Störung der Privatsphäre ohne Tatverdacht

Die neue Regelung, die verdeckte Ermittlungen erleichtern soll, ruft breite Proteste von Seiten der Verfassungsschützer hervor. In einem Interview erläutert Hans-Jörg Albrecht, Professor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, was das neue Gesetz so problematisch macht.

Herr Albrecht, Sie haben für das deutsche Justizministerium gerade eine Untersuchung über das neue Gesetz zur Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten abgeschlossen. Was genau beinhaltet das Gesetz?

Albrecht: Das Gesetz ist Teil eines größeren Pakets der Bundesregierung. Es setzt eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2006 um und regelt den Einsatz verdeckter Ermittlungsmethoden neu. Ab dem Januar 2008 sollen Daten der Telekommunikation von Privatpersonen für mindestens sechs Monate und maximal für zwei Jahre gespeichert werden dürfen. Das umfasst nicht nur Informationen zur gewählten Nummer bei einem Telefongespräch, zur Dauer eines Gesprächs oder zur geographischen Position eines angewählten Mobiltelefons. Es betrifft auch das Internet. Auf jeder Seite wird die Computeradresse des Besuchers von nun an vermerkt werden. Nur der Inhalt eines Gesprächs oder einer E-Mail bleibt Tabu.

Was ist das Ziel eines solchen Gesetzes?

Albrecht: Die Speicherung von Telekommunikationsdaten ist nicht neu, Telekommunikationsfirmen tun dies schon heute. Allerdings dient dies bisher ausschließlich zur Rechnungslegung. Diese Daten dürfen für maximal drei Monate gespeichert und nur von den Telekommunikationsfirmen selbst eingesehen werden. Außerdem betrifft diese Erfassung nicht alle Kunden, denn die gewählte Nummer und die Dauer eines Gesprächs werden bei sogenannten Prepaid-Diensten oder bei Flatrate-Verträgen nicht benötigt. Das neue Gesetz regelt die Speicherung hingegen zum Zweck einer möglichen Strafverfolgung. Es soll schwere kriminelle Übergriffe und Terrorismus nach Möglichkeit verhindern. Deshalb werden alle Daten gespeichert, auch die von Flatrate-Benutzern. Und zwar für einen längeren Zeitraum.

Wer darf auf die Daten zugreifen und in welchem Fall?

Albrecht: Die Daten bleiben bei den Telekommunikationsfirmen. Auf sie zugreifen können Strafverfolgungsbehörden wie Polizei oder auch Geheimdienste und Verfassungsschutzämter. Die Daten dürfen aber nur abgerufen werden, wenn ein mittelschwerer bis schwerer Tatverdacht besteht. Ein Delikt, das nur eine Geldstrafe nach sich ziehen würde, reicht nicht aus. Es muss der Hinweis auf Handlungen wie Mord oder schwerer Betrug vorliegen, also auf Verstöße, die normalerweise mit Freiheitsentzug bestraft werden. Strafverfolgungsbehörden müssen dafür eine richterliche Anordnung einholen. Geheimdienste hingegen benötigen nicht einmal das. Das öffnet natürlich die Wege für eine gewisse Willkür.

Gibt es deshalb viele kritische Meinungen zu dem Gesetz?

Albrecht: Ja. Das ist ein Kritikpunkt. Aber das eigentliche Problem ist die Speicherung der Daten selbst, denn sie erfolgt unabhängig von Hinweisen auf eine Straftat. Das Gesetz erfasst die ganze Bevölkerung auf eine präventive Art und Weise und stört damit die Privatsphäre ohne einen Tatverdacht. In den 80er-Jahren gab es schon einmal den Versuch einer deutschen Regierung, die Vorratsspeicherung einzuführen. Das war im Zusammenhang mit dem Volkszählungsgesetz, das ermöglichen sollte, demographische Daten zu erheben. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Gesetz verhindert, denn viele der Daten sollten gespeichert werden, ohne dass ein aktueller Verwendungszweck bestand, also auf Vorrat.

Von deutschen Verfassungsschützern wird das aktuelle Gesetz als ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung angesehen. Es ist übrigens interessant, dass etwas Vergleichbares bisher nicht einmal in den USA eingeführt wurde. Es gab zwar immer wieder Vorstöße einzelner Bundesstaaten, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Kinderpornographie im Internet oder gegen den Terrorismus. Selbst nach dem 11. September ist es nicht durchgegangen. Dieser Vorgang ist bisher einmalig.

Dieses Interview führte Matthias Nawrat

Media Contact

Barbara Abrell idw

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