Kaleidoskop der Heiligen Nacht – Weihnachten zwischen Moderne und Tradition

Die Welt an Weihnachten: Die Finnen glauben, der Weihnachtsmann kommt aus ihrem Land; der Dezember heißt bei ihnen übersetzt sogar „Weihnachtsmonat“. Im australischen Sydney startet am zweiten Feiertag jedes Jahr eine große Hochseeregatta, bei der das ganze Land life oder per Fernseher zuschaut.

In Japan wird an Weihnachten ganz normal gearbeitet. In Südafrika ist im Dezember Sommer. Wer kann, liegt deshalb Heiligabend am Strand und feiert dort die Geburt Christi. Die Bräuche unterscheiden sich rund um den Globus – je nach Kultur und Klima. Ähnlich ist es mit dem akademischen Blick auf Weihnachten. Es gibt nicht die wissenschaftliche Deutung des Festes, es kommt auf die Perspektive an. Ein Rundgang durch einige Disziplinen an der Freie Universität Berlin und ihre Sicht auf Geschenke, Tannen und die „Stille Nacht“.

Der Ökonom

In diesem Jahr begann die Weihnachtszeit schon im August – jedenfalls in England. Das Luxus-Kaufhaus „Harrods“ in der Innenstadt von London füllte schon 140 Tage vor dem heiligen Abend seine Auslagen mit Christbaumkugeln und Lichterketten. „We wish you a merry Christmas“ lief vom Band – bei 20 Grad Außentemperatur. Zwar war London dieses Jahr besonders früh dran, doch ist das Vorverlegen der Weihnachtszeit Anzeichen für einen allgemeinen Trend: Der Einzelhandel versucht durch die Inszenierung von Festen und Feiertagen mehr Umsatz zu erzielen. Auch Halloween ist dafür ein gutes Beispiel. US-Amerikaner und Kanadier feiern den Abend vor Allerheiligen traditionell ausgiebig, doch hierzulande hatte das Volksfest bis vor wenigen Jahren kaum eine Bedeutung. Mittlerweile finden sich im späten Herbst auch in deutschen Geschäften zahlreiche Kürbis-Gesichter und Grusel-Kostüme. Doch wie erfolgreich ist diese Strategie des Einzelhandels? „Es ist fraglich, ob dadurch mehr Umsatz generiert wird“, sagt Volker Nitsch, Juniorprofessor am Institut für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsgeschichte der Freien Universität. „Für den Umsatz-Kuchen insgesamt sind andere Faktoren wie zum Beispiel die allgemeine Einkommensentwicklung viel bedeutsamer als solche Marketing-Maßnahmen.“ Wahr aber bleibt, dass das Weihnachtsgeschäft für den Einzelhandel die wichtigste Zeit im Jahr ist. „Vor allem Spielzeughändler machen einen Großteil ihres Umsatzes in dieser Zeit“, sagt Nitsch. In den letzten Jahren gingen die Einzelhandels-Umsätze zum Jahresende steil nach oben, wie Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen. Im Januar ließ dann der Kaufrausch deutlich nach. „Diese Entwicklung könnte in diesem Jahr noch deutlicher sichtbar werden“, sagt Nitsch, „wegen der Mehrwertsteuererhöhung.“ Für Ökonomen ist es wichtig, möglichst früh eine Voraussage über die kommende Entwicklung treffen zu können. „In der Wirtschaft verschafft es einem enorme Wettbewerbsvorteile, wenn man mehr weiß als andere“, sagt Nitsch. Deshalb sind zum Beispiel Volkswirte bei Banken immer auf der Suche nach so genannten Frühindikatoren – Hinweise, die möglichst früh Aussagen über die Zukunft erlauben. Und sie kommen dabei auf die verrücktesten Ideen. „In den USA hat eine Bank eine Umfrage gestartet, wie viel Geschenkband und Einwickelpapier die Verbraucher kauften“, berichtet Nitsch. Für den Großraum San Franzisko habe sich so erahnen lassen, wie gut das Weihnachtsgeschäft laufen werde.

Die Pädagogin

Doch nicht nur für das Wirtschaftsleben ist die Weihnachtszeit eine verlässliche Größe. Auch in der Familie ist Weihnachten ein wichtiges Ritual – und das ziemlich unverändert in den letzten Jahren, wie Studien an der Freien Universität zeigen. Die Pädagogin Kathrin Audehm vom Arbeitsbereich Anthropologie und Erziehung hat sechs Jahre lang Familienrituale untersucht. Ihre Einschätzung in Bezug auf Weihnachten: „Die Familien versuchen, Weihnachten als festen, stabilen Punkt in einem Meer von Unsicherheit zu zelebrieren“, sagt Audehm. Die zunehmend als unsicher empfundene Welt hinterlasse ihre Spuren in den Familien: So stiegen die Anforderungen an Kinder, gute Leistungen in Schule und Studium zu erbringen. Oder die Angst der Eltern vor Arbeitslosigkeit könne plötzlich ein Thema am Küchentisch sein. „Aber Weihnachten bleibt davon weitestgehend unberührt“, sagt Audehm. Harmonie und Vertrautheit im Kreis der Familie – das sei das Ziel. „Dieser Versuch kann zu Überforderung führen“, so die Ritualforscherin. „An manchen Traditionen wird so rigide festgehalten, dass sie nicht mehr zu veränderten Lebensumständen passen.“ Das führt zum klassischen Feiertags-Paradoxon: Weil alle zwanghaft glücklich sein wollen, kracht es erst recht. Drei Weihnachtstrends sind ebenfalls über die Jahre stabil geblieben. Erstens: Man besucht seine Familie über die Feiertage. Wer von zu Hause weggezogen ist, fährt zurück in die Heimat. Zweitens: Um die Bescherung wird immer noch ein großes Geheimnis gemacht. „Nicht überall wird ein Glöckchen geläutet“, sagt Audehm, „aber es gibt diesen besonderen Moment, wenn die Bescherung losgehen soll.“ Und drittens gibt es nach wie vor einen traurigen Weihnachtsrekord: die Selbstmordrate, die vor allem bei einsamen Menschen im Dezember steil ansteigt.

Der Musikwissenschaftler

Zu den Ritualen am Heiligen Abend gehört auch das Singen. Das wohl erfolgreichste traditionelle Weihnachtslied der Welt ist „Stille Nacht“ – mittlerweile ist es in mehr als 300 Sprachen übersetzt worden. Das erste Mal gesungen wurde der Klassiker am 24. Dezember 1818 in einer Pfarrkirche in der Nähe von Salzburg. Die beiden Erfinder trugen es damals selbst vor, und zwar mit Gitarrenbegleitung: Der Pfarrer Josef Mohr hatte den Text geschrieben, der Organist Franz Xaver Gruber die Melodie. „Sie reagierten damit offenbar auf das sich ausbreitende Bedürfnis, Weihnachten als familiäre Idylle zu feiern“, sagt Christoph Henzel, Privat-Dozent am Seminar für Musikwissenschaft der Freien Universität. Jedoch scheint die Karriere des Klassikers zu Neige zu gehen. „Das gemeinsame Singen zu Hause, soll in den letzten 50 Jahren abgenommen haben, nicht nur in der Advents- und Weihnachtszeit“, sagt Henzel. Von daher sei es auch zu erklären, dass von vielen Weihnachtsliedern heute höchstens noch die erste Strophe allgemein bekannt sei. Schwer hätten es da ältere Lieder wie „Es ist ein Ros' entsprungen“, das aus dem 15. Jahrhundert stammt: Um sie zu verstehen, müsse man biblisches Hintergrundwissen parat haben. Insgesamt seien die traditionellen religiösen Formen im Schwinden begriffen, so Henzel. Weihnachten komme dabei im Vergleich sogar noch ganz gut weg. Mit Ostern als dem Fest der Auferstehung Christi können immer weniger Menschen etwas anfangen – die Geburt an Weihnachten ist vielen aber noch präsent. Entsprechend voll sind die Kirchen am Heiligabend. Musikalisch ersetzt werde die klassische Hausmusik immer mehr durch Popkulturelles, so Henzel. Mit dem Keyboard und der CD komme aber auch ein neues Repertoire an Weihnachtsmusik in die Wohnzimmer: „Jingle Bells“ zum Beispiel oder „Last Christmas“ von der Gruppe Wham. Ein Gegentrend zu dieser Entwicklung seien aber Bücher, CDs und sogar Handylieferdienste, mit denen man vor allem traditionelle Weihnachtslieder erlernen könne. Das lasse den Schluss zu, dass die Bedeutung des Weihnachtsfests im Wandel begriffen sei, sagt Henzel. Gleichzeitig sei der von Pfarrer Mohr formulierte Wunsch nach einer „Stillen Nacht“ ungebrochen.

Bei aller Veränderung gibt es aber einen echten Gewinner: den Weihnachtsbaum. Und das, obwohl es eigentlich ein heidnischer Brauch ist, Häuser mit Tannenzweigen zu schmücken. Die alten Germanen glaubten, die immergrünen Bäume hätten eine besondere Kraft und wollten mit den Zweigen die Rückkehr des Frühlings beschleunigen. Gegen kirchliche Verbote setzte sich der Brauch im 19. Jahrhundert durch, von ersten Bäumen in Berlin wurde um 1800 berichtet. Und auch in die angebliche Heimat des Weihnachtsmannes zog die Tanne ein – allerdings erst knapp 30 Jahre später. Die ersten Aufzeichnungen über Weihnachtsbäume in Finnland datieren aus dem Jahr 1829.

Von Oliver Trenkamp

Weitere Informationen erteilen Ihnen:
– Prof. Dr. Volker Nitsch, Institut für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsgeschichte der Freien Universität Berlin, Telefon: 030 / 838-56280 oder 838-54903, E-Mail: volker.nitsch@wiwiss.fu-berlin.de
– Dr. Kathrin Audehm, Arbeitsbereich Anthropologie und Erziehung der Freien Universität Berlin, Telefon: 030 / 838-50356, E-Mail: kathrin_audehm@web.de

– Priv.-Doz. Dr. Christoph Henzel, Seminar für Musikwissenschaft der Freien Universität Berlin, Telefon: 030 / 838-56610

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