Schweiz: Junge fühlen sich stärker diskriminiert als Senioren

In der Schweiz gibt es keinen Generationenkonflikt. Aber ausserhalb der Familienstrukturen leben alte und junge Menschen aneinander vorbei, und die jungen fühlen sich stärker diskriminiert als die alten. Das zeigt der «Sozialbericht 2012», der vom Schweizer Kompetenzzentrum Sozialwissenschaften FORS mit der Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) herausgegeben wird.

Die Schweizer Bevölkerung wird älter. Die Baby-Boom-Generation kommt ins Rentenalter. Das stellt die Solidarität zwischen Alt und Jung auf die Probe. Der vom Schweizer Kompetenzzentrum Sozialwissenschaften FORS in Lausanne herausgegebene «Sozialbericht 2012: Fokus Generationen» untersucht eine breite Palette von Fragen im Zusammenhang mit der Altersentwicklung. Die Forschenden haben diverse nationale und internationale Datenbanken und Befragungen ausgewertet.

Der Bericht zeigt, dass es kein Gegeneinander der Generationen gibt, doch auch nicht in allen Belangen ein Miteinander. Innerhalb der Familie bestehen zwar starke Bande über die Generationen hinweg. Grosseltern hüten ihre Enkelkinder, erwachsene Kinder helfen ihren betagten Eltern mit der Steuererklärung oder fahren sie wöchentlich ins Einkaufszentrum. Zudem wird geschenkt und vererbt, es werden Bürgschaften geleistet und Darlehen gewährt.

Jung und Alt leben getrennt
Ausserhalb der Familie jedoch leben die Generationen weitgehend aneinander vorbei. Beinahe 60 Prozent der jungen Erwachsenen haben keine Bekannte unter den über 70-Jährigen. Diese Distanz zwischen den Generationen könnte laut dem Bericht ein Grund sein für diffuse Ängste der Älteren vor der Jugend. Rund 45 Prozent der Schweizer Senioren befürchten nämlich, dass Jugendliche die öffentliche Ordnung im Land gefährden.

Trotzdem gibt nur etwa ein Viertel der Menschen über 60 Jahren an, schon einmal wegen des Alters ungerecht behandelt oder benachteiligt worden zu sein. Dagegen hat beinahe die Hälfte der unter 30-Jährigen schon Altersdiskriminierung erfahren – vor allem im Beruf: Sie haben das Gefühl, ihnen würden aufgrund des Alters Stellen verwehrt, sie müssten berufliche Nachteile in Kauf nehmen oder hätten weniger Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Zudem bringt man den Senioren allgemein mehr Respekt entgegen und schätzt sie als freundlicher ein als Jüngere.

Schwierige Übergänge im Arbeitsleben
Auch die Sozialausgaben deuten auf eine Diskriminierung der jüngeren Generation hin. 45 Prozent der Sozialausgaben des Staates werden für die Älteren geleistet, das ist europaweit Rekord. Bei den Sozialausgaben zu Gunsten der Jungen – also zum Beispiel Kinderzulagen – gibt sich die Schweiz dagegen mit 5 Prozent klar zurückhaltender als Länder wie Deutschland oder Schweden.

Sowohl Berufseinstieg wie Berufsausstieg sind schwierig. Jungen Männern und vor allem Frauen bis 30 Jahren werden vielfach nur befristete Arbeitsverträge angeboten. Die Zeit unmittelbar vor der Pensionierung dagegen ist vermehrt geprägt von Arbeit auf Abruf. Zudem sind 20 Prozent der Männer und an die 60 Prozent der Frauen zwischen 55 und 64 Jahren teilzeitlich angestellt, und die Langzeitarbeitslosigkeit ist in dieser Altersgruppe hartnäckiger als bei Jüngeren.

Die Mär von der apolitischen Jugend
Ins Reich der Vorurteile verweist der Generationenbericht die oft gehörte Aussage, die heutige Jugend interessiere sich nicht für Politik. Zwar ist die Wahlbeteiligung junger Menschen tiefer als jene der älteren. Aber die jungen Erwachsenen von heute gehen häufiger wählen, als es junge Erwachsene vor 20 oder 40 Jahren getan haben. Und die Abstimmungsbeteiligung ist sogar gleich hoch wie jene der 40- bis 45-Jährigen.

Interessant ist die Haltung in Umweltfragen. Ältere Personen finden eher, die vielen Umweltsorgen seien im Vergleich mit wirtschaftlichen Problemen übertrieben. In der Praxis jedoch verhält sich die ältere Generation klar umweltfreundlicher. Während von den über 60-Jährigen je rund 60 Prozent ihren Energieverbrauch einschränken oder Wasser sparen, sind es bei den unter 40-Jährigen nur zwischen 40 und 50 Prozent. Das heisst nicht, dass ältere Menschen umweltbewusster sind. Vielmehr haben sie zum Beispiel weniger Mobilitätsbedürfnisse verzichten auf energiefressende Apparate. Womöglich hängt die Sparsamkeit der Älteren auch damit zusammen, dass sie in einer Generation aufgewachsen sind, in der Sparen wichtiger war als heute.

Die Autorinnen und Autoren des «Sozialberichts» betonen, dass sich nicht alle Ungleichheiten auf das Alter oder die Generation zurückführen lassen, in der ein Mensch aufgewachsen ist. Gerade in der Umweltfrage spielt die soziale Schichtung eine grosse Rolle: Personen mit höherem Bildungsstatus sind besorgter um die Umwelt, und Betuchtere können es sich eher leisten, Bioprodukte oder eine neue Solaranlage zu kaufen.

Kontakt
Céline Schmid Botkine
Schweizer Kompetenzzentrum Sozialwissenschaften FORS
Géopolis
CH-1015 Lausanne
Tel.: 076 562 63 52 / 021 692 37 66
celine.schmid@fors.unil.ch
Publikation
Felix Bühlmann, Céline Schmid Botkine, Peter Farago, François Höpflinger, Dominique Joye, René Levy, Pasqualina Perrig-Chiello, Christian Suter (Hg.): Sozialbericht 2012 – Fokus Generationen. Seismo-Verlag, Zürich 2012, 332 S.
Der «Sozialbericht 2012»
Mit dem «Sozialbericht» dokumentieren die schweizerischen Sozialwissenschaften systematisch die aktuelle gesellschaftliche Situation und die wichtigsten sozialen Veränderungen in der Schweiz. Er erscheint seit dem Jahr 2000 alle vier Jahre. Die Ausgabe 2012 legt den Fokus auf die Generationen: wie sich Altersgruppen verändern, wie junge und alte Menschen leben und welche Beziehung zwischen den Generationen besteht.

Alle Daten und Grafiken des Berichts werden ab Januar 2013 abrufbar sein unter www.sozialbericht.ch.

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