Wirtschaftskrise verändert das Wertesystem der Bundesbürger

Die Wirtschaftskrise hinterlässt erste Spuren im mentalen Bewusst­sein der Deutschen. Dies zeigt eine aktuelle demoskopische Befragung der Bertelsmann Stiftung. Danach sind persönliche Beziehungen, Ehe, Familie, Partner und Freunde für viele Menschen durch die Wirtschaftskrise wichtiger geworden.

Auch die Suche nach Sinn und Orientierung wird intensiver. Gleichzeitig haben aber auch materielle Werte wie Einkommen, Wohlstand und Sicher­heit an Stellenwert gewonnen. Eine sehr große Mehrheit der Deutschen wünscht sich als Konse­quenz aus der Krise einen stärkeren Ausgleich zwischen Arm und Reich, mehr Solidarität von Alt und Jung oder die bessere Integration von Ausländern.

Allerdings bezweifeln die meisten der Be­fragten, dass die Krise den sozialen Zusammenhalt tatsächlich befördern wird. Skeptisch zeigen sich die Bundesbürger auch, ob die Krise zu einem Umdenken bei den Unternehmen geführt hat. Nur jeder Dritte glaubt, dass sich die Wirtschaft zukünftig mehr an langfristiger Wohlstandssiche­rung als an kurzfristigen Gewinnen orientiert.

Die Wirtschaftskrise bedeutet für die Mehrzahl der Deutschen zwar keine „Umwertung aller Werte“, aber für eine beachtliche Minderheit sind viele Dinge in Bewegung geraten. Für jeden vierten Bun­desbürger hat in den vergangenen Monaten nach eigenen Angaben die Rolle der Familie, der Kin­der oder die Beziehung zu den Eltern an Stellenwert gewonnen. Für 20 Prozent sind stabile per­sönliche Beziehungen und Freundschaften wichtiger als vor der Krise und für 15 Prozent die ei­gene Ehe oder Partnerschaft. Ebenfalls fast jeder Vierte gibt an, dass die Wirtschaftskrise Auswir­kungen auf seine persönliche Orientierung und die Frage seines Lebenssinns hat. Gleichzeitig hat aber auch die Frage der materiellen Sicherheit an Bedeutung gewonnen. So gaben mehr als ein Drittel der befragten Bundesbürger (35 Prozent) an, dass für sie durch die Krise die Fragen von Einkommen, Sicherheit und Wohlstand wichtiger geworden sind. Insbesondere gilt dies für die Gruppe der Jüngeren unter 40 Jahre, die Einkommensschwachen sowie größere Familien.

Als Konsequenz auf die Krise wünscht sich eine übergroße Mehrheit der Deutschen einen stärke­ren gesellschaftlichen Zusammenhalt. So sind 85 Prozent der Befragten der Auffassung, dass die Krise insbesondere die Solidarität zwischen Alten und Jungen wieder stärker in den Blick bringen sollte, fast genauso viele (83 Prozent) meinen, der Ausgleich zwischen Arm und Reich sollte wieder stärker befördert werden. Und auch eine klare Mehrheit von 57 Prozent meint, als Konsequenz auf die Wirtschaftskrise sollte die Integration ausländischer Mitbürger gefördert werden, weil diese auch für den gemeinsamen Wohlstand von Bedeutung sind. Doch die Mehrheit der Bundesbürger ist gleichzeitig auch skeptisch dass die Wirtschaftskrise den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken wird. Mit 45 Prozent ist davon weniger als die Hälfte überzeugt, eine Mehrheit von 53 Prozent glaubt dies dagegen nicht.

Obwohl kurzfristiges Gewinnstreben als eine der wichtigsten Ursachen der Wirtschaftskrise gese­hen wird, glaubt die Mehrheit der Deutschen nicht an ein Umdenken bei den Unternehmen. So erklären 60 Prozent der Befragten sie glaubten nicht, dass Unternehmen zukünftig mehr als bisher für eine längerfristige Wohlstandssicherung arbeiten. 37 Prozent denken, dass die Unternehmen ihre Ziele neu ausrichten würden. Die Skepsis ist dabei unter den Personen mit größerer Schulbil­dung am stärksten ausgeprägt. Auch eine nachhaltige Personalpolitik als Folge der Krise können nur wenige erkennen. So glauben nur 38 Prozent, dass Unternehmen zukünftig verantwortlicher mit ihren Mitarbeitern umgehen und auf ihre Fachkräfte achten werden.

Lediglich beim Thema Ökologie sehen viele Deutsche in der Gesellschaft einen generellen Neu­orientierungsprozess zu mehr Nachhaltigkeit. So glauben knapp die Hälfte (49 Prozent) der Befragten, durch die Krise werde die Gesellschaft besser als bisher auf den Erhalt der Umwelt achten oder mit Energie und Rohstoffen haushalten.

Dr. Gunter Thielen, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung deutet die Ergebnisse der Befragung auch als Anzeichen für einen Mentalitätswechsel: „Wir sehen auf der einen Seite deutlich das Ausmaß der Verunsicherung der Menschen und ihre Sehnsucht nach alten oder neuen Si­cherheiten. Es gibt da verständlicherweise den Rückzug in das Persönliche und Verlässliche. Aber interessanterweise mündet der Wunsch nach Sicherheit und Gerechtigkeit bei der großen Mehrheit nicht in egoistische Lösungen auf Kosten von Randgruppen wie Migranten, sondern in Forderun­gen nach mehr gesellschaftlichem Zusammenhalt und Ausgleich. Die Politik sollte dieses erkenn­bare Potenzial zur Solidarität nutzen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt auf allen Ebenen fördern.“

Gleichzeitig, so Thielen, sei das Thema Nachhaltigkeit als Antwort auf die Krise noch nicht in der Gesellschaft angekommen. Die Umfrage bestätige erneut den großen Vertrauensverlust den Wirtschaft und Unternehmen in großen Teilen der Bevölkerung erlitten haben: „Nur eine Minderheit der Bevölkerung glaubt bislang, dass die Wirtschaft die richtigen Konsequenzen zieht. Dieses feh­lende Vertrauen können die Unternehmen nur durch glaubwürdige Strategien schaffen, durch die Überwindung von kurzfristiger Profitorientierung und eine nachhaltige Wirtschaftsweise gegenüber Mitarbeitern, Gesellschaft und Umwelt.“

Die repräsentative Umfrage wurde Ende Oktober 2009 von TNS Emnid im Auftrag der Bertels­mann Stiftung unter 1.003 Bundesbürgern durchgeführt. Sie ist Teil eines Stiftungsprojektes, das die Folgen der Wirtschaftskrise und die Perspektiven Deutschlands bis zum Jahre 2020 untersucht.

Das Thema Nachhaltigkeit, Vertrauen und Werte ist auch der Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe von „Change“, dem Magazin der Bertelsmann Stiftung.

Über die Bertelsmann Stiftung:
Die Bertelsmann Stiftung setzt sich für das Gemeinwohl ein. Sie engagiert sich in den Bereichen Bildung, Wirtschaft und Soziales, Gesundheit sowie Internationale Verständigung und fördert das friedliche Miteinan­der der Kulturen. Durch ihr gesellschaftliches Engagement will sie alle Bürgerinnen und Bürger ermutigen, sich ebenfalls für das Gemeinwohl einzusetzen. Die 1977 von Reinhard Mohn gegründete, gemeinnützige Einrichtung hält die Mehrheit der Kapitalanteile der Bertelsmann AG. Die Bertelsmann Stiftung arbeitet ope­rativ und ist unabhängig vom Unternehmen sowie parteipolitisch neutral.

Rückfragen an: Norbert Osterwinter, Kommunikationsmanager; Telefon: 0 52 41 / 81-81 484; E-Mail: Norbert.Osterwinter@Bertelsmann-Stiftung.de

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