Männerlastiges Zwitschern

Ein Comic im Jahr 1985 gab den Anstoss: Eine weibliche Cartoon-Figur erklärte ihrer Begleiterin, welches die drei ausschlaggebenden Kriterien seien, damit sie sich einen Film anschaue: Es müssten darin mindestens zwei Frauen vorkommen, die miteinander sprechen, und zwar über etwas anderes als einen Mann. Geboren war der Bechdel-Test, benannt nach der amerikanischen Cartoon-Zeichnerin Alison Bechdel. Mit diesem Test lässt sich feststellen, ob Filme ein Minimum an weiblicher Unabhängigkeit beinhalten.

Sehr viele Hollywood-Filme fallen bei diesem Test gnadenlos durch. Dass Filme wie «Star Wars» oder «The Hobbit» die Kriterien nicht erfüllen, mag ob der wenigen weiblichen Charaktere nicht überraschen. Selbst Filme mit vielen Darstellerinnen, wie «Midnight in Paris», schaffen den Test nur knapp: «Wegen eines nur fünf Sekunden langen Dialogs zweier Frauen über einen Stuhl», sagt David Garcia, Forscher an der Professur für Systemgestaltung der ETH Zürich. Experten sind sich allerdings uneins, ob der Film den Test damit tatsächlich besteht.

Garcia hat zusammen mit Kollegen vom Qatar Computing Research Institute das Geschlechter-Ungleichgewicht von Filmen unter die Lupe genommen. Und zwar erstmals nicht auf Experteneinschätzung basierend, sondern mittels automatischer Auswertung durch eine Computersoftware. Dazu entwickelten die Forscher einen Algorithmus, der Film-Drehbücher auf Mann-Mann- und Frau-Frau-Dialoge hin durchforstet und die Gespräche auf Referenzen auf das jeweils andere Geschlecht hin untersucht. Der Algorithmus erstellt dabei Interaktionsnetzwerke zwischen den Charakteren und berechnet einen Bechdel-Score für Frau-Frau-Gespräche, der Aufschluss darüber gibt, wie oft sich Frauen unterhalten, ohne einen Mann zu erwähnen. Ebenso berechnet die Software den Bechdel-Score für Mann-Mann-Dialoge dafür, wie oft Gespräche ohne Erwähnung einer Frau stattfinden. Das Ziel der Forscher war es, nicht nur zu testen ob, sondern auch zu welchem Grad Filme den Bechdel-Test bestehen oder nicht bestehen.

Ein Drehbuch mit 170‘000 Charakteren

In einem weiteren Schritt verwendeten die Wissenschaftler ihren Algorithmus, um auch reale Dialoge, die über den Kurznachrichtendienst Twitter geführt wurden, dem Bechdel-Test zu unterziehen und mit den Bechdel-Scores von Filmen zu vergleichen. Dazu wählten sie Twitter-Mitglieder aus den USA, die während eines Zeitraums von sechs Tagen im Juni 2013 in ihren Tweets auf einen Filmtrailer auf Youtube verwiesen hatten. Hinzu kamen diejenigen US-amerikanischen Twitter-Nutzenden, die während eines längeren Zeitraums mit diesen Twitter-Mitgliedern interagierten. Die so analysierten 300 Millionen Tweets analysierten die Wissenschaftler wie ein einziges grosses Drehbuch mit etwa 170‘000 Charakteren, um so ein Interaktions-Netzwerk zu erzeugen.

«Meine Erwartung war, dass auf Twitter Männer Frauen ebenso häufig erwähnen wie umgekehrt», sagt Garcia. Dem war aber nicht so: Twitter-Dialoge unter Männern drehten sich seltener um eine Frau. Umgekehrt gab es mehr Dialoge zwischen Frauen, die Referenzen auf Männer beinhalten, als solche über andere Themen.

Studierende zwitschern neutraler

Nicht bei allen Twitter-Nutzenden stellten die Forscher diesen männlichen «Bias» fest. Die Gespräche von Studierenden waren ausgewogen in Bezug auf Erwähnung des jeweils anderen Geschlechts. Im Gegensatz dazu war das «Gezwitscher» von Vätern sogar noch männerlastiger: sie unterhielten sich noch weniger mit Twitter-Nutzerinnen und noch seltener über Frauen als ihre kinderlosen Mit-Tweeter. «Möglicherweise hat das damit zu tun, dass Väter eher verheiratet sind als kinderlose Männer», vermutet Garcia.

Diejenigen Twitterer, deren Gespräche den Bechdel-Test bestanden, verwiesen in ihren Tweets auch häufiger auf die Trailer von Filmen, welche ebenfalls den Test bestanden. Generell wurden letztere Trailer aber weniger häufig über Twitter geteilt und erhielten auf YouTube weniger positive Bewertungen als Filme mit einem männlichen «Bias», hatten also weniger Fans.

«Offenbar ist Twitter eher männlich geprägt», sagt Garcia. Im Vergleich dazu schnitt Myspace, ein anderes soziales Netzwerk, bei einer Untersuchung der ETH-Forschenden geschlechterneutraler ab, wahrscheinlich weil dort im Gegensatz zu Twitter mehr privater Austausch stattfindet.

Garcias Algorithmus soll künftig als Werkzeug dienen, um nicht nur Filme, in denen eines der beiden Geschlechter deutlich unterrepräsentiert ist, durch ein «Rating» kenntlich zu machen, sondern auch um das Design von sozialen Medien zu prüfen. So könnten die Anbieter testen, ob das eine oder das andere Geschlecht weniger angesprochen wird als beabsichtigt.

Literaturhinweis:
Garcia D, Weber I, Garimella VRK: Gender Asymmetries in Reality and Fiction: The Bechdel Test of Social Media. Vorgestellt an der 8th International AAAI Conference on Weblogs and Social Media (2014) http://arxiv.org/abs/1404.0163

https://www.ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2014/04/maennerlas…

Media Contact

Angelika Jacobs ETH Zürich

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