Weltraumteleskop Gaia misst die Beschleunigung unseres Sonnensystems
Die Messung der Beschleunigung unseres Sonnensystems durch Astronomen der TU Dresden ist ein wissenschaftliches Highlight des nun erscheinenden dritten Gaia-Katalogs. Mit dessen Veröffentlichung am 3. Dezember 2020, Punkt 12:00 Uhr, erhält die Öffentlichkeit Zugriff auf hochpräzise astronomische Daten, wie Positionen, Geschwindigkeiten, Helligkeiten und Farben von rund 1,8 Milliarden Himmelsobjekten.
Was ist Gaia? Ziel der am 19. Dezember 2013 gestarteten ESA-Mission ist nichts geringeres als die Erstellung einer dreidimensionalen Karte sämtlicher Himmelskörper, die mit der 1000-Megapixel Kamera des Satelliten detektiert werden können – im Mittel beeindruckende drei Millionen Sterne pro Stunde. Die Beobachtungen sind dabei so genau, dass Gaia selbst Positionsänderungen von wenigen Zentimetern noch in Mondentfernung messen könnte.
Ein internationales Team von Wissenschaftlern produziert aus dieser riesigen Menge an Beobachtungsdaten wissenschaftlich verwendbare Größen. Diese Berechnung, die iterative Lösung eines riesigen Gleichungssystems mit 10 Milliarden Unbekannten, beschäftigt Großrechner in mehreren europäischen Forschungseinrichtungen seit 2015. Auch die Hochleistungsrechner der TU Dresden wurden vom Team um Prof. Klioner stark gefordert um die zahlreichen Zwischenlösungen zu produzieren, welche schließlich für entscheidende Verbesserungen der neuen Gaia-Produkte sorgten.
Die hervorragende Qualität dieser Ergebnisse ermöglichte es den Dresdner Wissenschaftlern einen höchst interessanten Effekt nachzuweisen: Die Beschleunigung unseres Sonnensystems. In der Astronomie ist schon länger bekannt, dass eine solche Beschleunigung eine langsame scheinbare Verschiebung aller Himmelsobjekte bewirkt, welche sich als ein globales Muster in den gemessenen Bewegungen bemerkbar machen sollte. Allerdings wird dieser Effekt bei nahen Sternen von der komplexen Struktur und Dynamik unserer Galaxie vollständig überlagert.
Erst eine präzise Vermessung von extrem weit entfernten Himmelsobjekten, so genannten Quasaren, konnte diesen Effekt der Beschleunigung offenbaren. Diese leuchtstarken Kerne weit entfernter Galaxien gelten als nahezu unbeweglich und werden deswegen in der Astronomie als Referenzpunkte am Himmel benutzt.
Vom Dresdner Team wurden rund 1,6 Millionen Gaia-Objekte als Quasare identifiziert, welche nun als Gaia-eigenes Referenzsystem veröffentlicht werden. Und diese Quasare zeigen deutlich das erwartete Bewegungsmuster der winzig kleinen Beschleunigung, welche laut der Dresdner Arbeit 0,23 Nanometer pro Sekunde im Quadrat beträgt. Zu diesem erstmals im Optischen erbrachten Nachweis erklärt Prof. Klioner:
„Die Messung der Beschleunigung des Sonnensystems mit einer relativen Genauigkeit von 7 Prozent ist ein wissenschaftlich sehr wichtiges Ergebnis, aber gleichzeitig auch ein überzeugender Beweis der Güte der neuen Daten. Die von Gaia gemessene Beschleunigung zeigt eine gute Übereinstimmung mit der theoretischen Erwartung und liefert wichtige Informationen über die Bewegung des Sonnensystems im Gravitationsfeld unserer Galaxie.“
Die nächste Veröffentlichung des Gaia-Katalogs ist für die erste Hälfte des Jahres 2022 geplant. Aber auch mit den nun publizierten Daten ist einiges an Spitzenforschung zu erwarten. Schon die zweite Version des Gaia-Katalogs sorgte seit ihrer Veröffentlichung im April 2018 im Mittel für fünf Publikationen pro Tag!
In Dresden haben inzwischen schon die Vorbereitungen für den vierten Gaia-Katalog begonnen, welcher im Jahr 2025 erscheinen wird. Dessen Beobachtungsdaten warten spätestens ab Januar 2021 auf das Dresdner Gaia-Team. Mit ihren ganz eigenen Herausforderungen, welche gemeistert, aber auch mit wissenschaftlichen Schätzen, welche geborgen werden wollen.
Details zum deutschen Event
• organisiert von DLR in Zusammenarbeit mit AIP Potsdam, ARI Heidelberg, MPIA Heidelberg und TU Dresden
• Zeit: 3. Dezember, 11:00 bis ca. 12:30 MEZ
• Youtube Livestream
Bildunterschrift: Das Bild zeigt die scheinbare Bewegung von 3000 zufällig gewählten Quasaren. Für jeden Quasar gibt ein Pfeil die durch die Beschleunigung unseres Sonnensystems bewirkte Richtung dieser Bewegung an. Alle Pfeile scheinen dabei auf einen Punkt etwas unterhalb und rechts des in der Bildmitte liegenden galaktischen Zentrums zu zeigen. Den Bildhintergrund bildet eine farbige Darstellung unserer Galaxie erzeugt aus den nun im Gaia EDR3 Katalog veröffentlichten Daten.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Sergei A. Klioner
TU Dresden
Institut für Planetare Geodäsie
Arbeitsgruppe Astronomie / Lohrmann-Observatorium
Tel. +49 351 463-32821
E-Mail Sergei.Klioner@tu-dresden.de
Weitere Informationen:
https://astro.geo.tu-dresden.de
https://www.cosmos.esa.int/web/gaia/edr3-events Übersichtsseite der ESA zum EDR3-Release und die Programme der einzelnen Events
https://gea.esac.esa.int/archive/ Gaia-Archiv
https://event.dlr.de/event/gaia-early-data-release-3/ DLR-Livestream (am 3.12)
https://www.cosmos.esa.int/web/gaia/edr3-papers Alle zum EDR3-Release gehörenden Publikationen
Media Contact
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Geowissenschaften
Die Geowissenschaften befassen sich grundlegend mit der Erde und spielen eine tragende Rolle für die Energieversorgung wie die allg. Rohstoffversorgung.
Zu den Geowissenschaften gesellen sich Fächer wie Geologie, Geographie, Geoinformatik, Paläontologie, Mineralogie, Petrographie, Kristallographie, Geophysik, Geodäsie, Glaziologie, Kartographie, Photogrammetrie, Meteorologie und Seismologie, Frühwarnsysteme, Erdbebenforschung und Polarforschung.
Neueste Beiträge
Selen-Proteine …
Neuer Ansatzpunkt für die Krebsforschung. Eine aktuelle Studie der Uni Würzburg zeigt, wie ein wichtiges Enzym in unserem Körper bei der Produktion von Selen-Proteinen unterstützt – für die Behandlung von…
Pendler-Bike der Zukunft
– h_da präsentiert fahrbereiten Prototyp des „Darmstadt Vehicle“. Das „Darmstadt Vehicle“, kurz DaVe, ist ein neuartiges Allwetter-Fahrzeug für Pendelnde. Es ist als schnelle und komfortable Alternative zum Auto gedacht, soll…
Neuartige Methode zur Tumorbekämpfung
Carl-Zeiss-Stiftung fördert Projekt der Hochschule Aalen mit einer Million Euro. Die bisherige Krebstherapie effizienter gestalten bei deutlicher Reduzierung der Nebenwirkungen auf gesundes Gewebe – dies ist das Ziel eines Projekts…