Kasseler Studie: Private Vorsorge macht Ruhestand oft unsicherer

Prof. Dr. Ingo Bode (Foto: privat)

„Dem Einstieg in die private Vorsorge als Standardsäule des Rentensystems liegt eine Illusion zugrunde“, erklärt Prof. Dr. Ingo Bode, der an der Universität Kassel das Fachgebiet Sozialpolitik leitet, „nämlich die Vorstellung, die Menschen würden vor dem Abschluss einer Police ausgiebig den Markt sondieren, Optionen vergleichen und dann eigenständig ein passendes Produkt auswählen.“

Die Wirklichkeit ist aber eine andere, wie die Ergebnisse der soeben im Campus Verlag erschienenen Untersuchung vor Augen führen. Die beiden Wissenschaftler belegen, dass Sachargumente oft nicht ausschlaggebend sind. Die Materie sei zu komplex, außerdem ließe sich die ferne Zukunft ohnehin kaum planen – dafür sei das Leben schlicht zu wechselhaft.

Entsprechend suchten die Menschen in ihrem sozialen Umfeld sowie bei Beratern von Banken und Versicherungen nach Orientierung und werden von diesen beeinflusst. Bode und Wilke haben für ihre Studie in den vergangenen zweieinhalb Jahren Bürger zu ihrer Vorsorgesituation interviewt, Berater von Verbraucherzentralen befragt und Längsschnitterhebungen ausgewertet. Die Untersuchung wurde vom Forschungsnetzwerk Alterssicherung der Deutschen Rentenversicherung Bund gefördert.

Die Beratung durch Banken und Versicherungen vollziehe sich meist in auf Dauer angelegten Geschäftsbeziehungen, so die Autoren weiter. Dies stehe anbieterübergreifenden Produktvergleichen im Wege. „Die Behauptung, mit ein wenig Nachhilfe könne sich das Gros der Bevölkerung in der Unübersichtlichkeit des Alterssicherungsmarktes zielsicher orientieren und das gewünschte Absicherungsniveau erreichen, steht nach unseren Erkenntnissen auf tönernen Füßen“, so Bode.

Mit dem neuen Rentenmodell lasse sich eine Alterssicherung auf einem Niveau und in einer Sicherheit, wie sie lange der Normalfall war, in der Breite nicht mehr gewährleisten. Es erzeuge – weil vieles dem Zufall oder dem Gebaren von Finanzdienstleistern überlassen bliebe – neue Ungleichheiten. Nicht zuletzt steige das Armutsrisiko im Alter.

„Das neue deutsche Rentenmodell ist auf Sand gebaut“

Zudem wecke die internationale Fachdebatte begründete Zweifel an der häufig vorgebrachten These, dass das sogenannte Kapitaldeckungsverfahren (die finanztechnische Basis der privaten Vorsorge) langfristig eine verlässliche Versorgung der Ruheständler sichern kann.

„Die Finanzkrise und das niedrige Zinsniveau haben das Strukturproblem der privaten Rente zu Tage gefördert: Eine dem Finanzmarkt überlassene Altersvorsorge kann keine Zukunftssicherheit schaffen, vielmehr zeigt sich jetzt, dass sie mit erheblichen Risiken für die Sparer und die Volkswirtschaft behaftet ist“, warnt Bode.

Dass dies alles von der Bevölkerung so gewollt gewesen sei, müsse ebenfalls bezweifelt werden: „Der Weg in die Teilprivatisierung wurde im öffentlichen Diskurs als unumgehbar dargestellt, aber die breite Bevölkerung erwartet vom Staat noch immer eine Lebensstandardsicherung im Alter.“ Weil diese mit dem neuen Modell für viele unerreichbar sei, werde die Rentenpolitik auch zukünftig permanent unter Handlungsdruck stehen. Bode resümiert deshalb: „Das neue deutsche Rentenmodell ist auf Sand gebaut und wird auch auf längere Sicht keine feste Verankerung erfahren.“

Ingo Bode und Felix Wilke (2014): Private Vorsorge als Illusion. Rationalitätsprobleme des neuen deutschen Rentenmodells, Frankfurt: Campus Verlag.

Kontakt:
Prof. Dr. Ingo Bode
Universität Kassel
FB 1 – Humanwissenschaften
Fachgebiet Sozialpolitik
Tel.: +49 561 804-2923
E-Mail: ibode@uni-kassel.de

http://www.uni-kassel.de/uni/nc/universitaet/nachrichten/article/kasseler-studie…

Media Contact

Sebastian Mense idw - Informationsdienst Wissenschaft

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Gesellschaftswissenschaften

Der neueste Stand empirischer und theoretischer Erkenntnisse über Struktur und Funktion sozialer Verflechtungen von Institutionen und Systemen als auch deren Wechselwirkung mit den Verhaltensprozessen einzelner Individuen.

Der innovations-report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Demografische Entwicklung, Familie und Beruf, Altersforschung, Konfliktforschung, Generationsstudien und kriminologische Forschung.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Spitzenforschung in der Bioprozesstechnik

Das IMC Krems University of Applied Sciences (IMC Krems) hat sich im Bereich Bioprocess Engineering (Bioprozess- oder Prozesstechnik) als Institution mit herausragender Expertise im Bereich Fermentationstechnologie etabliert. Unter der Leitung…

Datensammler am Meeresgrund

Neuer Messknoten vor Boknis Eck wurde heute installiert. In der Eckernförder Bucht, knapp zwei Kilometer vor der Küste, befindet sich eine der ältesten marinen Zeitserienstationen weltweit: Boknis Eck. Seit 1957…

Rotorblätter für Mega-Windkraftanlagen optimiert

Ein internationales Forschungsteam an der Fachhochschule (FH) Kiel hat die aerodynamischen Profile von Rotorblättern von Mega-Windkraftanlagen optimiert. Hierfür analysierte das Team den Übergangsbereich von Rotorblättern direkt an der Rotornabe, der…