Quanten-Nichtlokalität bei allen Geschwindigkeiten
Das Phänomen der Quanten-Nichtlokalität widerspricht unserer Alltagsintuition. Es zeigt die starken Korrelationen zwischen mehreren Quantenteilchen, von denen einige ihren Zustand augenblicklich ändern, sobald die anderen gemessen werden, unabhängig von der Entfernung zwischen ihnen. Während Wissenschafter*innen das Phänomen für sich langsam bewegende Teilchen bestätigt haben, war es bisher umstritten, ob die Nichtlokalität erhalten bleibt, wenn sich Teilchen sehr schnell – mit Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit – bewegen, und erst recht, wenn diese Geschwindigkeiten quantenmechanisch unbestimmt sind.
Nun berichten Forscher*innen der Universität Wien, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und des Perimeter-Instituts in der neuesten Ausgabe der Physical Review Letters, dass Nichtlokalität eine universelle Eigenschaft der Welt ist, unabhängig davon, wie und mit welcher Geschwindigkeit sich Quantenteilchen bewegen.
Es ist leicht zu veranschaulichen, wie Korrelationen im Alltag entstehen können. Stellen Sie sich vor, dass Sie zwei Ihrer Freunde, Alice und Bob, an jedem Tag des Monats eine Spielzeuglokomotive aus einem Zweierset für deren Sammlung schicken. Dabei können Sie aussuchen, ob die jeweiligen Lokomotiven rot oder blau oder elektrisch oder dampfbetrieben sein sollen. Ihre Freunde sind durch eine große Entfernung getrennt und wissen nichts von Ihrer Wahl. Sobald die Pakete ankommen, können Alice und Bob die Farbe ihrer Lok mit einem Gerät überprüfen, das zwischen rot und blau unterscheiden kann, oder mit einem anderen Gerät testen, ob die Lok elektrisch oder dampfbetrieben ist.
Im Laufe der Zeit vergleichen sie die vorgenommenen Messungen und suchen nach bestimmten Korrelationen. In unserer Alltagswelt gehorchen solche Korrelationen zwei Prinzipien – „Realismus“ und „Lokalität“. „Realismus“ bedeutet, dass Alice und Bob nur aufdecken, welche Farbe oder welchen Mechanismus des Motors Sie in der Vergangenheit gewählt hatten, und „Lokalität“ bedeutet, dass Alices Messung die Farbe oder den Mechanismus von Bobs Motor nicht verändern kann (oder umgekehrt). Das Bell’sche Theorem, das 1964 veröffentlicht wurde und von einigen als eine der tiefgreifendsten Entdeckungen in den Grundlagen der Physik angesehen wird, zeigte jedoch, dass Korrelationen in der Quantenwelt mit den beiden Prinzipien unvereinbar sind – ein Phänomen, das als Quanten-Nichtlokalität bekannt ist.
Die Quanten-Nichtlokalität wurde in zahlreichen Experimenten, den sogenannten Bell-Tests, an Atomen, Ionen und Elektronen bestätigt. Sie hat nicht nur tiefe philosophische Bedeutung, sondern liegt auch vielen Anwendungen wie Quantencomputern und Quantensatellitenkommunikation zugrunde. In all diesen Experimenten befanden sich die Teilchen jedoch entweder in Ruhe oder bewegten sich mit geringen Geschwindigkeiten (die Wissenschafter*innen nennen dieses Regime „nicht-relativistisch“). Eines der ungelösten Probleme auf diesem Gebiet, das die Physiker*innen immer noch beschäftigt, ist die Frage, ob die Nichtlokalität erhalten bleibt, wenn sich die Teilchen extrem schnell, nahe der Lichtgeschwindigkeit (d. h. im relativistischen Regime), bewegen oder wenn sie sich nicht einmal mit einer wohldefinierten Geschwindigkeit bewegen.
Für zwei Quantenteilchen in einem Bell-Test, die sich sehr schnell bewegen, sagen Forscher*innen voraus, dass die Korrelationen zwischen den Teilchen grundsätzlich reduziert sind. Wenn Alice und Bob ihre Messungen jedoch so anpassen, dass sie von der Geschwindigkeit der Teilchen abhängen, sind die Korrelationen zwischen ihren Messergebnissen immer noch nichtlokal. Stellen Sie sich nun vor, dass sich die Teilchen nicht nur sehr schnell bewegen, sondern ihre Geschwindigkeit auch unbestimmt ist: Jedes Teilchen bewegt sich in einer sogenannten Superposition verschiedener Geschwindigkeiten gleichzeitig, so wie die berühmte Katze Schrödingers gleichzeitig tot und lebendig ist. Ist in einem solchen Fall ihre Beschreibung der Welt immer noch nichtlokal?
Forscher*innen unter der Leitung von Časlav Brukner von der Universität Wien und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften haben gezeigt, dass Alice und Bob tatsächlich ein Experiment entwerfen können, welches beweisen würde, dass die Welt nichtlokal ist. Dazu nutzten sie eines der grundlegendsten Prinzipien der Physik, nämlich dass physikalische Phänomene nicht von dem Bezugssystem abhängen, von dem aus wir sie beobachten. Nach diesem Prinzip wird zum Beispiel jeder Beobachter, egal ob er sich bewegt oder nicht, sehen, dass ein vom Baum fallender Apfel den Boden berührt. Die Forscher*innen gingen noch einen Schritt weiter und dehnten dieses Prinzip auf Bezugssysteme aus, die an Quantenteilchen „angehängt“ sind. Diese werden „Quantenbezugssysteme“ genannt. Die entscheidende Erkenntnis ist: Wenn sich Alice und Bob mit den Quantenbezugssystemen zusammen mit ihren jeweiligen Teilchen bewegen könnten, könnten sie den üblichen Bell-Test durchführen, da für sie die Teilchen in Ruhe wären. Auf diese Weise können sie Quanten-Nichtlokalität für jedes beliebige Quantenteilchen nachweisen, unabhängig davon, ob die Geschwindigkeit unbestimmt oder nahe der des Lichts ist.
Flaminia Giacomini, eine der Autor*innen der Studie, sagt: „Unser Ergebnis beweist, dass es möglich ist, ein Bell-Experiment für Teilchen zu entwerfen, die sich in einer Quantensuperposition mit sehr hohen Geschwindigkeiten bewegen.“ Der Koautor Lucas Streiter schließt: „Wir haben gezeigt, dass Nichtlokalität eine universelle Eigenschaft unserer Welt ist.“ Es ist zu erwarten, dass ihre Entdeckung Anwendungen in Quantentechnologien, wie Quantensatellitenkommunikation und Quantencomputern, unter Verwendung relativistischer Teilchen eröffnen wird.
Publikation in Physical Review Letters:
L. F. Streiter, F. Giacomini, Č. Brukner, „Relativistic Bell Test within Quantum Reference Frames“, Phys. Rev. Lett., 2021 DOI: 10.1103/PhysRevLett.126.230403
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Univ.-Prof. Mag. Dr. Caslav Brukner
Institut für Quantenoptik und Quanteninformation Wien
Universität Wien
1090 – Wien, Boltzmanngasse 5
+43-1-4277-725 82
caslav.brukner@univie.ac.at
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