Gespaltene Welle: Bauelement für neuromorphen Computer

Switching points of the brain are simulated with magnetic waves, which are specifically generated and divided using nonlinear processes within microscopically small vortex discs.
Credit: HZDR/Sahneweiß/H. Schultheiß

Neuronale Netzwerke zählen zu den wichtigsten Werkzeugen der KI: Sie sind der Funktionsweise des menschlichen Gehirns nachempfunden. Bislang laufen sie als lernfähige Software auf herkömmlichen Prozessoren. Doch die Fachwelt arbeitet an einem alternativen Konzept, dem „neuromorphen Computer“. Hier werden die Schaltstellen des Gehirns nicht per Software simuliert, sondern von Hardware-Bauteilen nachgebildet. Ein HZDR-Team zeigt nun einen neuen Ansatz für eine solche Hardware auf – magnetische Wellen, die gezielt in mikrometerkleinen Scheiben erzeugt und aufgeteilt werden. Damit könnten sich in Zukunft Optimierungsaufgaben und Mustererkennung schneller und energieeffizienter erledigen lassen.

Als Basis verwendet das Team eine winzige, wenige Mikrometer messende Scheibe aus Eisen-Nickel, einem magnetischen Material. Um diese Scheibe herum ist ein Goldring angebracht: Von einem Wechselstrom im Gigahertz-Bereich durchflossen, strahlt er Mikrowellen ab, die in der Scheibe sogenannte Spinwellen anregen. „Die Elektronen im Eisen-Nickel besitzen einen Spin, eine Art Eigendrall ähnlich wie bei einem Kreisel“, erläutert Helmut Schultheiß, Leiter der Emmy Noether-Gruppe „Magnonik“ am HZDR. „Mit den Mikrowellen-Impulsen bringen wir die Elektronen-Kreisel ein wenig aus dem Takt.“ Anschließend geben die Elektronen diese Störung an ihre jeweiligen Nachbarn weiter – was zur Folge hat, dass eine Spinwelle durchs Material jagt. Dadurch lassen sich Informationen überaus effizient transportieren, ohne dass sich Elektronen bewegen müssen, wie es heute in einem Computerchip geschieht.

Bereits 2019 stellte die Gruppe um Schultheiß etwas Bemerkenswertes fest: Unter bestimmten Umständen lässt sich die in der Magnetscheibe erzeugte Spinwelle aufspalten, und zwar in zwei Wellen von jeweils geringerer Frequenz. „Grund dafür sind sogenannte nichtlineare Effekte“, erläutert Schultheiß´ Kollege Lukas Körber. „Sie werden erst dann wirksam, wenn die eingestrahlte Mikrowellenleistung über einer bestimmten Schwelle liegt.“ Dieses Verhalten macht die Spinwellen zu aussichtreichen Kandidaten für künstliche Neuronen, denn es gibt eine verblüffende Parallele zur Arbeitsweise des Gehirns: Auch dessen Neuronen feuern erst, wenn eine gewisse Reizschwelle überschritten ist.

Lockvogel aus Mikrowellen

Allerdings konnten die Wissenschaftler*innen das Aufteilen der Spinwelle anfangs nur ungenau steuern. Der Grund: „Wenn wir die Mikrowelle in die Scheibe schickten, teilte sich die Spinwelle erst mit einer gewissen Verzögerung in zwei neue Wellen auf“, erzählt Körber. „Und dieser Zeitverzug war nur schlecht unter Kontrolle zu bringen.“ Also musste sich das Team einen Trick einfallen lassen, den es nun in den Physical Review Letters vorstellt: Zusätzlich zum Goldring wird ein kleiner magnetischer Streifen in die Nähe der Magnetscheibe gebracht. Ein kurzes Mikrowellen-Signal erzeugt in diesem Streifen eine Spinwelle. Diese kann mit der Spinwelle in der Scheibe wechselwirken und dadurch als eine Art Lockvogel fungieren: Die Spinwelle im Streifen motiviert die Welle in der Scheibe dazu, sich schneller aufzuteilen. „Ein ganz kurzes Zusatzsignal genügt, dass das Aufteilen deutlich früher einsetzt“, erklärt Körber. „Dadurch können wir den Prozess nun gezielt auslösen und den Zeitversatz kontrollieren.“

Damit ist der Nachweis erbracht, dass die Spinwellen-Scheiben im Prinzip als künstliche Hardware-Neuronen taugen – sie schalten ähnlich wie die Nervenzellen im Gehirn und lassen sich gezielt ansteuern. „Als nächstes wollen wir ein kleines Netzwerk aus unseren Spinwellen-Neuronen bauen“, kündigt Helmut Schultheiß an. „Dieses neuromorphe Netzwerk soll dann einfache Aufgaben lösen können, etwa simple Muster erkennen.“

Gesichtserkennung und Verkehrsoptimierung

Die Mustererkennung zählt zu den wichtigsten Anwendungen in der KI. Beispielsweise macht die Gesichtserkennung auf dem Smartphone die Eingabe eines Passworts überflüssig. Damit das funktioniert, muss im Vorfeld ein neuronales Netzwerk trainiert werden, was eine enorme Rechenleistung und gewaltige Datenmengen erfordert. Die Smartphone-Hersteller übertragen dieses Netzwerk auf einen Spezialchip, der dann im Handy verbaut wird. Doch dieser Chip besitzt ein Manko: Er ist nicht lernfähig, weshalb er beispielsweise keine Gesichter mit Corona-Maske erkennen kann.

Ein neuromorpher Computer dagegen könnte auch mit solchen Situationen umgehen: Seine Bauelemente sind im Gegensatz zu einem konventionellen Chip nicht fest verdrahtet, sondern funktionieren ähnlich wie die Nervenzellen im Gehirn. „Dadurch könnte ein neuromorpher Rechner ähnlich wie der Mensch große Datenmengen gleichzeitig verarbeiten, und zwar sehr energieeffizient“, schwärmt Schultheiß. Außer für die Mustererkennung würde sich der neue Rechnertyp für ein weiteres wirtschaftlich relevantes Feld anbieten: für Optimierungsaufgaben wie die hochpräzise Routenplanung auf dem Smartphone.

Publikationen:
L. Körber, K. Schultheiss, T. Hula, R. Verba, J. Fassbender, A. Kákay, H. Schultheiss: Nonlocal stimulation of three-magnon splitting in a magnetic vortex, in Physical Review Letters, 2020 (DOI: 10.1103/PhysRevLett.125.207203)

K. Schultheiss, R. Verba, F. Wehrmann, K. Wagner, L. Körber, T. Hula, T. Hache, A. Kákay, A. A. Awad, V. Tiberkevich, A. N. Slavin, J. Fassbender, H. Schultheiss: Excitation of whispering gallery magnons in a magnetic vortex, in Physical Review Letters, 2019 (DOI: 10.1103/PhysRevLett.122.097202)

Weitere Informationen:
Dr. Helmut Schultheiß
Institut für Ionenstrahlphysik und Materialforschung am HZDR
Tel.: +49 351 260-3243 | E-Mail: h.schultheiss@hzdr.de

Medienkontakt:
Simon Schmitt | Wissenschaftsredakteur
Tel.: +49 351 260-3400 | Mobil: +49 175 874 2865 | E-Mail: s.schmitt@hzdr.de
Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR)
Bautzner Landstr. 400, 01328 Dresden | www.hzdr.de

Das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) forscht auf den Gebieten Energie, Gesundheit und Materie. Folgende Fragestellungen stehen hierbei im Fokus:
• Wie nutzt man Energie und Ressourcen effizient, sicher und nachhaltig?
• Wie können Krebserkrankungen besser visualisiert, charakterisiert und wirksam behandelt werden?
• Wie verhalten sich Materie und Materialien unter dem Einfluss hoher Felder und in kleinsten Dimensionen?
Das HZDR entwickelt und betreibt große Infrastrukturen, die auch von externen Messgästen genutzt werden: Ionenstrahlzentrum, Hochfeld-Magnetlabor Dresden und ELBE-Zentrum für Hochleistungs-Strahlenquellen.
Es ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, hat sechs Standorte (Dresden, Freiberg, Görlitz, Grenoble, Leipzig, Schenefeld bei Hamburg) und beschäftigt knapp 1.200 Mitarbeiter – davon etwa 500 Wissenschaftler inklusive 170 Doktoranden.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Helmut Schultheiß
Institut für Ionenstrahlphysik und Materialforschung am HZDR
Tel.: +49 351 260-3243 | E-Mail: h.schultheiss@hzdr.de

Originalpublikation:

L. Körber, K. Schultheiss, T. Hula, R. Verba, J. Fassbender, A. Kákay, H. Schultheiss: Nonlocal stimulation of three-magnon splitting in a magnetic vortex, in Physical Review Letters, 2020 (DOI: 10.1103/PhysRevLett.125.207203)

K. Schultheiss, R. Verba, F. Wehrmann, K. Wagner, L. Körber, T. Hula, T. Hache, A. Kákay, A. A. Awad, V. Tiberkevich, A. N. Slavin, J. Fassbender, H. Schultheiss: Excitation of whispering gallery magnons in a magnetic vortex, in Physical Review Letters, 2019 (DOI: 10.1103/PhysRevLett.122.097202)

Weitere Informationen:

https://www.hzdr.de/presse/spin_wave_neurons

Media Contact

Dr. Christine Bohnet Kommunikation und Medien
Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Informationstechnologie

Neuerungen und Entwicklungen auf den Gebieten der Informations- und Datenverarbeitung sowie der dafür benötigten Hardware finden Sie hier zusammengefasst.

Unter anderem erhalten Sie Informationen aus den Teilbereichen: IT-Dienstleistungen, IT-Architektur, IT-Management und Telekommunikation.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Die Roboterhand lernt zu fühlen

Fraunhofer IWS kombiniert Konzepte aus der Natur mit Sensorik und 3D-Druck. Damit Ernteroboter, U-Boot-Greifer und autonome Rover auf fernen Planeten künftig universeller einsetzbar und selbstständiger werden, bringen Forschende des Fraunhofer-Instituts…

Regenschutz für Rotorblätter

Kleine Tropfen, große Wirkung: Regen kann auf Dauer die Oberflächen von Rotorblättern beschädigen, die Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit von Windenergieanlagen können sinken, vor allem auf See. Durch die Entwicklung innovativer Reparaturlösungen…

Materialforschung: Überraschung an der Korngrenze

Mithilfe modernster Mikroskopie- und Simulationstechniken konnte ein internationales Forschungsteam erstmals beobachten, wie gelöste Elemente neue Korngrenzphasen bilden. Mit modernsten Mikroskopie- und Simulationstechniken hat ein internationales Forscherteam systematisch beobachtet, wie Eisenatome…