CyberWalk – ungehindertes Gehen in virtuellen Welten

Sich ungehindert in virtuellen Welten bewegen zu können, ist bis heute eine Herausforderung an Technik und Wissenschaft. Bild: CyberWalk

Europäisches Projekt zur Entwicklung einer neuartigen Laufplattform für virtuelle Welten gestartet

Eine Laufplattform, auf der sich Menschen ungehindert in virtuellen Welten bewegen können, wollen Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik in Tübingen gemeinsam mit Fachkollegen der Technischen Universität München, der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich sowie der Universität Rom entwickeln. Die Plattform soll dazu dienen, die Wahrnehmung und Bewegung des Menschen im Raum zu erforschen, später aber auch den Besuch von antiken Stätten oder das Training von Sportlern in virtuellen Umgebungen ermöglichen. Das Projekt CyberWalk wird durch die Europäische Kommission im Bereich Zukunftsweisende Technologien für die Dauer von drei Jahren mit 1,7 Millionen Euro unterstützt.

Zur Erzeugung von so genannten „Virtuellen Welten“ werden im Computer Städte, Szenen und Situationen so naturgetreu wie möglich als dreidimensionale Programme nachkonstruiert. Diese virtuellen Szenarien werden einem Betrachter über eine Projektionsleinwand oder eine Spezialbrille mit kleinen Projektoren gezeigt. Anders als bei der passiven Betrachtung eines laufenden Films kann sich der Betrachter in der virtuellen Welt selbst umherbewegen und interagieren. Sobald er sich z.B. nach rechts bewegt, sieht er – wie auch in der natürlichen Umwelt – die gleiche virtuelle Szene, aber unter einem anderen Blickwinkel. Ziel solcher Entwicklungen ist es, virtuelle Welten zu erzeugen, die dem Menschen das Gefühl geben, wirklich ein Teil dieser künstlichen Szene zu sein.

Um dieses Ziel zu erreichen, benötigt man detailiertes Wissen, wie sich der Mensch in natürlichen Umbebungen verhält und wie er diese wahrnimmt. Die menschliche Wahrnehmung ist ein präziser, sehr fein abgestimmter Vorgang, der beispielsweise sehr empfindlich darauf reagiert, wenn sich bei einer Körperdrehung das Bild vor den Augen nicht im selben Moment mit genau der gleichen Geschwindigkeit bewegt. Ist diese Abstimmung nicht perfekt, verändert sich das Verhalten des Menschen in der virtuellen Umgebung – sein Körper reagiert oftmals mit Schwindelgefühlen oder Unwohlsein.

Doch welchen Nutzen haben virtuelle Welten außerhalb der Unterhaltungsindustrie? Schon heute halten sie Einzug in vielen Bereichen, in der Industrie bei der Konstruktion von neuen Automodellen, in der Architektur, bei der Rehabilitation, aber auch in der Wissenschaft, zum Beispiel bei der Erforschung der menschlichen Wahrnehmung.

Will man das natürliche Verhalten des Menschen untersuchen, so macht man das am Besten in seiner natürlichen Umgebung. Doch üblicherweise verändern sich die Rahmenbedingungen in natürlichen Umgebungen so rasch, dass es kaum möglich ist, eine Untersuchung unter genau den gleichen standardisierten Bedingungen zu wiederholen. Schon eine Wolke, die sich vor die Sonne schiebt, ändert die Beleuchtung einer Szene vollkommen.

In virtuellen Welten hingegen kann man alle Versuchsparameter kontrolliert und unabhängig voneinander in definierten Schritten verändern. Virtuelle Welten sind daher die geeignete Methode, um komplexe Verhaltsweisen des Menschen unter quasi-natürlichen Bedingungen zu untersuchen.

Von je her bewegt sich der Mensch durch Gehen und/oder Laufen durch seine Umwelt. Erst die Bewegung ermöglicht es ihm, seine Umgebung zu erkunden und sich beispielsweise in Städten und Gebäuden zu orientieren. Die natürliche Bewegungsfreiheit in virtuellen Welten ist jedoch bis zum heutigen Tage nur sehr eingeschränkt möglich. Ziel des Projekts „CyberWalk“ ist daher die Entwicklung einer vollkommen neuartigen virtuellen Laufumgebung, die es der Versuchsperson ermöglicht, sich aktiv und ungehindert in verschiedene Richtungen durch virtuelle Welten zu bewegen. Als erste Anwendung ist ein Spaziergang durch die antike, ehemals persische Stadt Sagalossa geplant.

Kernstück der CyberWalk-Laufumgebung wird der so genannte CyberCarpet (Cyberteppich) sein. Im Moment ist angedacht, den CyberCarpet als eine Plattform mit einem Durchmesser von etwa 5 Metern zu konstruieren. Diese Plattform soll aus tausenden von kleinen, beweglich gelagerten Bällen – ähnlich einem überdimensionalen Kugellager – bestehen. Die Bälle werden durch ein Laufband, das auf einem Drehtisch montiert ist, von unten her angetrieben. Auf diese Weise ist es möglich, eine auf dem CyberCarpet laufende Person quasi unbemerkt immer wieder zur Plattformmitte zurück zu bringen.

Der CyberCarpet wird in Zusammenarbeit zwischen dem Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen, Abteilung Kognitive Humanpsychophysik (Prof. Heinrich Bülthoff), und der Technischen Universität München, Institut für Angewandte Mechanik (Prof. Heinz Ulbrich), entwickelt. Die Münchner Wissenschaftler übernehmen dabei die Entwicklung des Prototyps und die endgültige Konstruktion der Plattform. Damit sich das Laufen auf der Plattform nachher auch natürlich anfühlt, erhalten sie von den Max-Planck-Wissenschaftlern Richtlinien, sodass die Plattform auf das menschliche Verhalten und deren Wahrnnehmung abgestimmt ist. Entscheidend wird dabei hauptsächlich sein, wie sich die Kräfte, die bei der Beschleunigung der Plattform auftreten, auf die Wahrnehmung und Handlung des Menschen auswirken.

Weitere Partner des Projektes sind die Eidgenössische Technische Hochschule in Zürich, Institut für Bildverarbeitung (Prof. Luc van Gool), deren Aufgabe darin besteht, durch Bildaufnahmen der laufenden Versuchsperson ein Signal zu erzeugen, das sich zur Steuerung der Plattform eignet – anderenfalls würde die Versuchsperson nach drei Schritten über den Rand der Plattform abstürzen. In dieser Aufgabe werden die Züricher Wissenschaftler unterstützt von der Universität Rom, Abteilung für Informatik (Prof. Alessandro De Luca), die geeignete Software zur Bewegungssteuerung entwickeln wird und dem Lehrstuhl für Steuerungs- und Reglungstechnik (Prof. Martin Buss) an der Technischen Universität München mit ihrer Expertise im Bereich optimierte Steuerungstechniken von komplexen Robotersystemen. Managementpartner in diesem Projekt ist die Agentur für Forschungsförderung AFWO GmbH (Tübingen, Dr. Friederike Wolf-Oberhollenzer).

Dr. Marc Ernst, wissenschaftlicher Leiter dieses Projekts am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, ist davon überzeugt: „Wenn wir erst einmal natürliches Laufen in virtuellen Welten ermöglicht haben, wird die CyberWalk-Laufumgebung nicht nur für die Unterhaltungsindustrie interessant sein. Vielmehr wird sie auch ein sehr großes Anwendungspotenzial in der medizinischen Therapie, dem Training von Sportlern, in Museen oder in der Architektur finden.“

Die Europäische Kommission unterstützt das Projekt CyberWalk für die Dauer von drei Jahren mit 1,74 Millionen Euro.

Media Contact

Dr. Andreas Trepte idw

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de

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