Mit Gedanken den Computer lenken
Berliner Forscher möchten künftig die Kraft der Gedanken nutzen, um Computer zu bedienen, Prothesen zu steuern oder bei Querschnittsgelähmten die gestörte Verbindung zwischen Gehirn und Muskulatur zu überbrücken. Dazu entwickeln sie auf der Basis von Gehirnströmen ein Brain-Computer Interface (BCI). Erste Ergebnisse des Projektes werden in der Ausstellung „Leuchttürme der Berliner Wissenschaft“ im Berliner Abgeordnetenhaus (15.- 30. Mai 2003) vorgestellt.
„Die Gedanken sind frei / Wer kann sie erraten? / Sie fliegen vorbei / Wie nächtliche Schatten“ – heißt es in einem alten Volkslied. Doch ganz stimmt diese Aussage nicht mehr: Ein interdisziplinäres Forscherteam in Berlin ist den Gedanken auf der Spur. Informatiker des Fraunhofer-Instituts für Rechnerarchitektur und Softwaretechnik FIRST und Neurologen vom Universitätsklinikum Benjamin Franklin können anhand von Gehirnströmen erkennen, ob ein Mensch zum Beispiel seine rechte oder linke Hand bewegen will. Um die Hirnströme zu messen, nutzen die Forscher das Elektroenzephalogramm (EEG). 128 an der Kopfhaut angebrachte Elektroden messen die schwachen Ströme. Zahlreiche Forschergruppen in den USA und Europa arbeiten an derartigen Verfahren für ein Brain-Computer Interface. Im Unterschied zu anderen Projekten müssen Versuchspersonen in Berlin aber nicht in einem langwierigen Training lernen, ihre Hirnströme zu kontrollieren. „Hier lernt der Computer die neurophysiologischen Signale richtig zu interpretieren“, erläutert Dr. Gabriel Curio von der Arbeitsgruppe Neurophysik am Universitätsklinikum Benjamin Franklin den besonderen Ansatz des Berliner Projekts. Gemeinsam mit Prof. Dr. Klaus-Robert Müller vom Fraunhofer-Instituts für Rechnerarchitektur und Softwaretechnik leitet er das vom Bundesforschungsministerium geförderte Vorhaben. Dabei machen sich die Forscher ein physiologisches Phänomen zu Nutze: Etwa eine halbe Sekunde bevor ein Mensch eine Bewegung ausführt, ändern sich die Gehirnströme. Dieses nur wenige Millionstel Volt große „Bereitschaftspotenzial“ zeigt an, dass der Mensch eine Bewegung plant.
Doch wie kann bei der Vielzahl unterschiedlicher Signale, die das menschliche Gehirn in jeder Sekunde produziert, das gesuchte Bereitschaftspotenzial herausgefiltert werden? Die Fraunhofer-Spezialisten für Intelligente Datenanalyse entwickelten hierfür eine Software, die in dem diffusen Informationsgemisch das gesuchte Signal erkennt. „Es ist ähnlich wie bei einer Cocktailparty. Dort muss man auch aus zahlreichen Stimmen, Geschirrklappern, Musik oder Türenschlagen die Stimmen seines Gesprächspartners herausfiltern, um sich trotz der anderen Geräusche unterhalten zu können“, erklärt Prof. Müller. Spezielle Algorithmen trennen deshalb die unterschiedlichen Gehirnquellen voneinander. „Darüber hinaus untersuchen wir die Struktur der Daten und prüfen mit Methoden des Maschinellen Lernens, wo sie sich unterscheiden“, sagt der Experte.
Die Arbeiten des Forscherteams stehen unter dem Motto: „Let the machines learn!“ Denn der Computer muss lernen, diese gemessenen Signale einer bestimmten Bewegung zuzuordnen. Dazu tippt eine Versuchsperson mit dem rechten oder linken Zeigefinger auf einer Computer-Tastatur. Der Rechner lernt schnell. Schon nach 20 Minuten kann der Proband quasi mit der Kraft seiner Gedanken einen Cursor steuern. Will er den rechten Finger bewegen, geht der Cursor bereits eine Viertelsekunde vor der eigentlichen Bewegung auf die rechte Bildschirmseite. „Bei einigen Probanden lässt sich die geplante Bewegung mit einer Sicherheit von 97 Prozent vorhersagen“, betont Müller. Bis zu 50 Entscheidungen pro Minute können so in technische Steuerungssignale umgesetzt werden.
Das Verfahren ist vielseitig einsetzbar: Wird der Cursor zum Beispiel in einem Buchstabenfeld bewegt, entsteht eine Art „mentaler Schreibmaschine“. Auf diese Weise könnten gelähmte Patienten Texte am Computer schreiben. Mit den Gedanken lässt sich aber nicht nur ein Cursor lenken. Je nach dem, welches Computerprogramm eingesetzt wird, werden die Hirnströme in ganz unterschiedliche Befehle umgesetzt: So könnten sie künftig Prothesen steuern oder bei Querschnittsgelähmten die zerstörte Verbindung zwischen Gehirn und Muskeln überbrücken. Das Verfahren ist auch für die Unterhaltungs- oder Automobilindustrie interessant. Brain-Computer Interfaces könnten eine neue Art von Computerspielen ermöglichen oder in präventive Systeme des Insassenschutzes integriert werden.
Bislang haben die Forscher das neue Verfahren an gesunden Freiwilligen getestet. Noch in diesem Jahr wollen sie es auch an Menschen mit amputierten Extremitäten erproben. Bis aber die ersten durch Gedanken gesteuerten Prothesen zur Verfügung stehen, der Gameboy eine direkte Schnittstelle zum Gehirn erhält und das Auto „gedankenschnell“ einer Gefahrensituation ausweicht, sind noch Jahre intensiver Forschungs- und Entwicklungsarbeit notwendig.
Ansprechpartnerin:
Mirjam Kaplow
Telefon 030 – 6392-1808, Fax -18 05
E-Mail: mirjam.kaplow@first.fraunhofer.de
Technischer Ansprechpartner:
Prof. Dr. Klaus-Robert Müller
Telefon 030 – 6392-1860, Fax -1805
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