Algorithmen für die Herstellung von mRNA-basierten Pharmazeutika

BioNTech COVID-19-Impfstofffläschchen
© BioNTech SE

2019 war BioNTech kaum jemandem ein Begriff, heute ist das Mainzer Pharmaunternehmen durch die Entwicklung und Produktion von Comirnaty©, einem Impfstoff gegen COVID-19, weltbekannt. Ursprüngliches und weiterhin verfolgtes Anliegen der Firma ist die Entwicklung personalisierter mRNA-basierter Therapien gegen Krebs. Für beide Anwendungsfälle hat ein Forscherteam am Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM gemeinsam mit BioNTech zwei Softwareplattformen für die effektive und optimale Planung, Steuerung und Dokumentation der Produktionsprozesse entwickelt. Die Systeme sind bereits im Einsatz und werden kontinuierlich an sich verändernde Situationen adaptiert.

BioNTech hat sich innerhalb weniger Jahre von einem kleinen Pharmakonzern zu einem international agierenden Unternehmen mit weltweit vernetzter Produktion und globalen Wertschöpfungs- und Lieferketten entwickelt. Dem Unternehmen, das mit der Entwicklung individueller mRNA-basierter Krebsmedikamente startete, gelang es in Rekordzeit, ein Vakzin gegen COVID-19 zu entwickeln. Sowohl die Herstellung individualisierter Medikamente als auch die Produktion von hunderten Millionen Impfdosen erfordert eine detaillierte Planung, Koordination und Steuerung der jeweiligen Produktionsprozesse. In Zusammenarbeit mit BioNTech entwickelte das Fraunhofer ITWM in Kaiserslautern zwei Softwareplattformen, mit denen sich die Planungs- und Steuerungsprozesse für beide Anwendungsfälle nicht nur realisieren lassen, sondern sich an immer neue Anforderungen anpassen lassen. »Mit einer handelsüblichen Software gelingt dies nicht. Hier ist eine Lösung mit flexiblen mathematischen Methoden und Modellen gefragt, die maßgeschneidert und ganz spezifisch auf die Abläufe bei BioNTech zugeschnitten sind und diese optimieren. Zudem unterstützen sie langfristig sowohl eine stärkere Differenzierung der Produkte aufgrund unterschiedlicher regulatorischer Vorgaben der Zulassungsbehörden als auch die Automatisierung der Abläufe«, sagt Dr. Heiner Ackermann, Wissenschaftler am Fraunhofer ITWM und am Leistungszentrum LZ Simulations- und Softwarebasierte Innovation Kaiserslautern. Zu Beginn der Partnerschaft stand eine detaillierte Analyse, Modellierung und Strukturierung der Prozesse. Die Informationen stellte der Pharmakonzern zur Verfügung. »Zunächst galt es, die spezifischen Erfordernisse von BioNTech zu strukturieren und diese in die Sprache der Mathematik zu übersetzen«, erläutert der Optimierer, der die Entwicklung der Softwareplattformen seit Dezember 2016 als Projektleiter verantwortet.

Komplexe Pharmaprozesse, vielfältige Herausforderungen

Keine leichte Aufgabe angesichts der vielfältigen Anforderungen, die komplexe Pharmaprozesse wie die Produktion individualisierter Krebsmedikamente mit sich bringen. Darunter fallen beispielsweise die besonderen Herausforderungen von Bioprozessen mit schwankenden Prozesszeiten und höheren Ausschussraten zum Beispiel infolge von mangelhaften Gewebeproben. »In Bioprozessen kommt es häufig zu Prozessabweichungen und Prozesszeitschwankungen, dennoch müssen höchste Qualitätsansprüche erfüllt werden. Die Herstellung individualisierter Arzneien unterscheidet sich von etablierten Prozessen in der Pharmaindustrie. Alle Schritte müssen für jeden Krebspatienten und jede Krebspatientin mit großer Sorgfalt einzeln durchgeführt werden, Chargen sind erheblich kleiner als herkömmlicherweise. In Summe führt dies zu interessanten Fragenstellungen im Hinblick auf die Granularität des mathematischen Modells«, erläutert Ackermann die Problematik.

Länderspezifische Regularien

Zugleich bedarf es angesichts umfangreicher länderspezifischer regulatorischer Anforderungen sowohl bei der Krebstherapie als auch bei der Impfstoffentwicklung maßgeschneiderter Scheduling-Verfahren, um Produktionspläne optimal fortschreiben zu können. Diese liefern beispielsweise wichtige Informationen zu den Lieferterminen der Therapie für jeden einzelnen Patienten.

Auch setzt BioNTech auf ein Netzwerk externer Dienstleister für die Produktion von Comirnaty®. Diese Lohnhersteller sind auf bestimmte Prozessschritte spezialisiert. Das Managen dieses Netzwerks erfordert Anpassungen, um die regulatorischen Anforderungen der unterschiedlichen Länder, die beschränkte Haltbarkeit von Zwischenprodukten und die Weiterentwicklung des Produkts angemessen berücksichtigen zu können. Bei der Impfstoffentwicklung müssen darüber hinaus die Produktvarianten in der Produktionsplanung berücksichtigt werden, etwa in Bezug auf die erforderlichen Rohmaterialien, die Vertragspartner, die Kapazitäten und Chargen, die Produktionsmaschinen und -orte.

Software mit Leuchtturmcharakter

All diese Herausforderungen lassen sich mit den Softwareplattformen des Fraunhofer ITWM adressieren und bewältigen. Die Softwarelösungen nehmen heute zentrale Funktionen in der Planung, Steuerung und Dokumentation der Produktion bei BioNTech ein und sorgen für langfristige, stabile Produktionsabläufe bei der Impfstoffherstellung und der Herstellung individualisierter mRNA-basierter Krebstherapien. »Die Lösungen unterstützen die Planung in optimaler Weise und sind tagtäglich im Einsatz«, so der Forscher. Die Plattformen werden sukzessive erweitert, an sich ändernde Anforderungen angepasst und in die IT-Landschaft von BioNTech integriert. »Dank der guten Zusammenarbeit mit dem Team vom Fraunhofer ITWM konnten wir BioNTech in erfolgskritischen Situationen mit passgenauen Lösungen unterstützen. Die Software-optimierten Prozesse werden wir auch künftig in anderen Bereichen einsetzen«, sagt Dr. Oliver Henning, Senior Vice President Operations von BioNTech.

Weitere Informationen:

https://www.fraunhofer.de/de/presse/presseinformationen/2022/september-2022/algo…

Media Contact

Britta Widmann Kommunikation
Fraunhofer-Gesellschaft

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Informationstechnologie

Neuerungen und Entwicklungen auf den Gebieten der Informations- und Datenverarbeitung sowie der dafür benötigten Hardware finden Sie hier zusammengefasst.

Unter anderem erhalten Sie Informationen aus den Teilbereichen: IT-Dienstleistungen, IT-Architektur, IT-Management und Telekommunikation.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen

An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…

Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean

20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….

Resistente Bakterien in der Ostsee

Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…