Sind Arbeitslose "faul"?
Stigmatisierung statt Arbeitsplätze
WZB-Studie: Die Debatte über „faule“ Arbeitslose unterliegt politischen Konjunkturen
Wenn die Konjunktur lahmt, die Arbeitslosenzahlen hoch sind und Bundestagswahlen vor der Tür stehen, dann lassen Bundesregierungen gerne die Alarmglocken schrillen: „Es gibt zu viele faule Arbeitslose!“ In einer WZB-Analyse untersuchte Arbeitsmarktforscher Günther Schmid mit seinen Mitarbeitern Frank Oschmiansky und Silke Kull
die Geschichte der vier größeren „Faulheits“-Debatten, die sich seit den 70er Jahren nachweisen lassen. Sie wurden jeweils ein bis anderthalb Jahre vor einer Bundestagswahl initiiert und weisen ein wiederkehrendes Muster auf. Außerdem verglichen die WZB-Wissenschaftler die Sperrzeitenregelungen in zwölf OECD-Ländern. Die Analyse ergab, dass positive Anreize durch erweiterte Entscheidungsspielräume bei Arbeitslosen, Arbeitsverwaltung und Arbeitgebern eher als Sanktionen geeignet sind, die Arbeitslosigkeit abzubauen.
„Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft“. So brach Bundeskanzler Gerhard Schröder im April 2001 eine heftige Diskussion über „Faulenzer“, „Drückeberger“, „Scheinarbeitslose“, „Sozialschmarotzer“ vom Zaun. Die erste dieser „Faulheits“-Debatten wurde 1975 unter dem Stichwort „Wildwüchse beschneiden“ durch den sozialdemokratischen Bundesarbeitsminister Walter Arendt ausgelöst. Die zweite große Debatte im Sommer 1981 gipfelte in dem Vorwurf des damaligen Bundestagsabgeordneten Erich Riedl (CDU/CSU), das soziale Netz sei für viele „eine Sänfte (…) geworden, in der man sich von den Steuern und Sozialabgaben zahlenden Bürgern unseres Landes von Demonstration zu Demonstration (…) und dann zum Schluss zur Erholung nach Mallorca (…) tragen lasse“. Auch die dritte 1993, ausgelöst durch die Aussage von Bundeskanzler Kohl – „Wir können die Zukunft nicht dadurch sichern, dass wir unser Land als einen kollektiven Freizeitpark organisieren“ – war nicht minder deftig.
Alle großen „Faulheits“-Debatten haben ein wiederkehrendes Muster, erkannten die WZB-Forscher:
- Sie fallen in Zeiten hoher oder politisch bedrohlicher Arbeitslosigkeit. Die ersten drei Debatten fallen in die drei großen Rezessionen, während derer die Arbeitslosigkeit jeweils stark anstieg. Hintergrund der aktuellen Diskussion ist die Erwartung, dass die von Bundeskanzler Schröder angestrebte Zahl der Arbeitslosen von weniger als 3,5 Millionen Personen im Wahljahr 2002 nicht erreicht wird.
- Die Debatten waren jeweils ein bis anderthalb Jahre vor der nächsten Bundestagswahl initiiert worden und/oder sie wurden nach einer Reihe empfindlicher Niederlagen der Regierungskoalition in Landtagswahlen angefacht.
- Zur gleichen Zeit stimmte in Meinungsumfragen ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung der Aussage zu, viele Arbeitslose wollten gar nicht arbeiten.
- Die ersten drei Debatten waren mit sinkenden Sperrzeitenquoten verbunden und führten zu einer Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln.
Die Wissenschaftler analysierten auch – international vergleichend – die Sanktionen bei Fehlverhalten („Sperrzeiten“), durch die Arbeitslose kein Geld bekommen. Ihr Ergebnis: Im Vergleich zu anderen Ländern sind die deutschen Vorschriften eher streng und wenig flexibel. Bis zu einem gewissen Grad können Arbeitslose in anderen Ländern durch ihr Verhalten (nachweisbare Suchaktivitäten, Kooperation mit den Arbeitsämtern) Sanktionen vermeiden oder sogar wieder rückgängig machen. Die Flexibilität kann sowohl die Dauer der Sperrzeiten als auch die Höhe der Leistungen betreffen; beide Optionen erscheinen in Deutschland noch unterentwickelt. Die Wissenschaftler des WZB empfehlen daher, den Arbeitsvermittlern ein flexibleres Instrumentarium an die Hand zu geben. Günther Schmid: „Situationsgerechte ’Nadelstiche’ sind wirkungsvoller als die Drohung mit der ’Keule’ einschneidender Kürzungen“.
Die Analyse ergab auch, dass positive Anreize effektiver sind. Schmid rät, die Entscheidungsspielräume bei Arbeitslosen, Arbeitsverwaltung und Arbeitgebern zu erweitern. Dänemark und Großbritannien hätten gute Erfahrungen mit Eingliederungsverträgen gemacht. Fazit des Arbeitsmarktforschers Günther Schmid: „Es gibt kein Recht auf Faulheit, wohl aber eins auf mehr Freiheit im Erwerbsleben“.
Weitere Informationen: Professor Günther Schmid, Telefon: 030 / 25 49 11 30
E-Mail: gues@wz-berlin.de
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„Faule Arbeitslose? – Politische Konjunkturen einer Debatte“, in: WZB-Mitteilungen, Heft 93, September 2001, S. 5 – 10
Frank Oschmiansky, Silke Kull, Günther Schmid, Faule Arbeitslose? – Politische Konjunkturen einer Debatte, 30 S.
(WZB-Bestellnummer FS I 01-206, auch als pdf-File unter www.wz-berlin.de )
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