Die Schere zwischen deutsch und nicht-deutsch

Deutschland ist nur Mittelmaß, wenn es um das Wohlbefinden der Kinder geht – das ergab 2007 die erste internationale Vergleichsstudie des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) zur Situation von Kindern in den Industrieländern.

Hier landete Deutschland unter 21 Nationen auf Platz 11. Aufbauend darauf entstand nun der „UNICEF-Bericht zur Lage der deutschen Kinder“. An ihm beteiligt waren auch Wissenschaftler der Technischen Universität Chemnitz. Forscher der Professur Allgemeine Soziologie I um Prof. Dr. Bernhard Nauck beschäftigten sich mit der Lebenssituation von Kindern mit Migrationshintergrund in Deutschland.

18,6 Prozent der deutschen Bevölkerung hat nach Angaben des Statistischen Bundesamtes einen Migrationshintergrund. Unter Kindern ist der Anteil noch höher: Etwa ein Drittel der Kinder im Vorschulalter ist nicht in Deutschland zur Welt gekommen oder hat mindestens ein Elternteil, das nicht in Deutschland geboren ist. Die größte Gruppe der Migranten stammt aus der Türkei.

Die Chemnitzer Wissenschaftler haben unter anderem die Sprachkompetenz beleuchtet und dazu Migrantenfamilien aus Italien, Griechenland, der Türkei sowie deutsche Aussiedlerfamilien untersucht. Etwas mehr als die Hälfte der Migranteneltern in Deutschland spricht ausschließlich italienisch, griechisch, türkisch oder russisch mit ihren Kindern. Die türkischen Eltern sprechen im Durchschnitt am wenigsten deutsch; so geben nur zwei Prozent der türkischen Mütter an, die Sprache sehr gut zu beherrschen, während es unter den Italienerinnen fast 20 Prozent sind. Bei den Kindern spiegelt die Bewältigung der Sprache die historische Abfolge der Migrationswellen wider, die mit den Italienern begann, gefolgt von den Griechen, dann den Türken und den Aussiedlern als Letztzugewanderten. Die größten Verluste der Sprache des Herkunftslandes liegen bei den türkischen Mädchen vor: Weniger als ein Drittel gibt an, türkisch sehr gut zu beherrschen; bei den Jungen ist es jedoch fast die Hälfte.

Auch über die Bildungssituation haben sich die Soziologen der TU Chemnitz einen Überblick verschafft. Ihr Ergebnis: Kinder von Migranten besuchen in den ersten Lebensjahren seltener einen Kindergarten als deutsche Gleichaltrige, sie brechen häufiger die Schule ohne Abschluss ab, sind in Haupt- und Sonderschulen stark überrepräsentiert und erreichen seltener höhere Schulabschlüsse wie das Abitur. „Internationale Vergleiche zeigen ergänzend, dass die Selektion auf Grund des Migrationshintergrundes im deutschen Bildungssystem deutlich höher ist als in anderen Industrieländern“, gibt Prof. Dr. Bernhard Nauck zu bedenken. Dies beginnt bereits mit der Vorschulbetreuung, für die Kinder mit Migrationshintergrund eigentlich eine wichtige Zielgruppe sind. Dennoch besuchen nur etwas mehr als die Hälfte dieser Kinder eine Kindertagesstätte; unter den deutschen sind es rund drei Viertel. Als Ursache für den seltenen Besuch eines Kindergartens kommen mehrere Gründe in Frage: So werden diese Einrichtungen seltener als pädagogische Institutionen wahrgenommen. Auch halten finanzielle Gründe Eltern davon ab, ihre Kinder anzumelden – zumal wenn andere Familienmitglieder als Betreuungspersonen zur Verfügung stehen. Schließlich kann die Befürchtung einer kulturellen Entfremdung eine Rolle spielen.

Bei der Gesundheitsversorgung sind Kinder aus Migrantenfamilien ebenfalls benachteiligt: Sie beanspruchen weniger oft medizinische Leistungen und nehmen wesentlich seltener an Früherkennungsuntersuchungen teil. Der Anteil der Migrantenkinder, die nie an einer solchen Untersuchung teilgenommen haben liegt mit 14 Prozent siebenmal höher als bei deutschen Kindern.

Kulturelle Unterschiede zeigen sich auch bei der Wertschätzung, die Eltern ihren Kindern entgegenbringen. So bestätigen 99 Prozent der Väter und 96 Prozent der Mütter aus der Türkei, dass Kinder im Haus Freude bereiten. Unter den Vätern und Müttern aus Deutschland sind es 83 bzw. 87 Prozent, unter den italienischen Vätern stimmen 52 Prozent zu und bei den Müttern 60. In Familien mit Migrationshintergrund wird zudem häufig ein stärkerer Wert auf den Zusammenhalt der Generationen gelegt – nicht zuletzt aus Gründen der Alterssicherung. „Als allgemeiner Trend zeigt sich deutlich, dass Migranteneltern am Eingliederungsprozess ihrer Kinder interessiert sind. Einschränkungen dabei gibt es nur, wenn damit die Beziehungen zwischen den Generationen auf dem Spiel stehen oder als gefährdet empfunden werden“, resümiert Nauck.

Der UNICEF-Bericht beleuchtet verschiedene Dimensionen des Aufwachsens in Deutschland: materielle Risiken, Bildungschancen in Kindergarten und Schule, Gesundheit und Fragen der Migration. Er entstand in Zusammenarbeit der TU Chemnitz mit dem Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung, dem Robert-Koch-Institut, der Berliner Humboldt-Universität und dem Deutschen Jugendinstitut.

Eine Zusammenfassung des UNICEF-Berichts finden Sie im Internet unter http://www.unicef.de/5497.html

Weitere Informationen erteilt Prof. Dr. Bernhard Nauck, Telefon 0371 531-32402, E-Mail bernhard.nauck@phil.tu-chemnitz.de.

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Katharina Thehos idw

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