Kommunen und Stadträte: Je wichtiger die Position, desto weniger Frauen
Im Auftrag der Heinrich Böll-Stiftung erstellt ein politikwissenschaftliches Forschungsteam an der FernUniversität in Hagen (Privatdozent Dr. Lars Holtkamp, Dr. Elke Wiechmann und Sonja Schnittke) das erste deutsche Genderranking.
Während in anderen Ländern – wie Norwegen – dieser Vergleich schon eine lange Tradition hat, um einen Wettbewerb zwischen den Kommunen zur stärkeren Berücksichtigung von Fraueninteressen zu initiieren, gibt es in Deutschland hierzu noch keine Vorbilder. Im Gegenteil: In den offiziellen Genderberichten der Bundesregierung kommt die kommunale Ebene so gut wie nicht vor und eine flächendeckende Erfassung von Frauen in kommunalpolitischen Führungspositionen steht noch aus.
Gerade aber diese Führungspositionen in Parlament und Verwaltung sind zentral, um eine geschlechtergerechte Repräsentanz von Fraueninteressen zu erreichen. Das Forschungsteam des Lehrgebiets Politikwissenschaft IV: Politik und Verwaltung der FernUniversität hat hierfür in einem ersten Schritt die Internetseiten der Großstädte erfasst, statistisch ausgewertet und fehlende Daten durch Vor-Ort-Recherchen ergänzt.
Unterrepräsentanz von Frauen ist großstädtischer Alltag
Erstes Ergebnis ist, dass Frauen durchschnittlich gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil in allen Positionen unterrepräsentiert sind. Je wichtiger diese Ämter in der Kommunalpolitik werden, desto stärker ist diese Unterrepräsentanz ausgeprägt. Der Frauenanteil unter allen Ratsmitgliedern in deutschen Großstädten liegt bei 32,8 %. Bei den Ausschussvorsitzenden ist nur noch einen Frauenanteil von 25,9%, bei den Fraktionsvorsitzenden von 20,6 %, bei den Dezernentinnen und Dezernenten von 18,5% und bei den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern von 17,7 % zu verzeichnen. Allerdings sind hierbei erhebliche Unterschiede zwischen den Großstädten zu konstatieren, die angelehnt an die Methodik des „Gender equality Index“ für norwegische Kommunen ausgewertet wurden.
Der Genderindex für den interkommunalen Vergleich
Folgende Positionen gehen als Indikator in den Genderindex ein: Ratsmandate, Ausschussvorsitze, Fraktionsvorsitze, Dezernentinnen und Dezernenten, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Für die ersten vier Positionen wurden die Gemeinden jeweils gesondert gerankt und in Quartile eingeteilt (Quartile sind die Grenzen zwischen zwei bestimmten Vierteln einer statistischen Verteilung). Entsprechend der Quartilszugehörigkeit der Städte bei den einzelnen Positionen wurde der Wert 4, 3, 2, oder 1 zugewiesen: Großstädte, die unter den ersten 20 mit der höchsten Frauenrepräsentanz sind, bekommen z. B. bei den Ratsmandaten für diese Position den Wert 4 zugewiesen. Für die Oberbürgermeisterposition wurde dagegen bei männlicher Besetzung der Wert 1 und bei weiblicher Amtsausübung der Wert 2 vergeben. Diese Werte für die betrachteten 5 Positionen werden zum Genderindex addiert. Haben Kommunen schließlich in einigen Fällen die gleiche Punktzahl auf dem Genderindex, ist der weibliche Ratsanteil entscheidend für die letztendliche Platzierung.
Bei diesem ersten deutschen Genderranking ist die Stadt Frankfurt am Main deutliche Siegerin. In Frankfurt sind vierzig Prozent der Ratmitglieder und der Dezernentinnen/Dezernenten weiblich. Hinzu kommt selbstverständlich in der Wertung die Oberbürgermeisterin Petra Roth und dass 50 % der Ausschussvorsitze mit Frauen besetzt sind. Damit schneidet Frankfurt a. M. bei fast allen Positionen mit der höchsten Punktzahl ab. Der Kontrastfall hierzu ist die Stadt Salzgitter. Sie kommt mit der minimal möglichen Punktzahl auf den 79sten und letzten Platz des Gender-Rankings. Im Kommunalparlament dieser Großstadt sind nur 15,2 % Ratsmitglieder weiblich. Bei den Fraktionsvorsitzenden, Dezernenten, wesentlichen Ausschussvorsitzenden und auf dem Bürgermeisterstuhl ist nicht eine Frau ausfindig zu machen. Dr. Lars Holtkamp: „Deutlicher können Frauen kaum unterrepräsentierter sein.“
Hinter Frankfurt liegen auf den Plätzen zwei bis vier München, Erlangen, Lübeck und Düsseldorf. Vor Salzgitter platzieren sich Bottrop, Duisburg, Mönchengladbach und Jena.
Eine ausführlich statistische Analyse unter Berücksichtigung vieler halbstandardisierter Interviews vor Ort, um insbesondere die Ursachen für die großen interkommunalen Unterschiede zu klären, wird von dem Hagener Forschungsteam in der Buchreihe der Heinrich Böll-Stiftung im Frühjahr 2009 noch vor den Kommunalwahlen in vielen Bundesländern erscheinen.
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