Küsse verrieten RUB-Forscher menschliche Vorliebe für die rechte Seite
Verräterische Küsse: Menschen drehen den Kopf lieber nach rechts – Asymmetrien bleiben ein Leben lang
Zwei Drittel aller menschlichen Nasen zeigen beim Küssen nach rechts: Genau wie schon als Embryo im Mutterleib drehen die meisten Menschen auch als Erwachsene den Kopf lieber zu dieser Seite. Diese Erkenntnis gewann Prof. Dr. Onur Güntürkün (Fakultät für Psychologie der RUB) durch seine zweieinhalbjährige Beobachtung küssender Paare im öffentlichen Raum. Er konnte so erstmals die bleibende Vorliebe für eine Seite bei Menschen nachweisen. Sie bedingt oder verstärkt möglicherweise andere Asymmetrien der Wahrnehmung und kognitiver Prozesse, die sich erst später im Leben entwickeln. Über die Studie berichtet das Wissenschaftsmagazin NATURE in seiner Ausgabe vom 13. Februar 2003.
Asymmetrien bei Tauben entstehen durch die Kopfdrehung
Die meisten Menschen bevorzugen das rechte Auge, das rechte Ohr, den rechten Fuß und die rechte Hand. Nach wie vor ist unklar, was der Auslöser für diese auffälligen Rechtsasymmetrien sind, die über alle Menschen hinweg meist in einem Rechts:Links-Verhältnis von 2:1 auftreten. Untersuchungen an Tauben könnten eine Antwort geben: Auch Vögel bevorzugen das rechte Auge. Bei ihnen liegt es daran, dass sie, wie fast alle anderen Wirbeltiere, schon als Embryo ihren Kopf am liebsten nach rechts drehen. Dadurch wird noch vor dem Schlupf hauptsächlich ihr rechtes Auge durch Licht stimuliert. Die Bochumer Forscher haben bereits herausgefunden, dass dieser Effekt das noch junge Vogelgehirn asymmetrisch verändert, und dass diese Asymmetrie dann weitere Links-Rechts-Unterschiede in der Wahrnehmung und in kognitiven Prozessen bedingt.
Menschen und Küken bevorzugen die rechte Seite
Könnten die Mechanismen bei Menschen die gleichen sein? Tatsächlich drehen auch menschliche Föten im Mutterleib ihren Kopf hauptsächlich nach rechts, und auch bei Neugeborenen ist diese Bevorzugung noch zu beobachten. Im Alter von drei bis sechs Monaten verschwindet der Effekt jedoch. Da sich die Rechtsvorlieben des Armes, des Fußes, des Auges und des Ohres aber erst viel später im Leben ausprägen, blieb es bisher unklar, ob sie eine Folge der Tendenz sind, lieber zu einer bestimmten Seite zu schauen. Um diesen Zusammenhang zu klären, wollte Prof. Güntürkün nun wissen, ob diese Rechtsdrehungsneigung des Kopfes vielleicht doch niemals verschwindet – würde sie lebenslang erhalten bleiben, könnte sie der Auslöser vieler menschlicher Asymmetrien sein. „Um eine solche Vorliebe bei Erwachsenen nachzuweisen, muss man die Menschen in einer Situation beobachten, in der sie sich spontan und ohne jeden Druck von außen entscheiden, den Kopf zu einer Seite zu drehen“, so Prof. Güntürkün. „So kam ich auf die Idee, sie beim Küssen zu beobachten.“
Küsse zählen auf Reisen
Zweieinhalb Jahre lang nutzte der Bochumer Biopsychologe Wartezeiten an Flughäfen und Bahnhöfen, Aufenthalte am Strand und in Parks in Deutschland, den USA und der Türkei, um Daten für seine Studie zu sammeln. Er wertete 124 Küsse von Paaren zwischen ca. 13 und 70 Jahren aus, für jedes Paar nur einen Kuss, bei mehreren Küssen zählte nur der erste. Um sich für die Auswertung zu qualifizieren, musste ein Kuss mehreren Kriterien genügen: Es musste Lippenkontakt geben, die Küssenden mussten sich gegenüberstehen, keiner durfte etwas in der Hand halten (denn das könnte eine Seitenvorliebe hervorrufen), und es musste eine eindeutige Kopfbewegung zu beobachten sein. Und siehe da: 80 der 124 Küsse fanden mit nach rechts gedrehten Köpfen statt.
Kopfvorliebe beeinflusst andere Asymmetrien
Die Rechtsvorliebe des Kopfes, die bei Menschen schon im Mutterbauch entsteht, verschwindet also nie. Sie könnte somit alle anderen Asymmetrien der Wahrnehmung und der Handlung nach sich ziehen. Für die Entwicklung zum Rechts- oder Linkshänder muss es übrigens noch andere genetische oder auch kulturelle Ursachen geben: Hier ist das Verhältnis 8:1. Möglicherweise existiert für die Händigkeit ein großer kultureller Druck, der eine schwache Rechtstendenz massiv verstärkt.
Weitere Informationen
Prof. Dr. Onur Güntürkün
Lehrstuhl für Biopsychologie
Fakultät für Psychologie der Ruhr-Universität Bochum
Raum GAFO 05/618, 44780 Bochum
Tel. 0234 – 32-26213
Fax: 0234 – 32-14377
E-Mail: onur.guentuerkuen@rub.de
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