind in der hochrangigen Fachzeitschrift Nature Communications erschienen.

„Noch nie konnten parasitische Wespen im Inneren von Insektenfossilien in dieser Detailgenauigkeit untersucht werden. Unsere Daten liefern neue Erkenntnisse zur Evolution dieser erfolgreichen Tiergruppe“, sagt Krogmann.

Die Sammlung der fossilen Fliegenpuppen ist in den Naturkundemuseen in Basel und Stockholm beheimatet, umfasst mehr als 1.500 Exemplare und wurde bereits im 19. Jahrhundert in der französischen Region Quercy entdeckt. Dass in den scheinbar unscheinbaren Fossilien neben den zu erwartenden verpuppten Fliegen auch noch andere Organismen zu finden sind, hatte in den 1940er- Jahren der Schweizer Zoologe Eduard Handschin schon vermutet.

„Handschin ist vermutlich auf der Suche nach gut erhaltenen Fliegen gewesen, als er Dünnschliffe aus mehreren Puppen herstellte und dabei zufällig auf etwas stieß, das ihn an den Längsschnitt einer parasitischen Wespe erinnerte“, erläutert der Paläontologe Dr. Achim Schwermann vom LWL-Museum für Naturkunde des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe.

Nach dieser ersten Entdeckung wurden die Fliegenpuppen über viele Jahrzehnte hinweg nicht weiter wissenschaftlich untersucht, bis nun ein interdisziplinäres Team aus 18 internationalen Wissenschaftlern – darunter Biologen, Paläontologen, Physiker, Informatiker und Mathematiker – die Fossilien erneut unter die Lupe nahm.

„Unter die Lupe nehmen“ bedeutet in dem Fall das Durchleuchten mithilfe von Synchrotron-Röntgenstrahlung und die anschließende Untersuchung mittels Mikrocomputertomographie, wie sie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zum Einsatz kommt. Diese hochmoderne Bildgebungsmethode macht es möglich, innere Strukturen eines Objekts, in dem Fall die versteinerte Fliegenpuppe, hochaufgelöst sichtbar zu machen.

„Erst die jüngsten Entwicklungen haben es uns erlaubt, sehr große Probenmengen in relativ kurzer Zeit zu durchleuchten und teilautomatisiert auszuwerten“, erläutert der Biologe Dr. Thomas van de Kamp des KIT und erklärt: „Nur so war es uns möglich, wirklich jede einzelne Puppe der umfangreichen Sammlung auf Parasitenbefall zu untersuchen.“

Und sie wurden fündig. Nachdem die über 1.500 und nur rund drei Millimeter langen fossilen Fliegenpuppen durchleuchtet waren, wurde deutlich, dass sich in 55 der Puppen ein Parasit befand. Es handelt sich dabei um parasitisch lebende Wespen, die die Fliegenpuppen als Wirte benutzten. Die Untersuchung zeigt zum ersten Mal überhaupt detailliert dieses Verhältnis von Parasit und Wirt auf.

„Die weibliche Wespe hat mit ihrem Legestachel ein Ei in eine Fliegenpuppe gelegt. Im Inneren der Puppenhülle hat sich die Wespenlarve entwickelt und von der ungeschlüpften Fliege ernährt.“, so Dr. Lars Krogmann.

Bei den entdeckten Wespen handelt es sich hauptsächlich um ausgewachsene Exemplare. „Die meisten der nun entdeckten Wespen standen kurz vor dem Schlupf. Einige haben sich in der Puppenhülle bereits bewegt, während sie nur noch darauf gewartet haben, dass ihre Artgenossen sich ebenfalls zum Schlupf bereitmachen. Das ist ein bemerkenswerter Hinweis auf einen synchronisierten Schlupf, den diese Wespen entwickelt haben. Sie wären dann zeitgleich aus den Fliegenpuppen geschlüpft“, erläutert der Stuttgarter Wespenspezialist weiter.

Durch die Detailgenauigkeit der bildlichen Darstellung und Untersuchung konnten vier neue Wespenarten benannt und wissenschaftlich beschrieben werden. Die am häufigsten vorkommende Art erhielt den Namen Xenomorphia resurrecta. Der Gattungsname ist dabei eine Anspielung auf die als „Xenomorph“ bezeichneten Wesen aus der Science-Fiction-Filmreihe Alien, die sich ebenfalls als Parasiten im Innern eines Wirts entwickeln. Das Wort „resurrecta“ wiederum verweist auf die „digitale Wiederauferstehung“ der ausgestorbenen Art.

Das Forscherteam ist begeistert über die Ergebnisse, die nur möglich geworden sind, weil unscheinbar wirkende Fossilien mit modernsten Methoden untersucht wurden. „Diese Fossilien sind ein Schatz, der schon lange in Sammlungsschubladen schlummerte“, so Schwermann. „Wir können ihn nun mit unseren Methoden heben.“

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Dr. Lars Krogmann
Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart
Rosenstein 1
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Hinweis: Dr. Lars Krogmann steht ab dem 03.09.2018 wieder für Fragen und Interviews zur Verfügung.

Publikation: Thomas van de Kamp, Achim H. Schwermann, Tomy dos Santos Rolo, Philipp D. Lösel, Thomas Engler, Walter Etter, Tomáš Faragó, Jörg Göttlicher, Vincent Heuveline, Andreas Kopmann, Bastian Mähler, Thomas Mörs, Janes Odar, Jes Rust, Nicholas Tan Jerome, Matthias Vogelgesang, Tilo Baumbach, Lars Krogmann: Parasitoid biology preserved in mineralized fossils; „Nature Communications“; DOI: 10.1038/s41467-018-05654-y

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