Nationalstolz und Fremdenfeindlichkeit
Stellungnahme der Arbeitsgruppe Sozialpsychologie an der Philipps-Universität Marburg zu einer aktuellen politischen Diskussion
„Die verstärkte und undifferenzierte Äußerung von Nationalstolz dürfte dazu beitragen, dass Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit zunehmen.“ Diese Ansicht vertritt die Arbeitsgruppe Sozialpsychologie an der Philipps-Universität in einer aktuellen Stellungnahme. Der Satz „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“ sollte nach Meinung der Marburger Sozialpsychologen im Repertoire von Politikern und Medien nicht vorkommen.
Die Stellungnahme der Arbeitsgruppe Sozialpsychologie zur aktuellen Diskussion um das Thema Nationalstolz nachfolgend im Wortlaut:
Im vergangenen Jahr sind die Zahlen fremdenfeindlich motivierter Straftaten deutlich angestiegen: Erst kürzlich hat Bundesinnenminister Schily die aktuellen Zahlen vorgelegt, danach wurden im Jahr 2000 insgesamt 641 fremdenfeindlich motivierte Gewalttaten registriert, gegenüber 451 in 1999. Eine Ursache, die die Täter zu ihrem Handeln motivieren kann ist der Glaube, durch die breite Bevölkerungsmehrheit unterstützt zu werden. Rechtextreme Straftäter meinen, sie würden nur das ausführen, wozu sich die meisten Deutschen nicht trauen. Tatsächlich nimmt Deutschland nach unseren Analysen im europäischen Vergleich einen Platz weit vorn in der Fremdenfeindlichkeitsskala ein.
In dem geschilderten Zusammenhang halten wir es für gefährlich, wenn Politiker nun eine Debatte einsetzen, die einen „gesunden“ Nationalstolz einfordert und verlangt, diesen wieder unbeschwerter äußern zu dürfen. Die verstärkte und undifferenzierte Äußerung von Nationalstolz dürfte nach unserer Einschätzung dazu beitragen, dass Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit zunehmen.
Bundespräsident Johannes Rau hat in seinen Äußerungen zum Thema zu Differenzierung beigetragen und zwei verschiedene Objekte unterschieden: Es gibt nach Rau einerseits Dinge, über die man froh sein kann, und dazu kann gehören, dass man in Deutschland lebt. Andererseits gibt es Dinge, auf die man stolz sein kann, weil man sie selbst vollbracht hat. Dazu kann nach Rau nicht gehören, dass man stolz ist, ein Deutscher zu sein, weil dies keine Leistung ist, die man mit eigener Anstrengung erbracht hat.
Diese Differenzierung ist unserer Meinung nach sinnvoll und sie wird durch empirische Daten gestützt. Bezogen auf Fremdenfeindlichkeit ergibt sich aus sozialpsychologischen Theorien, dass eine besondere Identifikation mit der Gruppe der Deutschen mit einer verstärkten Abwertung der Fremden einhergeht. Einige Untersuchungsergebnisse stützen diese Vorhersage. In diesen Untersuchungen zeigt sich, dass Menschen, die ein höheres Maß an Nationalstolz äußern, auch größere Vorurteile gegenüber Ausländern haben. Gefährlich in diesem Sinne scheinen vor allem nationale Identifikationen zu sein, die gleichzeitig – zum Teil implizit – Deutschland und die Deutschen besser dastehen zu lassen als andere.
Es gibt jedoch auch abweichende Befunde (z.B. Blank & Schmidt, 1997): Befragte, die sich hoch mit demokratischen und sozialstaatlichen Leistungen Deutschlands identifizieren, zeigen weniger Ausländerfeindlichkeit. Andere Untersuchungen zeigen (Mummendey und Simon, 1997) zeigen, dass die Wirkung nationaler Identifikation von der Art des Vergleichs abhängt: Identifikation hängt mit stärkerer Ablehnung von Ausländern zusammen, wenn die Befragten gleichzeitig zu einem Vergleich zwischen Staaten aufgefordert werden (Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten); ein solcher Zusammenhang verschwindet, wenn ein temporaler Vergleich vorgenommen werden soll („Begründen Sie, was Sie besser daran finden, heute in Deutschland zu leben als zu einer früheren Zeit in diesem Jahrhundert“) oder wenn gar nicht zu einem Vergleich aufgefordert wird.
Zusammenfassend stellen wir fest: Die Äußerung „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“, geht in Meinungsumfragen einher mit stärkerer Fremdenfeindlichkeit. Stolz z.B. auf demokratische oder kulturelle Leistungen ist dagegen nicht schädlich, weil es nicht zur Abwertung von Nicht-Deutschen führt. Daraus leiten wir die Empfehlung ab, dass Politiker und Medien versuchen sollten, vorsichtig und differenziert mit den Begriffen umzugehen. „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“ sollte im Repertoire von Meinungsbildnern nicht vorkommen.
Prof. Dr. Ulrich Wagner, Dr. Rolf van Dick, Dr. Andreas Homburg, Lic. Vanessa Smith-Castro, Dipl. Psych. Jost Stellmacher
Kontakt: Tel.: 06421/2826632
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