Mehr Geburten in Prenzlauer Berg
Der „Pregnancy Hill“ kommt nicht aus den Schlagzeilen heraus. Auf der Suche nach den wenigen Orten in Deutschland, an denen Spielplätze überfüllt sind, Kinderwagen sich vor den Cafés aneinanderreihen und Babyläden keine Umsatzprobleme haben, führt es fast jeden Journalisten in den Ostberliner Szene-Stadtteil Prenzlauer Berg, der seit Jahren für eine ungewöhnlich hohe Fertilität gerühmt wird.
Die Süddeutsche Zeitung greift in ihrer aktuellen Serie „Kinder, Kinder“ nur zu gerne auf den Ortsteil im Berliner Bezirk Pankow zurück. Die Artikel enthalten Anekdoten über die „neuen Väter“ oder kritisieren die Vertreibung der Kinderlosen aus dem Viertel. Doch was ist dran an der Sage vom Kinderreichtum im Berliner Nordosten?
Vor fünf Jahren hatte das Berlin-Institut schon einmal die Statistik analysiert, um dem Phänomen in Prenzlauer Berg auf die Spur zu kommen (siehe Newsletter Nr. 12: Kein Geburtenboom im Berliner Szene-Bezirk). Damals lautete das Ergebnis: Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung gehörte der Ortsteil keineswegs zu den kinderreichsten der Republik, sondern zu den kinderärmsten Zonen im ohnehin an Kindern armen Berlin. Es lebten lediglich überdurchschnittlich viele junge Frauen im besten Familiengründungsalter in dem Stadtteil, die natürlich auch Nachwuchs bekamen – aber oft nicht mehr als ein Kind. Der Rest der Frauen blieb kinderlos. Was hat sich in den letzten Jahren getan? Gibt es ihn doch, den sagenhaften Kinderreichtum?
Berlin hat zwölf Bezirke, die in insgesamt 97 Ortsteile gegliedert sind. Prenzlauer Berg gehört neben zwölf weiteren Ortsteilen wie Niederschönhausen, Karow oder Weißensee zum Bezirk Pankow. Während Berlin seit 2004 rund ein Prozent an Bevölkerung hinzugewonnen hat, sind es in Prenzlauer Berg rund fünf Prozent. Fast alle der neu Zugezogenen sind finanziell gut gestellt und verfügen über ein hohes Bildungsniveau – am Falkplatz und im Winsviertel haben drei Viertel der Eltern das Abitur gemacht. Nur wenige haben das 30. Lebensjahr überschritten, und durch den Zuzug junger Menschen altert in einigen Gegenden die Bevölkerung nicht, sondern verjüngt sich sogar. Wer am Kollwitzplatz wohnt, ist im Mittel nicht älter als 34 Jahre. Und ein paar Straßenzüge weiter Richtung Helmholtzplatz sogar noch ein Jahr jünger. Dagegen kommt der durchschnittliche Berliner auf 43 Jahre.
Eine jüngere Bevölkerung bedeutet gleichzeitig mehr Paare, die Nachwuchs bekommen können. In Prenzlauer Berg ist jede dritte Frau im Alter zwischen 15 und 44 Jahren. Nur im Studentenviertel Friedrichshain wohnen ähnlich viele junge Frauen. Doch obwohl es viele potenzielle Mütter gibt, sind 2008 im Ortsteil Prenzlauer Berg nur 44 Neugeborene je 1.000 Frauen dieser Altersgruppe zur Welt gekommen. Diese „Geburtenrate“ liegt in dem nachwuchsreichsten Landkreis Deutschlands – dem niedersächsischen Cloppenburg – bei 50 Neugeborenen je 1.000 Frauen.
Doch während Prenzlauer Berg noch 2003 zu den Berliner Schlusslichtern in Sachen Nachwuchs gehörte, hat sich bis 2008 die Zahl der Geburten um ein Drittel erhöht. Im gleichen Zeitraum ist jedoch auch die Zahl der potenziellen Mütter angestiegen, allerdings nicht im gleichen Umfang wie die der Geburten. Somit müssen die Frauen mittlerweile mehr Kinder bekommen als noch vor ein paar Jahren: Eltern können sich vermehrt für ein zweites Kind entschieden haben und/oder die Zahl der Kinderlosen nimmt ab.
Die Atmosphäre im Szene-Kiez Prenzlauer Berg mit seinen Yoga-Kursen für Schwangere, Bioläden, Kindercafés und der Vielzahl von Kinderbetreuungsmöglichkeiten zieht viele junge Paare an. Diese haben sich ganz bewusst für eine Region entschieden, in der sie Kinder bekommen und großziehen möchten. Auch in den nächsten Jahren werden in Prenzlauer Berg Familien leben und mehr Kinder geboren werden. Aber nicht alle Bewohner sind Eltern oder Kinder – auch wenn das Straßenbild den Eindruck erwecken mag.
Wie unspektakulär der Kindersegen in Prenzlauer Berg ist, zeigt sich daran, dass der gesamte Bezirk Pankow, worin der Prenzlauer Berg nur einer von 13 Ortsteilen ist, insgesamt die gleiche Neugeborenenzahl je 1.000 Frauen im fertilen Alter ausweist. Deutlich mehr Kinder gibt es in den gutbürgerlichen Ortsteilen Plänterwald oder dem winzigen Malchow, wo nur 478 Menschen leben.
Für Fragen und Interviews stehen Ihnen Dr. Reiner Klingholz unter 0 30 – 31 01 75 60 und Iris Hoßmann unter 0 30 – 31 10 26 98 zur Verfügung.
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http://www.berlin-institut.org/newsletter/84_10_November_2009.html.html#Artikel0Alle Nachrichten aus der Kategorie: Gesellschaftswissenschaften
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