Extreme Jugend?
In Griechenland protestieren fast jeden Tag tausende Menschen gegen ihre Regierung. Oft sind es Jugendliche, die keine Perspektive für die Zukunft sehen. Ähnlich sieht es in Portugal aus.
In Spanien campieren tagelang tausende junge Menschen auf einem zentralen Platz, um auf ihre prekäre Situation aufmerksam zu machen. Fast die Hälfte von ihnen ist arbeitslos trotz sehr guter Ausbildung. „In vielen europäischen Staaten fühlt sich die Jugend von der Politik ausgegrenzt und nicht mehr repräsentiert“, sagt Prof. Dr. Klaus Dörre von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Wenn es nicht gelingt, solche Proteste in demokratische Prozesse einzuhegen, kann eine Eigendynamik entstehen, die in den Extremismus führt.“ Das habe die Vergangenheit bewiesen.
In dem jetzt gestarteten EU-Projekt MYPLACE („Memory, Youth, Political Legacy and Civic Engagement”) wollen Sozialwissenschaftler von 14 europäischen Universitäten in den nächsten vier Jahren untersuchen, inwieweit Erfahrungen mit Totalitarismus und Extremismus junge Menschen von heute beeinflussen. „Dabei wird es zwar vor allem um Rechtsextremismus gehen, aber es sind z. B. baltische Staaten beteiligt, in deren Vergangenheit der Stalinismus eine große Rolle spielt“, erklärt der Soziologe Dörre, der den Jenaer Bereich leitet. Gemeinsam mit Kollegen von der Universität Bremen trägt er die Ergebnisse für Deutschland zusammen. Ost und West untersuchen die Sozialforscher getrennt.
Durch die nationalsozialistische Vergangenheit sei in Deutschland das Tabu noch sehr klar ausgeprägt, sagt Dörre. In der politischen Gegenwart spielten deshalb rechtsextreme Parteien kaum eine Rolle. Nichtsdestotrotz sei die Gefahr nicht gebannt. Man könne auch die Diskussion um Rechtsextremismus nicht auf die Frage der Bildung reduzieren. „Das ist kein Problem, das man einfach wegbilden kann“, sagt der Jenaer Soziologe. Oftmals steckten dahinter Interessenverletzungen, die auf extremes Gedankengut treffen.
Derzeit ist das in ganz Europa zu beobachten. Aus der Wirtschaftskrise gingen manche Staaten als Gewinner andere als Verlierer hervor. Die Bevölkerung der Verlierer wendet sich von ihren Regierungen ab und sucht teilweise Alternativen in Extremen. In den Gewinnerstaaten werden nationalistische Parteien stark, die sich von den Krisenverlierern abschotten wollen. Der europäische Einigungsprozess sei dadurch in Gefahr, schließlich sei er vor allem ökonomisch getrieben. „Derzeit hat eine rechtspopulistische Welle in verschiedenen europäischen Ländern – wie Finnland oder den Niederlanden – populistische Parteien in die Parlamente gespült“, sagt Prof. Dörre. „Dort ist es den Rechtsextremen gelungen, sich von der Geschichte zu distanzieren und auch kulturelle Themen, wie etwa die Islamdiskussion, für ihre Zwecke zu benutzen.“ Charismatische Führungspersönlichkeiten täten dann ein Übriges.
Deshalb hat die Europäische Union MYPLACE als sehr wichtig eingestuft und sich direkt unterstellt. Jede Universität erhält 400.000 bis 500.000 Euro. In Jena werden davon eine Postdoc- und eine Doktorandenstelle finanziert.
Kontakt:
Prof. Dr. Klaus Dörre
Institut für Soziologie der Universität Jena
Carl-Zeiß-Straße 2, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 945520
E-Mail: Klaus.Doerre[at]uni-jena.de
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Weitere Informationen:
http://www.uni-jena.deAlle Nachrichten aus der Kategorie: Gesellschaftswissenschaften
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