Wie ist das Wetter in der Tiefsee?
Neue Nature Geoscience-Studie zeigt wechselhaftes Verhalten der Strömungen in der Tiefsee.
Eine neue Studie zeigt, wie selbst die tiefsten Meeresböden durch das tägliche Hin und Her der Gezeiten und den Wechsel der Jahreszeiten beeinflusst werden und dass die Strömungen am Meeresboden viel komplizierter sind als bisher angenommen. Diese Erkenntnisse tragen dazu bei, die Wege der Nährstoffe in der Tiefsee zu verstehen, die wichtige Tiefseeökosysteme versorgen, zu beurteilen, wo sich Mikroplastik und andere Schadstoffe im Ozean anreichern, und den vergangenen Klimawandel zu rekonstruieren. Die Studie des internationalen Forschungsteams, an dem auch Prof. Dr. Elda Miramontes vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und Fachbereich Geowissenschaften der Universität Bremen beteiligt ist, wurde jetzt in der Fachzeitschrift Nature Geoscience veröffentlicht.
Mit Verankerungen gemessene Bodenströmungen zeigen, wie selbst kleinräumige Topographie die Strömungen in der Nähe des Meeresbodens stark steuert und trichterförmig lenkt (nur 8 von 34 Verankerungen sind in der Abbildung dargestellt). Darüber hinaus sind die Meeresströmungen auf verschiedenen Zeitskalen aufgrund verschiedener Prozesse wie Gezeiten oder dem Durchgang von Wirbeln sehr variabel, wie die Momentaufnahme der Meeresströmungen in 500 Metern Wassertiefe aus der GLORYS-Reanalyse zeigt. Grafik: E. Miramontes, My Ocean Viewer by Copernicus; kleine Karte geändert nach Bailey et al., 2024.
Der Meeresboden ist die Endstation für alle Arten von Partikeln wie Sand, Schlamm, organischer Kohlenstoff, der den Organismen am Meeresboden als Nahrung dient, und sogar Schadstoffe. Die Anhäufung dieser Partikel in der Tiefsee wird zur Rekonstruktion des Klimas, der Naturgefahren und der Meeresbedingungen in der Vergangenheit herangezogen und liefert wertvolle Archive vergangener Veränderungen, die weit über historische Aufzeichnungen hinausgehen. Der leitende Wissenschaftler des Projekts, Dr. Mike Clare vom National Oceanography Centre (NOC), erklärt: „Es ist wichtig, das Verhalten und die Verläufe von Strömungen in der Tiefsee zu verstehen, um die Wege natürlicher und vom Menschen verursachter Partikel zu bestimmen und die in den Ablagerungen erhaltenen Aufzeichnungen auszuwerten.“
Er ergänzt: „Es gibt jedoch nur sehr wenige direkte Messungen von Strömungen, die in tiefen Gewässern über den Meeresboden fließen. Die meisten werden hoch über dem Meeresboden, über kurze Zeiträume und nur an einzelnen Stellen durchgeführt. Bislang haben war nicht vollständig verstanden, wie dynamisch die Strömungen am Meeresboden in der Tiefsee sein können.“
In einer neuen Studie, an der Forschende aus dem Vereinigten Königreich, Kanada, Deutschland und Italien beteiligt waren, wurden die Daten der bisher umfangreichsten Anordnung von Sensoren in der Tiefsee analysiert, um die Variabilität der Meeresbodenströmungen über vier Jahre hinweg zu bestimmen. Vierunddreißig Verankerungen in der Tiefsee wurden in bis zu 2,5 Kilometern Wassertiefe ausgebracht und mit Hochfrequenz-Akustik-Doppler-Strömungsmessern ausgestattet, die wie eine Unterwasser-Kamera die Strömungen am Meeresboden messen. Frühere Modellrechnungen gingen davon aus, dass diese Strömungen kontinuierlich und gleichmäßig verlaufen würden, doch die neuen Ergebnisse boten große Überraschungen. Die Strömungen beschleunigten und verlangsamten sich, kehrten manchmal ihre Richtung komplett um und wurden durch das unregelmäßige Relief des Meeresbodens lokal in verschiedene Richtungen gelenkt.
„Dies sind die ersten Messungen von Tiefseeströmungen in einem so großen Gebiet, über einen so langen Zeitraum und so nahe am Meeresboden. Das macht sie äußerst wertvoll, da sie dazu beitragen werden, unsere Modelle zur Rekonstruktion vergangener Veränderungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel im Ozean zu verbessern“, sagte Prof. Dr. Elda Miramontes vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und Fachbereich Geowissenschaften der Universität Bremen, Mitautorin der Studie.
Der Hauptautor der Studie, Dr. Lewis Bailey (früher beim NOC und jetzt an der Universität von Calgary), erklärte: „Die Meeresbodenströmungen vor der Küste Mosambiks sind viel variabler als wir erwartet hatten. Genau wie die Strömungen im oberen Ozean ändert sich ihre Intensität zwischen den Jahreszeiten und kann sich sogar im Laufe einiger Stunden vor- und zurückbewegen. Es ist wirklich kompliziert!“.
Dr. Ian Kane von der Universität Manchester, einer der Mitautoren der Studie, erläuterte: „Zu sehen, wie sich diese Strömungen verhalten, ist ein bisschen wie die Beobachtung des Wetters in Manchester – es ändert sich ständig und ist oft überraschend. Aber die Beobachtung von Veränderungen in der Tiefsee ist eine echte Herausforderung, und bis jetzt hatten wir nur ein geringes Verständnis für die Hintergrundbedingungen in der Tiefsee“.
Der leitende Wissenschaftler des Projekts, Dr. Mike Clare vom NOC, fügte hinzu: „Die Tiefsee kann extrem dynamisch sein, und diese Studie unterstreicht die Bedeutung von Langzeitbeobachtungen, die entscheidende Informationen zum Verständnis des Ozeans liefern. Detailliertere Beobachtungen sind entscheidend für das Verständnis der wichtigen Rolle, die Bodenströmungen beim Transport von Sedimenten, Kohlenstoff und Schadstoffen auf unserem Planeten spielen“.
Originalveröffentlichung:
Bailey, L.P., Clare, M.A., Hunt, J.E. et al. Highly variable deep-sea currents over tidal and seasonal timescales. Nat. Geosci. (2024). https://doi.org/10.1038/s41561-024-01494-2
Kontakt:
Wissenschaftlicher Kontakt:
Prof. Dr. Elda Miramontes
Sedimentologie
MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und Fachbereich Geowissenschaften, Universität Bremen
Telefon: 0421 218 65200
E-Mail: emiramontes@marum.de
Presseanfragen:
Jana Nitsch
MARUM Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Telefon: 0421 218 65541
E-Mail: medien@marum.de
Weitere Informationen:
- Link zur Pressemitteilung des NOC
Beteilgte Institutionen:
- MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und Fakultät für Geowissenschaften, Universität Bremen, Bremen, Deutschland
- National Oceanography Centre, Southampton, UK
- Schule für Meeres- und Geowissenschaften, Universität Southampton, Southampton, UK
- Fachbereich für Erde, Energie und Umwelt, Universität Calgary, Calgary, Alberta, Kanada
- Schule für Erd- und Umweltwissenschaften, Universität Manchester, Manchester, UK
- Eni Upstream und technische Dienste, Mailand, Italien
- RINA Consulting, Mailand, Italien
- TotalEnergies, Paris, Frankreich
Das MARUM gewinnt grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse über die Rolle des Ozeans und des Meeresbodens im gesamten Erdsystem. Die Dynamik des Ozeans und des Meeresbodens prägen durch Wechselwirkungen von geologischen, physikalischen, biologischen und chemischen Prozessen maßgeblich das gesamte Erdsystem. Dadurch werden das Klima sowie der globale Kohlenstoffkreislauf beeinflusst und es entstehen einzigartige biologische Systeme. Das MARUM steht für grundlagenorientierte und ergebnisoffene Forschung in Verantwortung vor der Gesellschaft, zum Wohl der Meeresumwelt und im Sinne der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Es veröffentlicht seine qualitätsgeprüften, wissenschaftlichen Daten und macht diese frei zugänglich. Das MARUM informiert die Öffentlichkeit über neue Erkenntnisse zur Meeresumwelt, und stellt im Dialog mit der Gesellschaft Handlungswissen bereit. Kooperationen des MARUM mit Unternehmen und Industriepartnern erfolgen unter Wahrung seines Ziels zum Schutz der Meeresumwelt.
Media Contact
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Geowissenschaften
Die Geowissenschaften befassen sich grundlegend mit der Erde und spielen eine tragende Rolle für die Energieversorgung wie die allg. Rohstoffversorgung.
Zu den Geowissenschaften gesellen sich Fächer wie Geologie, Geographie, Geoinformatik, Paläontologie, Mineralogie, Petrographie, Kristallographie, Geophysik, Geodäsie, Glaziologie, Kartographie, Photogrammetrie, Meteorologie und Seismologie, Frühwarnsysteme, Erdbebenforschung und Polarforschung.
Neueste Beiträge
Die Roboterhand lernt zu fühlen
Fraunhofer IWS kombiniert Konzepte aus der Natur mit Sensorik und 3D-Druck. Damit Ernteroboter, U-Boot-Greifer und autonome Rover auf fernen Planeten künftig universeller einsetzbar und selbstständiger werden, bringen Forschende des Fraunhofer-Instituts…
Regenschutz für Rotorblätter
Kleine Tropfen, große Wirkung: Regen kann auf Dauer die Oberflächen von Rotorblättern beschädigen, die Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit von Windenergieanlagen können sinken, vor allem auf See. Durch die Entwicklung innovativer Reparaturlösungen…
Materialforschung: Überraschung an der Korngrenze
Mithilfe modernster Mikroskopie- und Simulationstechniken konnte ein internationales Forschungsteam erstmals beobachten, wie gelöste Elemente neue Korngrenzphasen bilden. Mit modernsten Mikroskopie- und Simulationstechniken hat ein internationales Forscherteam systematisch beobachtet, wie Eisenatome…