Lieber beide arbeitslos?

Wenn der Mann arbeitslos wird, suchen Frauen in Deutschland eher eine bezahlte Arbeit, um das Familieneinkommen aufzustocken. In England dagegen wächst die Anzahl von Haushalten, in denen kein Erwachsener Arbeit hat. Die Soziologin Frances McGinnity vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin hat nach den Ursachen geforscht.

In ganz Europa ist die Arbeitslosigkeit gewachsen. Arbeitslosigkeit trifft nicht nur den Einzelnen, sondern auch die ganze Familie. Diesen Aspekt hat die Soziologin Dr. Frances McGinnity vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung untersucht. Wenn der männliche Partner arbeitslos wird, könnte die Frau – wenn sie zuvor Hausfrau war – eine bezahlte Arbeit annehmen. Dieser so genannte „added-Worker“-Effekt lässt sich in Deutschland tatsächlich beobachten. In England allerdings scheint es diesen Effekt nicht zu geben: Während dort etwa 75% der Frauen berufstätiger Männer einer bezahlten Arbeit nachgehen, sind es bei den erwerbslosen Männern nur 34%.

In den letzten Jahren hat die Zahl der britischen Haushalte zugenommen, in denen beide Partner arbeitslos sind, aber ebenfalls gestiegen ist die Zahl von Doppelverdiener-Haushalten. McGinnity hat nach den Ursachen gefragt, die eine solche Ungleichverteilung der Arbeit begünstigen und immer mehr britische Haushalte in Abhängigkeit von der Sozialhilfe treiben.

Für ihre Studie untersuchte sie jeweils rund 1200 Paare in England und Deutschland, deren weiblicher Teil im erwerbsfähigen Alter war. Diese Paare wurden im Rahmen nationaler Langzeitstudien wiederholt zu ihrer Arbeitssituation und ihrem Einkommen befragt. McGinnity nahm den Zeitraum von Anfang bis Mitte der 1990er Jahre in Augenschein. Wenn der männliche Partner seine Arbeit verlor, suchten viele der vormals nicht-berufstätigen Partnerinnen in Deutschland eine bezahlte Arbeit, während sie in England in der Regel keine vermehrten Anstrengungen unternahmen, sich in den Arbeitsmarkt einzugliedern. In beiden Ländern verspüren Frauen oft ein gewisses Unbehagen, die traditionell männliche Rolle des Ernährers zu übernehmen, die Gründe für die beiden verschiedenen Verhaltensmuster sind daher eher anderswo als in den Rollenbildern zu suchen, meint Frances McGinnity. Sie verweist vielmehr auf die unterschiedlichen sozialen Sicherungssysteme, die in den beiden Ländern für Arbeitslose eingerichtet sind: In Deutschland erhält der arbeitslose Ehemann in der Regel etwa 63% des letzten Gehalts, jedoch keinen Zuschlag für eine von ihm abhängige Ehefrau oder Partnerin. Die Arbeitslosenversicherung ist außerdem eine Leistung, die unabhängig vom Einkommen des Partners oder der Partnerin gewährt wird. Nimmt die Frau daher eine Stelle an, kann sie das Familieneinkommen erheblich aufbessern. In England dagegen erhalten die meisten Arbeitslosen ihre Unterstützung direkt von der Wohlfahrt und nicht von einer Arbeitslosenversicherung. Für die abhängige Partnerin gibt es außerdem einen Zuschlag von 76% der Unterstützung, andererseits wird auch ihr etwaiges Einkommen fast vollständig von der Transferleistung abgezogen. Damit soll gewährleistet werden, dass nur wirklich bedürftige Familien die staatliche Unterstützung bekommen. Solange die Partnerin also nicht deutlich mehr verdient als die Summe der sozialen Unterstützung, lohnt sich ihre Berufstätigkeit nicht. Dazu kommt, dass ein großer Anteil der Ehefrauen oder Partnerinnen von arbeitslosen Männern eher niedrig qualifiziert ist und damit keine hohen Verdienstmöglichkeiten hat.

Das britische System der Arbeitslosenhilfe, gegen die das Einkommen des Partners fast vollständig aufgerechnet wird, entmutigt also die Partnerin, aktiv nach Beschäftigung zu suchen. Damit trägt es dazu bei, dass die Zahl der Haushalte steigt, in denen kein Erwachsener mehr erwerbstätig ist. Beim Abwägen von Versicherungsleistungen wie der Arbeitslosenversicherung in Deutschland gegen Wohlfahrtsleistungen müsse man auch berücksichtigen, wie sich die Form der Unterstützung auf das Verhalten des Partners oder der Partnerin auswirken könne, gibt McGinnity zu bedenken. Nur die „wirklich Bedürftigen“ zu unterstützen, indem man alle Einkommen von der Unterstützung abzieht, mag auf den ersten Blick das billigste sein, könnte aber auf Dauer zur Verarmung und Abhängigkeit weiter Kreise beitragen.

Kontakt:
Dr. Frances McGinnity
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
Lentzeallee 94, 14195 Berlin
Tel.: 030 – 82406-392
E-Mail: Mcginnity@mpib-berlin.mpg.de

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Dr. Antonia Rötger idw

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