In zehn Minuten zum virtuellen Zwilling
Avatare – virtuelle Personen – sind ein Kernelement von ICSpace, dem virtuellen Fitness- und Bewegungsraum am Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC) der Universität Bielefeld. Das System ermöglicht, Bewegungsabläufe einzuüben und zu verbessern, indem es individuelles Feedback in Echtzeit gibt. Verkörpert wird das System durch einen virtuellen Menschen, der als Trainer agiert. Zusätzlich sehen sich die Nutzerinnen und Nutzer selbst als Avatar – als virtuelle Kopie von sich im Spiegel des virtuellen Raums.
Bislang dauerte die Erstellung solcher personalisierter Avatare mehrere Tage. Jetzt haben die CITEC-Forscher ein beschleunigtes Verfahren entwickelt.
Um Avatare für das System ICSpace zu erstellen, „scannen“ die Forschenden Personen ein. Dafür fotografieren die Informatiker mit einem Rondell aus 40 Spiegelreflex-Kameras die jeweilige Person von allen Seiten und berechnen aus diesen Aufnahmen mehrere Millionen dreidimensionale Messpunkte auf dem Körper der Person. In diese Daten wird ein generisches virtuelles Menschmodell so eingepasst, dass es in Form und Aussehen der gescannten Person entspricht.
„Unser virtuelles Menschmodell wurde aus über hundert 3D-Scans erzeugt und enthält statistisches Vorwissen darüber, wie menschliche Körper aussehen und sich bewegen“, sagt Professor Dr. Mario Botsch, Leiter der Forschungsgruppe Computergrafik und Geometrieverarbeitung und einer der Koordinatoren des Projekts ICSpace. „Nur dadurch können wir die Avatare schnell und automatisiert erstellen.“
Die resultierenden virtuellen Menschen können detailliert animiert werden: Sie können alle Gelenke bewegen, bis hin zu einzelnen Fingern, und über Gesichtsausdrücke, Sprache und Gesten kommunizieren.
„Wichtigstes Merkmal ist aber, dass sie den Benutzer fotorealistisch widerspiegeln“, sagt Botsch. Denn personalisierte Avatare werden von den Nutzerinnen und Nutzern deutlich besser akzeptiert. Das zeigt eine Studie, die die Computergrafiker aus Bielefeld in Kooperation mit Professor Dr. Marc Latoschik von der Universität Würzburg durchgeführt haben.
„Die Untersuchung zeigt, dass sich die Nutzerinnen und Nutzer besser mit solch einem maßgeschneiderten Avatar identifizieren als mit einem Avatar, der ihnen nicht ähnelt, selbst wenn er ähnlich realistisch aussieht“, sagt Latoschik, der in Würzburg den Lehrstuhl für Mensch-Computer-Interaktion leitet.
„Bis vor wenigen Monaten waren die einzelnen Bearbeitungsschritte für die Erstellung der Avatare kaum automatisiert“, sagt Botsch. Das hat sich mit dem neuen Verfahren geändert.
Für die aktuelle Studie hat sein Team Algorithmen entwickelt, die die komplette Verarbeitung der Fotodaten bis hin zum animierbaren Avatar beschleunigen. „So können wir jetzt innerhalb von zehn Minuten den Avatar einer beliebigen Person erzeugen“, sagt Jascha Achenbach, Erstautor der daraus entstandenen Publikation. „Die virtuellen Avatare legen wir in einem Format an, wie es auch von der Computerspiele-Industrie genutzt wird“, berichtet Thomas Waltemate, der wie Achenbach in Botschs Forschungsgruppe arbeitet. Das mache das Verfahren auch für die kommerzielle Nutzung interessant.
Ihre Entwicklung der beschleunigten Avatar-Generierung haben die Wissenschaftler vor einem Monat in Göteborg (Schweden) auf der renommierten Konferenz „ACM Symposium on Virtual Reality Software and Technology“ vorgestellt. Die Studie dazu, wie die personalisierten Avatare von Nutzerinnen und Nutzern akzeptiert werden, stellen sie im Frühjahr 2018 auf der weltweit führenden Konferenz zu Virtueller Realität vor, der „IEEE Conference on Virtual Reality and 3D User Interfaces“.
Sechs Forschungsgruppen des Exzellenzclusters CITEC haben die virtuelle Trainingsumgebung ICSpace gemeinsam entwickelt. ICSpace steht für „Intelligent Coaching Space“ (Intelligenter Coaching-Raum). Das System analysiert die Bewegungsausführung von Sportlern und Reha-Patienten und hilft, diese zu korrigieren. Es basiert auf einem offenem Raum mit Front und Boden als Projektionswand, bekannt als CAVE (Cave Automatic Virtual Environment, deutsch: Höhle mit automatisierter, virtueller Umwelt).
Die CAVE ermöglicht, eine begehbare computergenerierte virtuelle Umgebung zu simulieren. Testpersonen tragen ähnlich wie im Kino eine 3D-Brille. Weltweit einmalig an dem System ist, dass es den kompletten Trainingsprozess umsetzt und sich flexibel an das Verhalten des Nutzers anpasst. Mario Botsch leitet das Projekt zusammen mit dem Informatiker Professor Dr. Stefan Kopp und dem Sportwissenschaftler und Kognitionspsychologen Professor Dr. Thomas Schack.
ICSpace ist eins von vier CITEC-Großprojekten. Der Exzellenzcluster CITEC fördert das Projekt bis Ende 2017 mit insgesamt 1,6 Millionen Euro. Die weiteren Projekte sind das Roboter-Service-Apartment, der Laufroboter Hector und das Greif-Lern-System „Famula“. CITEC wird bis Ende 2018 als Teil der Exzellenzinitiative von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Auftrag von Bund und Ländern gefördert (EXC 277). In der neuen Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder bewirbt sich die Universität Bielefeld um einen Cluster, der auf der Forschung des derzeitigen Exzellenzclusters CITEC aufbaut.
Originalveröffentlichung:
Jascha Achenbach, Thomas Waltemate, Marc Latoschik, Mario Botsch: Fast Generation of Realistic Virtual Humans. Proceedings of ACM Symposium on Virtual Reality Software and Technology. http://bit.ly/2C5XP5D, erschienen im November 2017.
Kontakt:
Prof. Dr. Mario Botsch, Universität Bielefeld
Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC) und Technische Fakultät
Telefon: 0521 106-12146
E-Mail: botsch@techfak.uni-bielefeld.de
http://bit.ly/2CjpT6k „Intelligent Bewegung trainieren in der virtuellen Realität“ (Pressemitteilung vom 11.02.2016)
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