Besser reagieren auf extreme Wetterereignisse: Forscher entwickeln europäische Frühwarnplattform

Die Frühwarnplattform ANYWHERE bei einem Testeinsatz in Spanien. ANYWHERE Consortium

Eine Plattform mit Frühwarntools für verschiedene Nutzer

„In unserem Forschungsprojekt entwickeln wir eine europaweite Frühwarnplattform, das „ANYWHERE Multi-Hazard Early Warning System“. Damit lassen sich Klima- und Wettersituationen, die Todesfälle und massive wirtschaftliche wie infrastrukturelle Schäden nach sich ziehen können, früher als bislang vorab identifizieren“, erklärt Matthias Habdank vom Lehrstuhl „Computeranwendung und Integration in Konstruktion und Planung“ von Prof. Dr.-Ing. Rainer Koch.

Er betreut das Projekt mit seinen Kollegen Dr.-Ing. Jens Pottebaum und Philipp Scholle vom Lehrstuhl für Produktentstehung unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Iris Gräßler.

Die ANYWHERE-Plattform wird derzeit an sechs ausgewählten Standorten in Spanien, Italien, Frankreich, der Schweiz, Norwegen und Finnland getestet. Sie soll Behörden, Katastrophenschutzorganisationen, Unternehmen und Bürgern künftig gebündelt eine Reihe modernster Frühwarntools zur Verfügung stellen. Mit diesen Anwendungen lassen sich der Zeitpunkt eines extremen Wetterereignisses, potentiell betroffene Orte und mögliche Auswirkungen schneller als bisher antizipieren und Schutzmaßnahmen können optimiert werden.

„Unsere Plattform richtet sich bewusst an verschiedene Nutzer. Sie soll die öffentliche Gefahrenabwehr unterstützen, aber auch dem Selbstschutz von Unternehmen und Bürgern dienen“, betont Jens Pottebaum. Auf Korsika erproben die Wissenschaftler beispielsweise Frühwarntools, mit denen sich Waldbrände prognostizieren lassen. So kann die Bevölkerung schnell gewarnt werden und die Feuerwehr gezielt ihre Einsätze planen.

Hilfe im Katastrophenfall

ANYWHERE stellt nicht nur Frühwarntools zur Verfügung, die vor einem extremen Wettereignis warnen. Die Plattform bietet auch Hilfeanwendungen für den Katastrophenfall, mit denen rascher als bislang reagiert und Rettungsaktionen besser koordiniert werden können.

„Für Behörden, Feuerwehr und Co. sind konkrete Sofortmaßnahmen interessant, der Bürger fragt sich, wie er sich selbst schützen kann und der Unternehmer, wie er sich so vorbereiten kann, dass sein Geschäft nicht einbricht und Arbeitsplätze gefährdet werden. Unsere Anwendungen sollen allen helfen“, so Matthias Habdank.

Im italienischen Genua etwa testen die Wissenschaftler ein Tool, das sich bei Hochwasser einsetzen lässt. Mit der Anwendung können Katastrophenschutzbehörden die Eltern von Schülern informieren, dass ihre Kinder in Sicherheit sind und so verhindern, dass sich die Erwachsenen selbst in Gefahr bringen. In Katalonien wird eine Anwendung erprobt, mit der LKW-Fahrer eines Nahrungsmittellogistikers bei starkem Schneefall Routen planen können.

Das Tool erfasst die aktuellen Straßenbedingungen und mögliche Staus. So gelangt das Fahrzeug schnellstmöglich an sein Ziel, das Unternehmen kann sein Geschäft aufrechterhalten und die Bevölkerung bekommt die benötigten Lieferungen.

Bereits existierende Frühwarn- und Hilfetools werden integriert

Bei ANYWHERE arbeiten Ingenieure, Informatiker, Meteorologen, Naturwissenschaftler, Geologen, Juristen und Experten anderer Fachgebiete aus ganz Europa zusammen. So können bereits existierende Frühwarn- und Hilfetools in die Plattform integriert und weiterentwickelt werden. Daneben speist sich ANYWHERE aus europaweiten Daten:

„Unsere Plattform bezieht ihre Daten aus verschiedenen Quellen. Mittelfristige Wetterdaten kommen beispielsweise vom Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (ECMWF) und lokale Wetterdaten teils von örtlichen Sensoren“, erläutert Jens Pottebaum.

„Wir verwenden ein offenes Schnittstellenkonzept und aktuelle Standards. So konnten bereits 300 Systeme Dritter – wie Systeme von Wetterdiensten – und damit verschiedenste Vorhersage- und Auswirkungsalgorithmen integriert werden“, ergänzt Philipp Scholle. Alle Tools der ANYWHERE-Plattform werden an die lokalen Anforderungen von Behörden und öffentlichen wie privaten Betreibern kritischer Infrastrukturen angepasst.

Den Selbstschutz fördern

Die ANYWHERE-Plattform integriert nicht nur Daten und Anwendungen Dritter. Sie kann auch selbst in bereits bestehende Frühwarnsysteme eingebettet werden und stellt ihre Daten und Algorithmen anderen Anwendungen zur Verfügung. Begleitend zur Frühwarnplattform entwickeln die Paderborner Wissenschaftler außerdem eine Wissensplattform, den „Common Information Space“ (CIS).

„Es geht uns nicht nur darum, Frühwarn- und Hilfetools für Extremwetterlagen zu bündeln und weiterzuentwickeln. Es sollen auch Handlungsempfehlungen entstehen, die zeigen, wie sich die Tools bestmöglich nutzen lassen, und wir wollen die Entwicklung weiterer Anwendungen fördern – vor allem zum Selbstschutz der Bürger“, betont Matthias Habdank. Der CIS bietet Entwicklern daher Werkzeuge und Guidelines, mit denen sich weitere Frühwarn- und Hilfetools programmieren lassen.

Um möglichst viele Menschen zu erreichen, sind Sprache und Form der Frühwarnplattform flexibel anpassbar. „Prinzipiell ist alles möglich, was web- oder cloudbasiert ist“, erklärt Jens Pottebaum.

„In den Lagezentren von Behörden wird die Plattform beispielsweise als PC-Software verwendet, bei unseren lokalen Fallstudien kommen teilweise Apps zum Einsatz.“ Einige der Plattform-Tools arbeiten außerdem mit Warnmeldungen, die etwa über Twitter und den Kurznachrichtendienst Telegram verschickt werden können.

Nach Projektende werden einige der Frühwarn- und Hilfetools für Behörden, Unternehmen und Bürger kostenfrei verfügbar sein – jeweils angepasst an regionale Gegebenheiten und Anforderungen. Der Common Information Space ist dann ebenfalls frei zugänglich.

Einige Ergebnisse von ANYWHERE werden außerdem in neuen Forschungsprojekten genutzt, um an einem internationalen Standard zur Nutzung von Social Media in der Gefahrenabwehr zu arbeiten (siehe dazu: www.isotc292online.org/projects/iso-22329).

Matthias Habdank M.Sc., Fakultät für Maschinenbau, Tel.: 05251 60-2292, E-Mail: habdank@cik.upb.de; Dr.-Ing. Jens Pottebaum, Heinz Nixdorf Institut der Universität Paderborn, Fakultät für Maschinenbau, Tel.: 05251 60-6258, E-Mail: jens.pottebaum@hni.upb.de,
Philipp Scholle, M.Sc., Heinz Nixdorf Institut, Fakultät für Maschinenbau, Tel.: 05251 60-6263, E-Mail: philipp.scholle@hni.upb.de

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