Europa und seine Pioniere

Warum migrieren Leute innerhalb Europas? Herrscht wie früher immer noch das gleiche Motiv, nämlich die Arbeitsuche, vor? Oder überschreiten Europäer Grenzen zum Studium oder um ihr Rentenalter in einer klimatisch angenehmeren Gegend zu verbringen? Und wie verteilen sich diese Gruppen auf die verschiedenen europäischen Ländern? Diese und viele andere Forschungsfragen standen im Fokus des EU-Projektes PIONEUR und sind nun beantwortet.

Das Projekt PIONEUR – ein innereuropäisches Projekt zur Untersuchung von EU-Mobilität und EU-Identität – hat seine Arbeit beendet und seine Ergebnisse wurden auf einer Pressekonferenz in Brüssel am 28.3.2006 präsentiert. Veranstaltet wurde diese von der Europäischen Kommission, DG Research und DG Employment, vertreten durch Guilia Amaducci und Ivone Kaizeler.

Obwohl 2006 das „European Year of Workers’ Mobility“ ist, zeigen offizielle Zahlen, dass gerade mal zwei Prozent der europäischen Bürger außerhalb ihres Heimatlandes in einem anderen Land der EU leben. Allerdings scheint diese Zahl weiter zu wachsen: Gerade die Zahl der jungen Leute steigt, die aus Arbeitsgründen und Abenteuerlaune in die Mega-Citys London oder Paris ziehen. Professionals aus globalen Firmen sind ebenfalls in der Welt zu Hause, Rentner suchen sich sonnige Plätzchen mit besserer Lebensqualität und internationale Studienaustauschprogramme erweitern den Horizont. Warum aber sind diese Migranten so stark in der Minderheit? Anhand eines qualitativ-quantitativen Methodenmix geht das PIONEUR-Projekt den EU-Wanderern nach.

Wer sind die EU-Migranten und warum ziehen Migranten aus ihrem Heimatland weg? Waren es früher hauptsächlich nicht-qualifizierte Arbeitsmigranten vom Süden – sogenannte Gastarbeiter – die innerhalb der EU nach Norden migrierten, so sind es heute mehr und mehr besser Hochqualifizierte, die ihr Heimatland verlassen. Und nicht nur Arbeit, sondern auch ein angenehmerer Ruhestand sowie ein Studium an einer europäischen Universität können Gründe für einen EU-Länderwechsel sein. Je nach Motivation zieht es die Migranten in verschiedene EU-Länder. Während sich in Spanien die Ruheständler aus Deutschland und Großbritannien sonnen, zieht es die gebildeteren Spanier und weniger gebildete Italiener nach Deutschland. Eins kann jedoch festgehalten werden: die innereuropäische Migration der Rentner steigt – Arbeiten im Norden, Alter genießen im Süden. Arbeitssuche und Geldverdienen sind nicht länger mehr der vorherrschende Grund, nein, die meisten verlassen ihr Heimatland der Liebe wegen – besonders die Frauen, erst dann kommt die Arbeit mit ins Spiel. An dritter Stelle steht der Wunsch nach mehr Lebensqualität.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die soziale Mobilität. Gelingt es Migranten eher als ihren Heimatgenossen, auf der sozialen Leiter aufzusteigen, oder müssen sie nicht im Gegenteil fürchten, in der EU-Fremde noch weiter nach unten gedrückt zu werden? Die Ergebnisse aus der PIONEUR-Studie deuten darauf hin, dass Migranten in der sozialen Klasse bleiben, aus der sie gekommen sind. Allerdings entstammt die Mehrheit der innereuropäischen ’mover’ bereits aus bürgerlichen und oberen Schichten und bleibt das auch. Für Frauen und Migranten mit geringerer Bildung ist das Risiko, sozial tiefer zu sinken, jedoch trotzdem weiterhin vorhanden.

Wie sieht es mit der Intergration der EU-Migranten aus? Der Schlüsselindikator für die Integration im Gastland sind Sprachkenntnisse. Obwohl ihre Sprachkenntnisse wesentlich höher sind als die der Daheimgebliebenen, sind die meisten EU-Mover mit der Sprache ihres Gastlandes nicht so bewandert. Die große Ausnahme bildet hier natürlich Großbritannien und seine Einwohner: Die Weltsprache Englisch wird von Migranten nach Großbritannien in hohem Maße adaptiert, während die Briten im europäischen Ausland eher keine Notwendigkeit sehen, sich anderer europäische Sprachen anzunehmen.

Aber nicht nur Sprache ist ein Integrationsmedium, auch die Annahme der spezifischen Kultur und des Lebenstils sind Indikatoren für Integration. Hier vermissen die EU-Auswanderer doch einige Selbstverständlichkeiten aus der alten Heimat. Während die Spanier ihren ’Lifestyle’ vermissen, nennen vor allem die nach Süden ausgewanderten Deutschen und Briten die bürgerliche Tugenden als Mangelware, obwohl sie ihre Zeit hauptsächlich mit Freunden und Bekannten aus dem gleichen Land teilen. Franzosen und Spanier hingegen haben eher auch Freunde aus ihrem Gastland.

Bezüglich ihrer Identität sind die EU-Migranten die besseren Europäer. Sie haben nicht nur ein positiveres Image von der EU und fühlen sich eher als Europäer, sie haben auch eine bessere Kenntnis über Europäische Institutionen und Politik als die Daheimgebliebenen. Mehrheitlich identifizieren sich die europäischen Migranten sowohl mit ihrem Heimatland, ihrem Gastland und auch mit Europa. Natürlich gibt es auch Gruppen, die sich weniger als Europäer fühlen, oder die sich nicht mit ihrem Gastland identifizieren können. Auch was die politische Partizipation angeht, sind die EU-Migranten auf der Europa-Welle: Nicht nur, dass sie politisch interessierter sind, ihre Wahlbeteiligung bei europäischen Wahlen ist auch höher. Allerdings nehmen sie an nationaler Wahlen weniger häufig teil als ihre im Heimatland gebliebenen Landsleute.

Für ihre Informationsbeschaffung greifen die meisten EU-Migranten auf die Medien ihres Gastlandes zu. Aber auch hier zeigen sich Unterschiede zwischen den verschiedenen Migrantengruppen. Migranten in Großbritannien und Frankreich nutzen stärker die Medien des Gastlandes als Migranten in Deutschland, Italien und Spanien. Obwohl die EU-Migranten keinesfalls eine homogene Masse darstellen und die Mediennutzung generell in Abhängigkeit von Bildung, Alter und Sprachkenntnissen zu sehen ist, haben die ’Mover’ trotzdem einen höheren Medienkonsum als die ’Stayer’.

Kontakt:
Michael Braun – Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA)
braun@zuma-mannheim.de
Nina Rother – Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA)
rother@zuma-mannheim.de

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Kerstin Hollerbach idw

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