Künstliche Intelligenz lernt Nervenzellen am Aussehen zu erkennen
Das Gehirn besteht aus zirka 86 Milliarden Nervenzellen und etwa genauso vielen Gliazellen. Dazu kommen an die 100 Billionen Verbindungen, allein zwischen den Nervenzellen. Während die Kartierung aller Verbindungen eines menschlichen Gehirns außer Reichweite bleibt haben Wissenschaftler nun begonnen das Problem im Kleinen anzugehen.
Durch die Entwicklung der Serienschnitt-Rasterelektronenmikroskopie können mittlerweile alle Zellen und Verbindungen eines Gehirnbereichs automatisiert erfasst und in einem dreidimensionalen Bild dargestellt werden.
„Um ein würfelförmiges Stückchen Gehirn mit 0,3 Kubikmillimetern unter dem Elektronenmikroskop zu erfassen, brauchen wir mehrere Monate“, weiß Philipp Schubert, Doktorand in der Abteilung von Winfried Denk am Max-Planck-Institut für Neurobiologie.
„Je nach Größe des Gehirns scheint das viel Zeit für ein winziges Stückchen, aber bereits da sind Tausende Zellen drin.“ So ein Datensatz bräuchte zudem knapp 100 Terrabyte Speicherplatz. Doch nicht das Erfassen und Speichern, sondern die Datenanalyse ist das Schwierige.
Glücklicherweise haben sich zeitgleich mit den Mikroskopietechniken auch die Analysemethoden verbessert. Lange Zeit schien nur das menschliche Gehirn die Teile und Verbindungen von Nervenzellen zuverlässig in den elektronenmikroskopischen Aufnahmen erkennen und verfolgen zu können.
So mussten immer noch Menschen in stundenlanger Bildschirmarbeit Zellbestandteile in den Bilderstapeln verfolgen und Computeranalysen korrigieren. Dadurch dauerte die Rekonstruktion selbst kleinster Datensätze viele Jahre. Vor wenigen Jahren holten sich die Forscher dann jedoch Hilfe: von künstlicher Intelligenz.
Die Martinsrieder Neurobiologen trainierten sogenannte „Convolutional Neural Networks“ darauf, Nervenzellbestandteile in den Bilddaten zu erkennen und voneinander zu unterscheiden. Durch verbesserte Bildanalyse mittels „Flood Filling Networks“ konnten bereits letztes Jahr, ganze Nervenzellen mit all ihren Bestandteilen und Verbindungen nahezu fehlerfrei aus einem Bilderstapel automatisch herausgearbeitet werden.
„Und nun gehen wir mit den Cellular Morphology Neural Networks noch einen Schritt weiter in der Analyse“, so Schubert. „Ähnlich wie der Mensch erkennen die CMNs eine Zelle anhand ihrer Form und aus dem Zusammenhang, und nicht über den Vergleich einzelner Pixel.“
Die CMNs können nun die aus einem Bilderstapel herausgearbeiteten Nervenzellen je nach ihrem Aussehen einem Nervenzelltyp oder einer Gliazelle zuordnen. Zudem erkennen die CMNs, ob ein Zellbereich zum Zellkörper, dem Axon, einem Dendriten oder zu dessen Dornenfortsätzen gehört.
„Diese Informationen sind wichtig, um die Funktion der Zellen oder zum Beispiel die Richtung des Informationsflusses an den synaptischen Kontaktstellen zu verstehen“, so Schubert, der sich bereits auf die nächste Aufgabe freut: „Jetzt können wir endlich auch die größeren Datensätze analysieren!“
Philipp J Schubert, Sven Dorkenwald, Michał Januszewski, Viren Jain, Joergen Kornfeld
Learning cellular morphology with neural networks
Nature Communications, online am 21. Juni 2019
http://www.neuro.mpg.de – Webseite des MPI für Neurobiologie
http://www.neuro.mpg.de/sbem/de – Das Serienschnitt-Rasterelektronenmikroskop
https://www.neuro.mpg.de/3398203/news_publication_11074117 – Information zu Convolutional Neural Networks
https://www.neuro.mpg.de/3543539/news_publication_12130463 – Information zu Flood Filling Networks
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