Telematik überwindet mühelos Kontinente

Moderne Fernwartungstechniken werden an der Fachhochschule Ravensburg-Weingarten im Studiengang Mechatronik gelehrt

Die Entwicklung von hochkomplizierten Maschinen ist das Eine. Die Wartung dieser Geräte, ob sie nun in Kairo oder Beijing stehen, von der heimischen Firma aus das Andere. Gelehrt werden Telematiktechniken im englischsprachigen Studiengang Mechatronik an der Fachhochschule Ravensburg-Weingarten.

Die Telematik, bezeichnet der Leiter Marketing und technische Dokumentation von Müller Weingarten, Hans Guilliard, als „die ideale Kommunikationsbrücke zwischen Kunden und den Unternehmensexperten“. Ein Müller Weingarten-Ingenieur kann mit Hilfe der modernen Wartungstechniken überaus schnell auf Fehlermeldungen reagieren.

Angenommen, es geht ein Anruf aus Shanghai ein, dass eine Presse nicht mehr funktioniert. Um den Fehler zu finden, reist der Ingenieur nicht erst in zwei Tagen mit dem Flugzeug nach China, sondern surft innerhalb von Minuten übers Internet nach Asien. Übers World Wide Web loggt er sich in das „Gehirn“ der fehlerhaften Großpresse ein. Mit Hilfe eines speziellen Wartungsprogramms stellt er innerhalb von kurzer Zeit etwa ein Problem mit dem Endschalter fest. Eine Stunde später ist der Fehler vom Shanghaier Wartungspersonal behoben, die Presse kann wieder anfahren. „Die Telematik“, so Hans Guilliard, „ist sowohl eine Komponente der Unternehmenstrategie im Bereich Service als auch ein Weg zur stärkeren Kundenbindung.“

Das Beispiel Müller Weingarten belegt, dass die oberschwäbische Fachhochschule mit ihrem Mechatronik-Studiengang richtig liegt. Ein weiteres Indiz sind die Bewerberzahlen: 140 Interessenten aus der ganzen Welt hatten sich fürs Wintersemester 2001/2002 um einen Studienplatz beworben, 25, darunter vier Deutsche, wurden zugelassen.

Ohne die Raumfahrt gäbe es die Telematik genauso wenig wie die Teflonpfanne, das bekannteste Beispiel für die irdische Anwendung von Weltraum-Know-how. Der Startschuss für den Studiengang Mechatronik erfolgte kurz nach der Weingartener Entwicklung des MarsRovers, also eines Roboters, der in der Lage ist, selbstständig auf der Mars-Oberfläche zu navigieren. Die beiden Professoren, Dr. Klaus Schilling und Dr. Hubert Roth, hatten den Roboter mit dem klangvollen Namen „Mobile Instrument Deployment Device (MIDD)“ im Auftrag der Europäischen Raumfahrtorganisation ESA in einem internationalen Firmenkonsortium entwickelt. Vorgestellt wurde der Prototyp 1997 auf der Hannovermesse.

Zwar liegt das europäische Marsprogramm derzeit auf Eis, der MarsRover steht der Fachhochschule Ravensburg-Weingarten jedoch für Ausbildungszwecke zur Verfügung. Auf einem Testfeld, das der Marsoberfläche nachgebaut wurde, führen die Mechatronik-Studierenden im Rahmen ihrer Ausbildung Experimente durch, bedient wird der Rover übers Internet. Simuliert werden Verzögerungen der Signallaufzeiten, Übertragungsraten für die Sensordaten und verschiedene Betriebsszenarios, um die Wechselwirkungen mit dem Bediener zu analysieren. Die Zeitverzögerung nach Eingabe eines Befehls ist ein Problem, mit dem sich die Studierenden erfolgreich auseinandersetzen müssen, ob sie nun mit einem Roboter auf dem Mars kommunizieren oder die Funktionen einer Presse in Shanghai überprüfen.

Das Labor „Fernsteuerung und Ferndiagnose mobiler Roboter“ ist nur eines von derzeit 13 Laboratorien, in denen die Weingartener Mechatronik-Studierenden Experimente durchführen. Elf stehen weit verstreut an Universitäten in Europa, Kanada und den USA. „An der Fachhochschule wird nicht nur die Telematik als wichtige Zukunftsdisziplin gelehrt“, erläutert Rektor Professor Dr. Peter Jany, „wir benutzen darüber hinaus Telematik-Techniken, um einen globalen Campus zu entwickeln.“

Konkret heißt das, dass die Weingartener Hochschule mit internationalen Universitäten zusammen arbeitet. Jede der beteiligten Hochschulen bringt ein real vorhandenes Labor ein und darf dafür das Labor der anderen Hochschulen nutzen. Der europäisch-US-amerikanische Verbund, einer von drei ähnlichen Projekten, nennt sich abgekürzt auf Englisch „IECAT“. Die Buchstaben stehen für „Innovative Ausbildungskonzepte für Telematik-Systeme“.

Das Projekt, von der Europäischen Union mit einer Million Mark gefördert, soll neue Formen der Lehre auf den Weg bringen. Professor Klaus Schilling: „Zwar sind derzeit per Internet einige wenige ferngesteuerte Roboter und Kameras zugänglich, es besteht aber noch an keiner Hochschule ein pädagogisches Konzept, das Übungen in virtuellen Labors als Regelfall in das Studium einbezieht.“

Entscheidend für das Gelingen des transkontinentalen Projektes ist die Beteiligung der Studierenden. 60 junge Menschen bekommen die Chance, für ein oder zwei Semester an einer der beteiligten Hochschulen im Ausland zu studieren. Diese Studierenden sollen das Know-how von einer Bildungseinrichtung an die andere bringen. Eine von ihnen ist die 27-jährige Spanierin Monika Perez Vernet, die seit März im internationalen Roboterlabor der FH Versuche für ihre Diplomarbeit an der spanischen Universität Vigo durchführt. Ihre Ergebnisse werden die Grundlage eines weiteren virtuellen Labors bilden.

Die Studentin der Telekommunikation beschäftigt sich mit Merlin, einem 50 Zentimeter langen Roboterfahrzeug, das übers Internet gesteuert werden kann. Entwickelt wurde Merlin, um vorprogrammierte Wege abzufahren. Der Roboter kann aber auch in den Weg gestellte Hindernisse selbständig umfahren. Dies gelingt durch ein sogenanntes intelligentes Navigationssystem. Merlin ist mit einer Antenne, einem Chip und Sensoren ausgestattet. So kann Monika dem Roboter über den Computer Anweisungen erteilen. Merlin wiederum sendet seine Daten dem Rechner zurück, so dass eine wechselseitige Kommunikation erfolgt.

Monica Perez Vernet gibt in ihren PC einen virtuellen Pfad vor – sei es eine gerade Linie oder einen Kreis – den Merlin real abfahren soll. Die Bewegung des Roboters wird von Sensoren erfasst und auf den Computerbildschirm übertragen. So erhält man einen direkten Vergleich zwischen der aus den Sensordaten erzeugten virtuellen und der echten Realität. Für Außenstehende vielleicht überraschend kommt es zu Störungen. Dies liegt unter anderem an den Rädern, die unterschiedlich lange Wege zurück legen. Bei einer Kurvenfahrt müssen die äußeren Räder einen weiteren Weg als die inneren Räder bewältigen.

Was reizt die junge Spanierin an Merlin? „Die virtuelle Realität“, sagt sie mit leuchtenden Augen. „Es ist faszinierend, übers Internet die Kontrolle über einen Roboter zu haben. Wenn Merlin dann nach vielen Fehlschlägen das macht, was ich will, dann hat sich ein langer Tag im Labor gelohnt.“

Telematik ist „in“. Nicht nur Müller Weingarten ist daran interessiert, die Produktionsanlagen in aller Welt mit Fernwartungsmethoden zu überwachen. Auch für die Rohwedder AG steht die Vor-Ort-Kundenbetreuung ganz oben. Die Fernwartung von Anlagen spielt in diesem Konzept eine große Rolle, so Vorstandsvorsitzender Joachim Rohwedder vergangene Woche bei einem Vortrag an der FH. Um das Bewusstsein für Telematik und Mechatronik zu schärfen, vergibt das Bermatinger Unternehmen den Rohwedder-Preis. Verliehen wird er für herausragende Leistungen von Weingartener Mechatronik-Studierenden.

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Dipl.-Journ. Tove Simpfendörfer idw

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