Heidelberger Forscher "verfolgen" ältere Menschen

Im Zuge des demographischen Wandels bedrohen demenzielle Erkrankungen, wie z.B. die Alzheimer'sche Erkrankung, immer häufiger die Lebensqualität alternder Menschen und ihrer Angehörigen.

Aus diesem Grunde laufen die wissenschaftlichen Anstrengungen zur Reduzierung ihrer gravierenden Folgen im Alltag wie das Nicht-mehr-Erkennen von geliebten Menschen und bekannten Räumen und möglicherweise einer Unterstützung durch technische Hilfen (z.B. mobile Ortungs- und Notrufsysteme) auf Hochtouren.

Ein besonders häufig auftretendes Verhaltensproblem bei demenziellen Erkrankungen sind Störungen bei außerhäuslicher Mobilität, etwa in Gestalt von unkontrolliertem Wanderverhalten, Verlust der Orientierung, sich Verlaufen oder der Fehleinschätzung von Gefahren bei stark befahrenen Straßen. Eingehende Untersuchungen alltäglicher außerhäuslicher Aktivitäten bei kognitiv beeinträchtigten Älteren liegen allerdings bislang noch kaum vor, obwohl über die Hälfte der Personen mit Demenz in normalen Privatwohnungen und nicht in Heimen lebt.

An dieser Stelle setzt ein im Rahmen der „Deutsch-Israelischen Projektkooperation“ (DIP) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) bzw. der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Forschungsprojekt an, dem Forscher der Universitäten Heidelberg und Kiel und des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (Mannheim) unter der Leitung von Prof. Dr. Hans-Werner Wahl (Psychologisches Institut, Universität Heidelberg) sowie eine israelische Forschergruppe der Universitäten Jerusalem und Tel Aviv unter der Leitung von Dr. Noam Shoval angehören. Erstmals arbeiten dabei Forscher der Disziplinen Psychologie, Medizin, Geographie, Sozialarbeit und Ethik aus Israel und Deutschland an einer gemeinsamen Problemlösung.

Dabei interessiert allerdings nicht nur das außerhäusliche Mobilitätsverhalten von Personen mit Demenz, sondern auch jenes von älteren Menschen mit sogenannten leichten kognitiven Beeinträchtigungen. Diese Personen sind einerseits zwar noch in der Lage sind, Teile ihres Alltags über Jahre hinweg allein zu bewerkstelligen. Andererseits werden sie aber auch zunehmend in ihrer Orientierung unsicherer, sodass hier ein besonderes Hilfepotential durch unterstützende Technik für den „Fall des Falles“ zu erwarten ist.

Ziel des Projektes ist es, die außerhäusliche Mobilität bei Älteren mit unterschiedlichen Graden kognitiver Beeinträchtigung so alltagsnahe und detailreich wie möglich zu untersuchen. Dabei bedienen sich die Forscher mit als erste weltweit der Hilfe des „Global Positioning System“ (GPS), einer satellitengestützten Ortungstechnik, die eine Lokalisierung auf wenige Meter genau an jedem Ort der Welt erlaubt. Vier Wochen lang werden ältere Menschen in der Region Heidelberg und Mannheim sowie Ältere an israelischen Standorten mit Hilfe des Tragens entsprechender Geräte vollständig „verfolgt“, wenn Sie Ihr Haus verlassen. Aber nicht nur die Forscher verfolgen die einbezogenen Älteren „auf Schritt und Tritt“; das können auch ihre Angehörigen über eine von den Forschern bereitgestellt Internetplattform tun, wenn sie denn möchten. Die gesammelten Daten unterliegen strengsten Schutzkriterien und werden nur in anonymisierter Form ausgewertet. Hinzu kommen Befragungsdaten zur Lebensqualität der älteren Menschen und ihrer Angehörigen. Insgesamt sollen diese Informationen dreimal im Abstand von jeweils einem Jahr erhoben werden.

Auf einem kürzlich in Heidelberg abgehaltenen Projekt-Workshop sind nun erste Ergebnisse diskutiert und aus ethischer Perspektive bewertet worden. Dabei zeigte sich, dass kognitiv beeinträchtigte Ältere im Vergleich mit nicht Beeinträchtigten seltener nach draußen gehen und, wenn sie sich außer Haus bewegen, die Entfernung zur Wohnung geringer ist, und ihre Mobilitätsmuster insgesamt einfacher ausfallen. Angehörige haben großes Interesse an der Nutzung der internet-gestützten Plattform zur „Überwachung“ ihrer geistig verändernden Ehegatten oder Eltern. Angehörige erleben hier ein Entlastungsmoment, auch wenn es ihnen überaus wichtig ist, die Selbständigkeit der kognitiv beeinträchtigten Zielperson an die oberste Stelle zu rücken, d.h. mit dieser zusammen die Nutzung der Technologie eingehend zu besprechen. Aus ethischer Sicht wurden sowohl die Frage diskutiert, ob beim Einsatz solcher Geräte Autonomie und Privatsphäre gewahrt bleiben, aber auch, ob wir diese Technologie älteren Menschen vorenthalten dürfen, nur weil sie kognitiv beeinträchtigt sind.

Langfristig sollen in dem Projekt die zentralen Unterschiede im außerhäuslichen Mobilitätsverhalten zwischen den einbezogenen Gruppen identifiziert und anhand umfassender Person- und Umweltdaten erklärt werden. Die Hoffnung der Forscher geht dabei dahin, spezifische Mobilitätsmuster als Diagnoseinstrument, idealer Weise für eine Frühdiagnose, verwenden zu können. Gleichzeitig könnte die eingesetzte Technologie Angehörigen ein Instrument an die Hand geben, um jederzeit zu wissen, wo sich möglicherweise gefährdete ältere Familienmitglieder befinden. Diese Information könnte das Sicherheitsempfinden stärken und eventueller Beunruhigung entgegen wirken.

Kontakt:
Prof. Dr. Hans-Werner Wahl
Psychologisches Institut der Universität Heidelberg,
Abteilung für Psychologische Alternsforschung
Tel. 06221 548111
h.w.wahl@psychologie.uni-heidelberg.de
Allgemeine Rückfragen von Journalisten auch an:
Dr. Michael Schwarz
Pressesprecher der Universität Heidelberg
michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de
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Dr. Michael Schwarz idw

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