Putzwut und Berufsstress: PsychologInnen der Uni Graz untersuchten das Erleben von Mehrfachbelastungen

Die subjektive Wahrnehmung von Mehrfachbelastungen durch Beruf und Familie war nur eines der Themen, mit denen sich die europaweit durchgeführte Studie „FamWork“ intensiv beschäftigte. Nach 33 Monaten Laufzeit ist das Projekt nun abgeschlossen. Und die Auswertungen liefern interessante Einblicke in die Haushalte sowie in Erleben und Wirklichkeit von Herrn und Frau Europäer.

„FamWork“ (Family Life and Professional Work: Conflict and Synergy) wurde an den Psychologie-Instituten acht europäischer Unis, darunter auch Graz, durchgeführt und soll die subjektive Wahrnehmung von Doppelbelastungen und die daraus resultierenden Folgen erfassen. Dazu wurden pro Land über 200 Familien zu ihrer jeweiligen Lebenssituation befragt. Im Zentrum der Erhebungen standen psychologische Variablen: Wie wird die eigene Situation erlebt? Wie empfindet der Partner, die Partnerin? Das Grazer Team um Projektleiter Univ.-Prof. Dr. Gerold Mikula hat detaillierte Daten – etwa bezüglich Einkommen, Sicht der Geschlechterrollen oder subjektiv empfundenen Berufsstress – analysiert und internationale Vergleiche angestellt.

Europa im Vergleich

Von besonderer Bedeutung ist die eigene Sicht der Geschlechterrollen, wobei zwischen „traditionellen“ und „egalitären“ Staaten unterschieden werden kann. Personen in südlichen Ländern neigen eher zu konservativen Rollenvorstellungen als Personen im Norden Europas, die tendenziell eine „modernere“ Einstellung gegenüber dem Thema gleichberechtigte Arbeitsteilung im Haushalt haben. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass das Kochen, Putzen, Bügeln tatsächlich genau auf Frau und Mann aufgeteilt ist.
Besonders in Österreich und Deutschland klaffen die Einstellungen und das tatsächliche Verhalten beträchtlich auseinander. Denn in den Haushalten hierzulande und bei unseren nördlichen Nachbarn wird zwar gerne auf die Gleichberechtigung verwiesen, die wirkliche Aufteilung der Arbeit ist hingegen genauso traditionell wie in den südeuropäischen Ländern. „In Portugal und Italien sowie in Finnland und in den Niederlanden stimmen die Aussagen und die Wirklichkeit dagegen besser überein“, fasst Gerold Mikula zusammen.

Einstellungssache

Die Gründe, warum „halbe-halbe“ nicht voll und ganz funktioniert, sind unterschiedlich. Zum einen macht die Frau mehr im Haushalt, je mehr der Mann im Beruf arbeitet. Zum anderen spielt die Einstellung der Männer eine Rolle: je traditioneller die Haltung, desto weniger helfen sie daheim mit. Die für Beruf und Familie aufgewendete Zeit steht in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Wohlbefinden. Mikula: „Jemand, der 16 Stunden arbeitet, kann genauso glücklich sein wie jemand, der acht Stunden arbeitet.“ Entscheidend ist das subjektive Erleben. Die Hausarbeit wirkt sich nur dann negativ auf die Zufriedenheit aus, wenn sie als besondere Belastung wahrgenommen wird.

Authentizität

Für die Datenerhebung hat man sich im Projekt FamWork etwas Spezielles einfallen lassen: die Verwendung eines Pocket-Organizers. Dieser „meldete“ sich eine Woche lang dreimal am Tag bei den Testpersonen und stellte Fragen zur momentanen Gefühlslage, zu den im Haushalt ausgeübten Tätigkeiten und zur Unterstützung durch den/die PartnerIn. Diese wurden direkt am Organizer beantwortet. „Dabei konnten wir unter anderem untersuchen, ob die Angaben, die beim Ausfüllen eines Fragebogens gemacht werden, mit dem tatsächlichen Aufwand im Haushalt übereinstimmen“, erklären die ProjektmitarbeiterInnen Mag. Sonja Jagoditsch und Mag. Harald Lothaller. Die elektronischen Aussagen sind nämlich aktuell und authentischer als Angaben am Fragebogen.

Die Ergebnisse bringen weitere interessante Aspekte ans Licht. So ist etwa bei „traditionellen“ Männern festzustellen, dass sie ihren Beitrag im Haushalt deutlich unterschätzen. Umgekehrt überbewerten Frauen mit „konservativeren“ Einstellungen ihren Anteil an der täglichen Hausarbeit.

Auch das persönliche Wohlbefinden der Befragten wurde so genauestens unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: Je mehr Vereinbarkeitsprobleme zwischen Beruf und Familie, desto mehr Beziehungskonflikte, desto weniger psychisches und physisches Wohlbefinden. Und diese negativen Folgen sind auch noch am nächsten Tag spürbar.

Kontakt:
Univ.-Prof. Dr. Gerold Mikula
Institut für Psychologie der Universität Graz
Tel. 0043/(0)316/380-5113
E-Mail: gerold.mikula@uni-graz.at

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Gudrun Pichler idw

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